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BGH - Entscheidung vom 13.12.2005

X ARZ 223/05

Normen:
ZPO § 281 Abs. 2
InsO § 3 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
BB 2006, 464
BGHReport 2006, 391
DZWIR 2006, 205
GmbHR 2006, 383
MDR 2006, 703
NJW 2006, 847
NZI 2006, 164
Rpfleger 2006, 284
ZIP 2006, 442
ZInsO 2006, 146
ZVI 2006, 157

BGH, Beschluß vom 13.12.2005 - Aktenzeichen X ARZ 223/05

DRsp Nr. 2006/1019

Anforderungen an die Sachaufklärung durch das Insolvenzgericht; Prüfung der örtlichen Zuständigkeit

»Das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei dem nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständigen Gericht nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden.«

Normenkette:

ZPO § 281 Abs. 2 ; InsO § 3 Abs. 1 S. 1 ;

Gründe:

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Heidelberg. Für sie wurde mit Wirkung vom 10. Januar 2005 ein neuer Geschäftsführer bestellt, der für die Antragstellerin mit Antrag vom 31. Januar 2005 - eingegangen beim Amtsgericht Heidelberg am 3. Februar 2005 - Insolvenzantrag gestellt hat und gleichzeitig beantragt hat, das Verfahren an das für den Wohnsitz des - neuen - Geschäftsführers örtlich zuständige Insolvenzgericht in Berlin zu verweisen. Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, sie habe den Geschäftsbetrieb eingestellt, das Gewerbe abgemeldet, die Geschäftsräume in Heidelberg aufgegeben und die Geschäftsunterlagen nach Berlin verbracht, um dort unter Einschaltung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft prüfen zu lassen, ob ein Fortbestand möglich sei und andernfalls die Abwicklung unter Einschluss eines Insolvenzverfahrens vorzunehmen.

Das Amtsgericht Heidelberg hat sich mit Beschluss vom 8. Februar 2005 für örtlich unzuständig erklärt und das Insolvenzverfahren an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg verwiesen.

Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat sich mit Beschluss vom 15. Februar 2005 für örtlich nicht zuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorgelegt.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe möchte das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran durch Entscheidungen anderer Gerichte (BayObLG NJW-RR 2004, 986 ; OLG Celle NZI 2004, 258 , 259; OLG Stuttgart OLGR 2004, 184, 186; OLG Schleswig NZI 2004, 264 ) gehindert. Es hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

II. Die Vorlage ist zulässig (§ 36 Abs. 3 ZPO ).

Das Oberlandesgericht Karlsruhe würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Celle, Stuttgart, Schleswig und des Bayerischen Obersten Landesgerichts setzen. Diese haben entschieden, dass ein Verweisungsbeschluss willkürlich und deshalb nicht bindend sei, weil eine Zuständigkeit am Wohnsitz des Geschäftsführers der GmbH dann nicht in Betracht komme, wenn die Veräußerung der Geschäftsanteile und die Abberufung des alten sowie die Ernennung des neuen Geschäftsführers in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Stellung des Insolvenzantrags stünden und das Verfahren damit das Gepräge einer "gewerbsmäßigen Firmenbestattung" habe. In solchen Fällen komme für die Durchführung des Insolvenzverfahrens eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, bei dem der neu bestellte Geschäftsführer seinen Sitz habe, nicht in Betracht, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung handele. Das vorlegende Oberlandesgerichte Karlsruhe hält hingegen eine solche Verweisung für jedenfalls nicht willkürlich.

III. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Heidelberg.

1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung eines Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

Das Amtsgericht Heidelberg hat sich durch einen gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat im Beschlusswege die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das genügt, um zur Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu gelangen (BGHZ 102, 338 , 339 f.).

2. Das Amtsgericht Heidelberg ist für das vorliegende Insolvenzverfahren zuständig.

Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO . Nach dieser Vorschrift ist örtlich zuständig das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies ist das Amtsgericht Heidelberg, weil die Gesellschaft dort ihren Sitz hat, § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an welches verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338 , 340; Sen.Beschl. v. 22.06.1993 - X ARZ 340/93, NJW 1993, 2810 ). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGHZ 71, 69 , 72 f.; Sen.Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498 ). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Amtsgericht Heidelberg hat sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung eines Rechtsstreits gemäß § 4 InsO , § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt. Eine Verweisung kommt nur in Betracht, wenn bei dem Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, ein Gerichtsstand nicht eröffnet ist (Sen.Beschl. v. 10.09.2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 , 3635). Das Amtsgericht Heidelberg hat seinen Verweisungsbeschluss nicht begründet. Es hat weder Umstände ermittelt noch dargelegt, die seine Zuständigkeit in Frage stellen könnten. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Gerade im Hinblick auf die oben unter II dargestellte Rechtsprechung hatte das Amtsgericht Heidelberg Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob trotz der Zuständigkeitsregelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO ein Gerichtsstand bei ihm nicht begründet war. Das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei ihm nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden.

Das Amtsgericht Heidelberg hat demnach den Rechtsstreit nicht wirksam an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg verwiesen.

Hinweise:

Anmerkung Thorsten Graeber DZWIR 2006, 205

Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 30.05.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 15 AR 8/05
Vorinstanz: LG Heidelberg,
Fundstellen
BB 2006, 464
BGHReport 2006, 391
DZWIR 2006, 205
GmbHR 2006, 383
MDR 2006, 703
NJW 2006, 847
NZI 2006, 164
Rpfleger 2006, 284
ZIP 2006, 442
ZInsO 2006, 146
ZVI 2006, 157