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BAG - Entscheidung vom 16.11.2005

10 AZR 383/05

Normen:
5. Tarifvertrag über die Zahlung von Erschwerniszuschlägen an Arbeiter für das Gebiet der Kommunalen arbeitsrechtlichen Vereinigung in Baden-Württemberg vom (TVEZ, 25. Oktober 1965) § 2 § 5 § 7 § 8 § 9 § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19 § 20 § 21 § 22

Fundstellen:
NZA-RR 2006, 504

BAG, Urteil vom 16.11.2005 - Aktenzeichen 10 AZR 383/05

DRsp Nr. 2006/7743

Kumulation tariflicher Erschwerniszuschläge bei Tätigkeit eines Straßenreinigers

Orientierungssatz:Erfüllt die Tätigkeit eines Straßenreinigers die Voraussetzungen sowohl für einen Erschwerniszuschlag gem. § 14 TVEZ als auch für einen Verkehrsgefahrenzuschlag gem. § 22 TVEZ, sind beide Zuschläge nebeneinander zu zahlen.

Normenkette:

5. Tarifvertrag über die Zahlung von Erschwerniszuschlägen an Arbeiter für das Gebiet der Kommunalen arbeitsrechtlichen Vereinigung in Baden-Württemberg vom (TVEZ, 25. Oktober 1965) § 2 § 5 § 7 § 8 § 9 § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19 § 20 § 21 § 22 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, an die Klägerin einen Verkehrsgefahrenzuschlag nach § 22 Gruppe IV Ziff. 2 des 5. Tarifvertrages über die Zahlung von Erschwerniszuschlägen an Arbeiter (TVEZ) für das Gebiet der Kommunalen arbeitsrechtlichen Vereinigungen in Baden-Württemberg vom 25. Oktober 1965 zu zahlen.

Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt als Straßenreinigerin tätig. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die Tarifverträge der Gemeindearbeiter nebst den diese ergänzenden Tarifverträgen, ua. der TVEZ.

Dieser besteht aus fünf Abschnitten und hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Zweiter Abschnitt

Allgemeine Vorschriften

§ 2 Grundsätzliches

(1) Die Tätigkeiten, für die Erschwerniszuschläge gezahlt werden, sind im dritten Abschnitt aufgeführt. Außerdem werden an die im vierten Abschnitt genannten Arbeitergruppen Erschwerniszuschläge in Form von Verkehrsgefahrenzuschlägen gezahlt. Die Kataloge in diesen Abschnitten sind erschöpfend. Darüber hinaus dürfen keine Erschwerniszuschläge gezahlt werden; die besonderen örtlichen Verhältnisse sind im dritten und vierten Abschnitt berücksichtigt.

...

§ 5 Zusammenfassung aller vorkommenden Erschwerniszuschläge in einem Zuschlag

(1) Die Erschwerniszuschläge sind im Erschwerniszuschlagsplan im einzelnen nicht als Schmutz- oder Gefahrenzuschläge oder als sonstige Erschwerniszuschläge bezeichnet.

(2) Beim Zusammentreffen mehrerer Erschwerniszuschläge wird nur ein Zuschlag, und zwar der höchste gezahlt.

(3) Ein in den Positionen 112, 113, 121, 137, 145, 251, 253, 254, 255, 256, 257, 261, 262, 413, 417, 532, 533, 571, 717 und 718 aufgeführter reiner Gefahrenzuschlag wird jedoch neben einem sonstigen Zuschlag gezahlt.

(4) Beim Zusammentreffen mehrerer dieser reinen Gefahrenzuschläge wird nur der höchste Zuschlag gezahlt.

(5) Die in den Positionen 222, 516, 575, 576 und 577 aufgeführten Tagespauschalen und die im vierten Abschnitt aufgeführten Verkehrsgefahrenzuschläge werden neben einem sonstigen Zuschlag gezahlt."

Im Weiteren ist im Dritten Abschnitt (§§ 7 bis 21) der sog. Erschwerniszuschlagsplan normiert. Er beinhaltet die Aufzählung von zahlreichen Tätigkeiten, geordnet nach Arbeitnehmergruppen in sämtlichen Verwaltungen und unterschiedlichen Betrieben, und die jeweilige Zuordnung eines Erschwerniszuschlags. In § 14 sind die Erschwerniszuschläge für Arbeiter in Straßenreinigungsbetrieben geregelt. § 14 Pos. 516 sieht insoweit einen Erschwerniszuschlag für Straßenreiniger als Tagespauschale vor.

Im Vierten Abschnitt des TVEZ sind Straßenverkehrsgefahrenzuschläge geregelt. Er hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Vierter Abschnitt

Zusätzliche Bestimmungen über die Zahlung eines besonderen Gefahrenzuschlags für Arbeiter, die bei Ausübung ihrer Tätigkeit durch den Straßenverkehr besonders gefährdet sind

§ 22 Verkehrsgefahrenzuschlag

Die nachstehend aufgeführten Arbeiter, die bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch den Straßenverkehr besonders gefährdet sind, erhalten für Arbeiten auf, über und von der Fahrbahn aus einen Verkehrsgefahrenzuschlag, sofern die Fahrbahn nicht dauernd oder während der Dauer der Arbeiten für den Fahrverkehr gesperrt ist. Der Verkehrsgefahrenzuschlag beträgt für:

Gruppe I Tagespauschale ...

Gruppe II Tagespauschale ...

Gruppe III Tagespauschale ...

Gruppe IV Tagespauschale ...

1. Kanalarbeiter, nur am Schacht auf der Straße

2. Straßenreiniger

3. Müllträger

4. Gleisbauarbeiter, soweit nicht unter Pos. 451 fallend, auf eigenem Bahnkörper, wenn sie beim Herannahen von Straßenbahnzügen auf die Fahrbahn ausweichen müssen ..."

Die Beklagte hat bis zum 30. Juni 2002 an die Klägerin sowohl den Erschwerniszuschlag nach § 14 Pos. 516 TVEZ in Höhe von zuletzt 3,39 Euro täglich als auch den Verkehrsgefahrenzuschlag nach § 22 Gruppe IV Ziff. 2 TVEZ in Höhe von 1,64 Euro täglich gezahlt. Nach einer Beanstandung durch die Gemeindeprüfungsanstalt zahlt sie seit dem 1. Juli 2002 nur noch den (höheren) Erschwerniszuschlag nach § 14 Pos. 516 TVEZ.

Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr stünden weiterhin beide Zuschläge zu, weil die Anrechnungsregelung in § 5 Abs. 2 TVEZ den Verkehrgefahrenzuschlag nach § 22 Gruppe IV Ziff. 2 TVEZ nicht erfasse, sondern sich nur auf die im Erschwerniszuschlagskatalog der §§ 7 bis 21 TVEZ genannten Zuschläge beziehe. Jedenfalls sei aber die Ausnahmeregelung in § 5 Abs. 5 TVEZ anzuwenden.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin einen Verkehrsgefahrenzuschlag gem. § 22 Abs. IV Ziff. 2 des 5. TVEZ neben dem Erschwerniszuschlag gem. § 14 Pos. 516 des 5. TVEZ zu zahlen, nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab jeweiliger Fälligkeit,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 361,60 Euro zu zahlen zzgl. jeweils 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB aus 44,80 Euro ab dem 31. Juli 2002, aus 33,60 Euro ab dem 31. August 2002, aus 20,80 Euro ab dem 30. September 2002, aus 24,00 Euro ab dem 31. Oktober 2002, aus 30,40 Euro ab dem 30. November 2002, aus 28,80 Euro ab dem 31. Dezember 2002, aus 12,80 Euro ab dem 31. Januar 2003, aus 33,60 Euro ab dem 28. Februar 2003, aus 33,60 Euro ab dem 31. März 2003, aus 35,20 Euro ab dem 30. April 2003, aus 27,80 Euro ab dem 31. Mai 2003 und aus 36,80 Euro ab dem 30. Juni 2003.

Die Beklagte begründet ihren Klageabweisungsantrag damit, dass nach § 5 Abs. 2 TVEZ beim Zusammentreffen zweier Erschwerniszuschläge nur der höhere Zuschlag zu zahlen sei. Die Anrechnungsregelung in § 5 Abs. 2 TVEZ erfasse auch die Verkehrsgefahrenzuschläge aus § 22 TVEZ, was sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 TVEZ ergebe. § 5 Abs. 5 TVEZ greife nicht ein, da insoweit eine Ausnahme vom Doppelzahlungsverbot nur für das Zusammentreffen von den dort aufgeführten Tagespauschalen oder Verkehrsgefahrenzuschlägen mit sonstigen Zuschlägen normiert sei, nicht aber für das Zusammentreffen von Tagespauschalen und Verkehrsgefahrenzuschlägen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, die Auslegung von § 5 Abs. 5 TVEZ führe zur Verpflichtung der Beklagten, die beiden streitigen Zuschläge kumulativ an die Klägerin zu leisten. Nach der Grundregel in § 5 Abs. 2 TVEZ sei zwar beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge in der Regel nur der höchste Zuschlag zu zahlen. Hiervon sei nach § 5 Abs. 5 TVEZ jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn eine - in einer bestimmten Gruppe von namentlich benannten Zuschlägen enthaltene - gezahlte Pauschale mit einem Verkehrsgefahrenzuschlag zusammenfalle. Dies ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Tarifvorschrift, aber aus Sinn und Zweck der Norm sowie aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung. Der Begriff des "sonstigen Zuschlags" in § 5 Abs. 5 TVEZ sei wie der wortgleiche Begriff in Abs. 3 der Norm dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des betreffenden Absatzes alle diejenigen (sonstigen) Zuschläge gemeint seien, die jeweils einzeln nicht gerade ausgenommen seien. Demgemäß sei der Begriff des "sonstigen Zuschlags" in § 5 Abs. 5 TVEZ auch den dort ebenfalls genannten Begriffen "Tagespauschalen" und "Verkehrsgefahrenzuschläge" jeweils gesondert gegenüberzustellen. Auch aus der sonstigen Tarifstruktur ergebe sich, dass mit der Zahlung des Straßenverkehrszuschlags ein anderes Erschwernis abgegolten werden solle als mit den sonstigen Zuschlägen. Eine Anrechnung sei immer nur innerhalb einer Gruppe vorgesehen.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und teilweise in der Begründung. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf die Anrechnungsregelung in § 5 Abs. 2 TVEZ.

1. Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, dass der Hauptantrag der Klägerin zulässig ist.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Das besondere Feststellungsinteresse nach dieser Vorschrift muss als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, gegeben sein. Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen (BAG 26. September 2002 - 6 AZR 523/00 - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 73 = EzA ZPO § 256 Nr. 67, zu I 2 der Gründe; 6. November 2002 - 5 AZR 364/01 - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 78 = EzA ZPO § 256 Nr. 68, zu 1 a der Gründe).

Das Feststellungsinteresse ist in der Regel nicht gegeben, soweit die Klage auf die Feststellung einer Zahlungsverpflichtung gerichtet ist. Grundsätzlich ist einer Leistungsklage Vorrang vor einer Feststellungsklage eingeräumt, wenn der Kläger den Anspruch beziffern kann (BAG 5. Juni 2003 - 6 AZR 277/02 - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 81 = EzA ZPO 2002 § 256 Nr. 2 mwN). Wenn allerdings durch die Feststellungsklage der Streit insgesamt beseitigt und das fragliche Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann, ist das Feststellungsinteresse auch bei der Möglichkeit einer Leistungsklage gegeben (BAG 16. Juli 1998 - 6 AZR 672/96 - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind deshalb Klagen auf Zahlung einer höheren tarifvertraglichen Vergütung im öffentlichen Dienst grundsätzlich als Feststellungsklagen zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wiederhergestellt wird (5. Juni 1996 - 10 AZR 610/95 - AP BAT § 33a Nr. 10). Gleiches gilt für die Zahlung von Zuschlägen nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Grundsätzlich braucht im Hinblick auf diese Befriedungswirkung keine Leistungsklage oder Stufenklage auf Abrechnung und Leistung erhoben zu werden (BAG 5. November 2003 - 4 AZR 632/02 - BAGE 108, 224 , 229). Dies gilt vorliegend für das Verhältnis der Parteien in besonderem Maße, weil sich die Beklagte vor dem Arbeitsgericht ausdrücklich bereit erklärt hat, die sich aus der begehrten Feststellung im Falle des Obsiegens der Klägerin ergebenden Zahlungsansprüche zu erfüllen; einer Zahlungsklage bedürfe es nicht. Im Übrigen hat die Klägerin ein gesondertes Feststellungsinteresse, weil sie die Zahlungsanträge für die Zukunft nicht beziffern kann und deshalb ein Leistungsantrag ausgeschlossen ist (st. Rspr., BAG 20. Juni 1984 - 4 AZR 208/82 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 2; 20. März 2003 - 8 AZR 656/01 -).

2. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin einen Verkehrsgefahrenzuschlag gem. § 22 Gruppe IV Ziff. 2 TVEZ neben dem Erschwerniszuschlag gem. § 14 Pos. 516 TVEZ zu zahlen.

a) Die Auslegung eines Tarifvertrags durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 - 3 AZR 468/01 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 184 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 36). Dabei folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - AP BAT §§ 22 , 23 Zulagen Nr. 11; zuletzt auch 24. November 2004 - 10 AZR 221/04 - EzA TVG § 4 Bankgewerbe Nr. 4).

b) Die nach diesen Grundsätzen vorgenommene Auslegung des TVEZ führt zu dem Ergebnis, dass der der Klägerin bislang gezahlte Verkehrsgefahrenzuschlag gem. § 22 Gruppe IV Ziff. 2 TVEZ nicht auf den ihr gleichfalls zu zahlenden Erschwerniszuschlag gem. § 14 Pos. 516 TVEZ angerechnet werden darf.

aa) Nach übereinstimmender und zutreffender Auffassung der Parteien und des Landesarbeitsgerichts erfüllt die Klägerin als Straßenreinigerin die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen.

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erschwerniszuschläge des Dritten Abschnitts des TVEZ von der Anrechnungsregelung in § 5 Abs. 2 TVEZ überhaupt erfasst werden. Denn die Möglichkeit der von der Beklagten vorgenommenen Anrechnung des Verkehrsgefahrenzuschlags auf den Erschwerniszuschlag bestünde auch dann nicht. § 5 Abs. 5 TVEZ lässt eine solche Anrechnung nicht zu. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift als auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie aus Sinn und Zweck der Tarifnorm.

(1) Prinzipiell sind diejenigen Zuschläge zu zahlen, die der TVEZ vorsieht. Die Tarifvertragsparteien haben in § 5 Abs. 2 TVEZ jedoch geregelt, dass beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge nur einer von ihnen, und zwar der höchste zu zahlen ist.

Von dieser Grundanrechnungsregel werden in den folgenden Absätzen 3 bis 5 jedoch Ausnahmen postuliert. In § 5 Abs. 3 und 4 TVEZ wird eine bestimmte Gruppe von enumerativ aufgeführten Zuschlägen von der Anrechnungsregel auf "sonstige Zuschläge" ausgenommen. Aus dieser Gruppe von Zuschlägen hat der Arbeitnehmer aber wiederum nur Anspruch auf den höchsten Zuschlag, wenn er innerhalb dieser Gruppe mehrere Zuschlagstatbestände verwirklichen sollte. Daneben besteht jeweils die Möglichkeit, bei Vorliegen der Voraussetzungen auch einen (bei mehreren: den höchsten) Zuschlag aus der Gruppe der "sonstigen Zuschläge" zu erhalten.

§ 5 Abs. 5 TVEZ normiert als weitere Ausnahme von der Grundanrechnungsregel in Abs. 2, dass fünf einzeln aufgeführte Tagespauschalen (darunter auch diejenige für Straßenreiniger, Pos. 516) und die Gruppe der im Vierten Abschnitt des TVEZ geregelten Verkehrszuschläge neben einem sonstigen Zuschlag gezahlt werden. Bei den Tätigkeiten, die der hier genannten Gruppe von Tagespauschalen zu Grunde liegt, handelt es sich um generalisierende Beschreibungen, die nahezu ein bestimmtes Berufsbild als Ganzes in die Liste der zuschlagspflichtigen Tätigkeiten einbeziehen, wie Friedhofsarbeiter, Straßenreiniger, Mülllader, Müllplatzarbeiter und Müllsortierer.

Die Verkehrsgefahrenzuschläge des Vierten Abschnitts des TVEZ werden an dieser Stelle im Rahmen der Anrechnungsregeln in § 5 TVEZ erstmals benannt. Diese Gruppe wird in Abs. 5 mit den genannten Tagespauschalen hinsichtlich der gesonderten Zahlungsverpflichtung mit dem Wort "und" verbunden. Wenn die Tarifvertragsparteien an dieser Stelle eine Anrechnung der Zuschläge aus diesen beiden in Abs. 5 erstgenannten Gruppen aufeinander hätten regeln wollen, wie die Beklagte meint, hätten sie diese Gruppenbezeichnung mit dem Wort "oder" oder "beziehungsweise" verbinden müssen; möglich wäre auch die Ergänzung "... aber stets nur einer der beiden Zuschläge". Durch die Verwendung des Wortes "und" zwischen den beiden Gruppen haben die Tarifvertragsparteien aber bereits im Wortlaut deutlich werden lassen, dass diese beiden Zuschläge nebeneinander gezahlt werden sollen. Durch die weitere Verwendung des Wortes "neben" werden diese beiden Gruppen von Zuschlägen im Folgenden mit der Gruppe der "sonstigen Zuschläge" verbunden. Nach dem Wortlaut der Norm ist der Wille der Tarifvertragsparteien damit deutlich zum Ausdruck gekommen: die Tagespauschalen und die Verkehrsgefahrenzuschläge sollen neben einem sonstigen Zuschlag gezahlt werden.

(2) Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung lassen eine andere Auslegung nicht zu.

Die im Dritten Abschnitt des TVEZ normierten Zuschlagsregelungen umfassen spezifische Bedingungen der zu verrichtenden Arbeit, die sich durch besonders schlechte oder gefährliche Umstände auszeichnen. Diese erschwerenden Bedingungen sollen mit dem dort normierten Zuschlag in besonderer Weise abgegolten werden. Der Vierte Abschnitt befasst sich mit einer weiteren, von den Erschwerniszuschlägen im Dritten Abschnitt nicht umfassten spezifischen Gefahr. Bereits aus der Überschrift wird deutlich, dass es sich um "zusätzliche Bestimmungen" handelt, die für Arbeiter gelten, "die bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch den Straßenverkehr besonders gefährdet sind". Dies weist darauf hin, dass diese spezifische Gefährdung durch die Zuschläge im Dritten Abschnitt nicht erfasst ist, was einer Anrechnung eines Zuschlags aus dem Vierten Abschnitt auf einen Zuschlag aus dem Dritten Abschnitt entgegensteht.

Beispielhaft wird dies bei den Straßenreinigern deutlich, zu denen auch die Klägerin gehört. Sie erhält im Rahmen des Dritten Abschnitts des TVEZ als Straßenreinigerin (§ 14 Pos. 516 TVEZ) einen Erschwerniszuschlag von täglich 3,93 Euro. Wenn tatsächlich die Straßenverkehrsgefahr in der Tagespauschale, soweit sie bereits im Dritten Abschnitt geregelt ist, "abgegolten" wäre, wie die Beklagte meint, bliebe für den Verkehrsgefahrenzuschlag für Straßenreiniger im Vierten Abschnitt (§ 22 Gruppe IV Ziff. 2 TVEZ), der deutlich weniger als die Hälfte der Tagespauschale beträgt, keinerlei Anwendungsbereich mehr. Denn jeder Straßenreiniger - ob im abgesperrten Bereich oder unter erhöhter Gefährdung durch den fließenden Verkehr - erhält den Tagesbetrag nach § 14 Pos. 516 TVEZ. Die Erhöhung der Gefahr durch den umgebenden fließenden Straßenverkehr bliebe unberücksichtigt, wenn sie bereits damit ausreichend abgegolten wäre. Gleichzeitig könnte kein einziger Straßenreiniger den für ihn in § 22 Gruppe IV Ziff. 2 TVEZ ausdrücklich vorgesehenen Verkehrsgefahrenzuschlag verdienen, denn jede gefährliche Straßenreinigung ist immer auch eine Straßenreinigung. Damit erschließt sich ein Anwendungsbereich für die Verkehrsgefahrenzuschlagsregelung für Straßenreiniger nur dann, wenn eine Anrechnung nicht stattfindet.

Diese von den Tarifvertragsparteien gewollte Nicht-Anrechnung der beiden Zuschläge aufeinander zeigt sich auch beim Blick auf andere Berufsgruppen. So ist für die Gleiswerker in Hafenumschlagbetrieben das Verhältnis der Zuschläge aus dem Dritten Abschnitt zu denen aus dem Vierten Abschnitt ausdrücklich geregelt.

Es heißt in § 13 TVEZ:

"§ 13 Erschwerniszuschläge in Hafenumschlagbetrieben

Pos. 451 Tagespauschale pauschalierte Abfindung aller Erschwerniszuschläge

(Schmutz- und Gefahrenzuschläge) in kommunalen

Hafen- und Umschlagbetrieben für Umschlagarbeiter

und Gleiswerker

..."

Hier wird bereits aus dem Wortlaut deutlich, dass - anders als bei den Straßenreinigern - mit dem Zuschlag aus dem Dritten Abschnitt "alle Erschwerniszuschläge" pauschaliert werden sollen, ausdrücklich auch "Schmutz- und Gefahrenzuschläge". Dies erfasst auch den Verkehrsgefahrenzuschlag aus dem Vierten Abschnitt. Dementsprechend werden dort (§ 22 Gruppe IV Ziff. 4 TVEZ) die Gleisbauarbeiter nach dem Wortlaut des TVEZ nur erfasst, "soweit nicht unter Pos. 451 fallend"; eine entsprechende Formulierung findet sich in § 22 Gruppe II Nr. 4 Buchst. 6 TVEZ für Gleiswerker, "soweit nicht unter Pos. 451 fallend", wenn bei ihrer Arbeit keine Abschrankung vorhanden ist. Das erhellt, dass die Tarifvertragsparteien für den Regelfall davon ausgegangen sind, dass die Verkehrsgefahrenzuschläge aus dem Vierten Abschnitt neben den Erschwerniszuschlägen aus dem Dritten Abschnitt gezahlt werden sollen. Für eine ganz bestimmte Gruppe von Arbeitern, nämlich die Gleisbauarbeiter/Gleiswerker in Hafenumschlagbetrieben, ist hier insoweit eine Sonderregelung getroffen worden. Die Verkehrsgefahr, die an sich mit den Zuschlägen aus dem Vierten Abschnitt abgegolten werden soll, wird bei ihnen durch einen bereits im Dritten Abschnitt geregelten Erschwerniszuschlag pauschal mit erfasst. Dies erforderte nach Ansicht der Tarifvertragsparteien zwei Regelungen. Zum einen musste im Dritten Abschnitt klargestellt werden, dass hier auch die Verkehrsgefahr erfasst ist; zum anderen mussten die Gleisbauarbeiter/Gleiswerker in Hafenumschlagbetrieben im Vierten Abschnitt von den ansonsten begünstigten Gleisbauarbeitern/Gleiswerkern ausdrücklich ausgenommen werden. Das ist nur dadurch erklärbar, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass diesen ansonsten der Verkehrsgefahrenzuschlag hätte gezahlt werden müssen. Eine solche Sonderregelung zum Verhältnis der Zuschläge im Dritten und Vierten Abschnitt findet sich aber gerade für die Straßenreiniger nicht, weshalb es hier bei dem Grundsatz bleibt, dass die beiden verschiedenen Erschwernisse, die von den jeweiligen Abschnitten erfasst werden, dann nebeneinander mit einem Zuschlag abgegolten werden sollen, wenn sie kumulativ auftreten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Hinweise:

Branchenspezifische Problematik: Öffentlicher Dienst

Besonderer Interessentenkreis: Öffentlicher Dienst

Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, vom 10.05.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 22 Sa 28/04
Vorinstanz: ArbG Lörrach, vom 24.11.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ca 498/03
Fundstellen
NZA-RR 2006, 504