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BGH - Entscheidung vom 24.03.2005

3 StR 71/05

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluß vom 24.03.2005 - Aktenzeichen 3 StR 71/05

DRsp Nr. 2005/6453

Bestehen eines Hanges; Erfolgsaussichten bei fehlender Therapiebereitschaft

1. Hang im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen; diese Neigung muss noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben.2. Zwar kann mangelnde Therapiemotivation ein Indiz dafür sein, dass eine Entwöhnungsbehandlung keine Erfolgschancen bietet. Ob aber der Schluss vom Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller insoweit maßgeblichen Umstände beurteilen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes, versuchter Nötigung sowie versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) anzuordnen. Die dem zugrunde liegenden Erwägungen der Strafkammer halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen des Landgerichts rauchte der Angeklagte, der ca. 200 EUR monatlich für die Finanzierung seines Drogenkonsums benötigte, seit 1999 "regelmäßig Marihuana, zuletzt vier bis fünf Gramm täglich". Er beging die Taten, die für ihn "gute Gelegenheiten waren, sich Geld - auch zur Finanzierung seines Cannabiskonsums - zu verschaffen", aufgrund "seiner zumindest psychischen Abhängigkeit von Cannabisprodukten".

Das Landgericht hat einen Hang mit der Erwägung verneint, beim Angeklagten habe sich noch keine schwere Persönlichkeitsstörung aus seiner Drogengewöhnung ergeben. Des weiteren fehle ihm die Therapiemotivation, da er trotz verbüßter Untersuchungshaft bislang weder einen Leidensdruck entwickelt habe, zukünftig keine Drogen mehr zu konsumieren, noch den Kontakt zur Drogenberatung gesucht habe.

Diese Begründung trägt das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 Abs. 1 StGB nicht.

Das Landgericht geht zunächst von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des Begriffs des Hangs aus. Angesichts der Feststellungen der Strafkammer zum Konsumverhalten des Angeklagten drängt sich auf, daß bei ihm ein Hang besteht. Hang im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur - wie das Landgericht anscheinend meint - eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen; diese Neigung muß noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben (st. Rspr.; z. B. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4 und 5; BGHR StGB § 64 Hang 2 m. w. N.). Ebenso liegt es nach den Urteilsfeststellungen nahe, daß der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen den Taten und der Abhängigkeit des Angeklagten bestanden hat.

Der Hinweis auf das Fehlen eines Therapiewillens läßt außer Acht, daß dieser Umstand die Unterbringung nach § 64 StGB nicht ohne weiteres hindert. Zwar kann mangelnde Therapiemotivation ein Indiz dafür sein, daß eine Entwöhnungsbehandlung keine Erfolgschancen bietet. Ob aber der Schluß vom Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, läßt sich nur aufgrund einer - vom Landgericht nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller insoweit maßgeblichen Umstände (dazu BGH NStZ-RR 1997, 34 ; 1996, 85; 1996, 163) beurteilen. Denn Ziel der Behandlung im Maßregelvollzug kann es gerade sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten überhaupt erst zu wecken.

Die in den Urteilsgründen bereits erteilte Zustimmung zu einer Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß die Unterbringung nach § 64 StGB zwingend anzuordnen ist, wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind; hiervon darf nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefaßt ist (vgl. BGHR StGB § 64 Ablehnung 7 und 8; Senat StraFo 2003, 100 m. w. N.).

Da die Maßregel bei Zugrundelegung der Feststellungen des Landgerichts auch nicht aus anderem Grunde ausscheidet, bedarf die Frage ihrer Anordnung der Prüfung durch den neuen Tatrichter.

Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, daß ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5 ).

Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung des Urteils nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, daß im Falle der Unterbringung gegen den Angeklagten auf eine niedrigere Strafe erkannt worden wäre.

Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 25.11.2004