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BGH - Entscheidung vom 20.02.2017

1 StR 552/16

Normen:
StPO § 302 Abs. 1
StPO § 346 Abs. 1
StPO § 346 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ 2017, 487
NStZ 2017, 6
NStZ-RR 2017, 6

BGH, Beschluss vom 20.02.2017 - Aktenzeichen 1 StR 552/16

DRsp Nr. 2017/3080

Wirksamkeit der Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme (hier: Revision); Anwaltliche Versicherung des Verteidigers zum Nachweis der Ermächtigung

Für die Wirksamkeit der Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich oder telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers. Von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung ist erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Der Umstand, dass die Steuerungsfähigkeit des Rechtsmittelführers zu den Tatzeiten erheblich vermindert gewesen sein soll, ist für die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung für sich genommen ohne Belang.

Tenor

1.

Unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 28. September 2016 wird festgestellt, dass das Rechtsmittel der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 28. Juli 2016 wirksam zurückgenommen worden ist.

2.

Unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 23. August 2016 betreffend die Verwerfung des Antrags der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird der Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in die Rechtsmitteleinlegungsfrist vom 22. August 2016 auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Normenkette:

StPO § 302 Abs. 1 ; StPO § 346 Abs. 1 ; StPO § 346 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Angeklagte ist durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 28. Juli 2016 wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in vier Fällen, Diebstahls in 14 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden, zudem ist ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden.

Gegen dieses Urteil hat der Pflichtverteidiger der Angeklagten am 3. August 2016 fristgerecht "rechtswahrend" Revision eingelegt. Am 8. August 2016 ist bei Gericht ein als "Einspruch" bezeichnetes Schreiben der Angeklagten vom 4. August 2016 eingegangen, welches auf Überprüfung der vorläufigen Unterbringung gerichtet war. Mit am 9. August 2016 eingegangenem Schriftsatz hat der Pflichtverteidiger die Revision "namens und im Auftrag der Angeklagten" zurückgenommen. Mit Beschluss vom 10. August 2016 hat das Landgericht der Angeklagten die Kosten der von ihr eingelegten und wieder zurückgenommenen Revision auferlegt.

Nachdem die Angeklagte über die Rechtskraft des Urteils informiert worden war, hat sich am 11. August 2016 ihre sozialpädagogische Betreuerin bei Gericht gemeldet und erklärt, dass die Angeklagte mit der Rechtskraft nicht einverstanden sei, sie habe nicht gewollt, dass die Revision zurückgenommen werde, sie habe aber eine weitere Tätigkeit dieses Verteidigers nicht gewünscht, weswegen sie auch selber Revision eingelegt habe. Der Verteidiger hat auf Nachfrage des Landgerichts hierzu erklärt, er habe die Angeklagte am 8. August 2016 besuchen wollen, telefonisch habe sie erklärt, ihn nicht sehen zu wollen, auf seine Ankündigung, die Revision zurückzunehmen, habe sie mit "ja" geantwortet. Im Rahmen einer späteren Besprechung habe sie auf den Vorhalt, dass sie Weisung zur Rücknahme erklärt habe, ausgeführt, dass sie doch selbständig Einspruch gegen das Urteil eingelegt habe.

Unter anderem in einem am 18. August 2016 eingegangenen Schreiben der Angeklagten hat sie beantragt, ihren "rechtzeitig eingelegten Einspruch" zu bearbeiten. Hierzu führt sie aus, den Einspruch vom "04.08.2016" am "05.08.2016" als Einschreiben versandt zu haben, so dass dieser am "07.08.2016 ... rechtzeitig" angekommen sei.

Der Pflichtverteidiger hat am 22. August 2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Angeklagte beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht durch Beschluss vom 23. August 2016 als unzulässig verworfen, wobei es Zweifel an dem Vorliegen einer Ermächtigung des Verteidigers zur Rücknahme geäußert hat. Gegen diese Entscheidung hat die Angeklagte fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Dem Pflichtverteidiger ist das Urteil am 25. August 2016 zugestellt worden, worüber die Angeklagte eine Mitteilung mit Ausfertigung des Urteils nach § 145a Abs. 3 StPO erhalten hat. Mit Beschluss vom 28. September 2016 hat das Landgericht die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrem Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO .

II.

1. Der Antrag wurde fristgerecht gestellt und ist auch im Übrigen zulässig (zur erforderlichen Beschwer vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 - 3 StR 12/05, NStZ 2005, 583 mwN).

2. Der Antrag ist begründet.

a) Die Revision der Angeklagten wurde am 9. August 2016 durch ihren Verteidiger wirksam zurückgenommen, § 302 Abs. 1 StPO . Da dies in Zweifel steht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15, NStZRR 2016, 24 und vom 14. Oktober 2014 - 3 StR 421/14).

aa) Der Verteidiger war zur Rechtsmittelrücknahme ermächtigt. Im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung lag die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung der Angeklagten vor. Für diese ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich - und auch telefonisch - erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2016 - 4 StR 558/16; vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 f. und vom 16. Dezember 1994 - 2 StR 461/94).

Eine solche anwaltliche Versicherung lag in seiner Erklärung vom 9. August 2016, er nehme die Revision namens und im Auftrag der Angeklagten zurück. Der Verteidiger hat im Einzelnen dargelegt, unter welchen Umständen ihn die Angeklagte bei dem Telefonat am 8. August 2016 ermächtigt hatte. Diese Angaben des Verteidigers ergeben ein schlüssiges Bild. Der Senat hat keinen Anlass, hieran zu zweifeln. Der Hergang wird auch von der Angeklagten nicht in Frage gestellt. Sie macht insoweit nur geltend, mit ihrer bejahenden Antwort auf die Frage des Verteidigers nach der Rücknahme etwas anderes bezweckt zu haben, nämlich dass dieser Verteidiger nicht mehr für sie tätig wird. Auch ihr Hinweis auf das vermeintlich fristgerecht von ihr selbst eingelegte Rechtsmittel belegt ihre Annahme, mit ihrem erklärten Willen zur Rücknahme nur das vom Anwalt eingelegte Rechtsmittel zu erfassen. Dies steht im Einklang mit dem auch in späteren Eingaben der Angeklagten zu Tage tretenden Begehren, über das von ihr eingelegte Rechtsmittel zu entscheiden.

bb) Auch die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten unterliegt keinen Zweifeln, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ermächtigung zur Rücknahme bestehen. Dies stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts fest (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 - 3 StR 368/07).

Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung bzw. der Ermächtigung hierzu, in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird - wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt - allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 ; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 59. Aufl., § 302 Rn. 8a). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2007 - 3 StR 368/07 mwN und vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 ).

Nach diesem Maßstab hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Angeklagte bei Abgabe der Ermächtigung zur Rücknahmeerklärung verhandlungsund damit prozessual handlungsfähig war. Das sachverständig beratene Landgericht hat bei der Angeklagten zwar eine Schizophrenie festgestellt und die Voraussetzungen des § 21 StGB für gegeben erachtet, da die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zu den Tatzeiten erheblich vermindert gewesen sei. Für die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung ist dies jedoch für sich genommen ohne Belang (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2004 - 2 StR 199/04, NStZRR 2004, 341 und vom 11. Oktober 2007 - 3 StR 368/07). Hierbei war zum einen zu berücksichtigen, dass Zweifel des Tatgerichts an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten nicht ersichtlich sind, ausweislich der Urteilsfeststellungen die Symptome der Krankheit bei der Angeklagten durch die medikamentöse Behandlung deutlich zurückgegangen sind. Zudem ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Angeklagten, noch aus den Erklärungen der Angeklagten gegenüber ihrem Verteidiger oder der sozialpädagogischen Betreuerin, dass sie in ihrer Freiheit der Willensentschließung und -betätigung beeinträchtigt gewesen war. Vielmehr belegen ihre Eingaben, dass die Angeklagte in der Lage ist, für ihre Interessen einzutreten und dabei die Bedeutungen ihrer Erklärungen zu erkennen. So hat sie sich immer wieder auf ihr Rechtsmittel vom 4. August 2016 bezogen und zutreffend geltend gemacht, dass sie als juristischer Laie keinen Überblick darüber haben könne, ob es Einspruch oder Revision heiße. Im Nachgang zu der Rücksprache der sozialpädagogischen Betreuerin bei Gericht am 11. August 2016 hat die Angeklagte dafür Sorge getragen, dass ihr unter dem Datum "04.08.2016" verfasstes Schreiben per Fax an das Gericht geschickt wurde, um ihr Vorbringen einer eigenhändigen Rechtsmitteleinlegung zu untermauern. Sie hat persönlich sowohl gegen den Beschluss des Landgerichts vom 23. August 2016 fristgerecht Beschwerde eingelegt als auch gegen den Beschluss vom 28. September 2016 entsprechend der Rechtsmittelbelehrung noch am Tag des Erhalts des Beschlusses "Antrag zur Entscheidung beim Revisionsgericht" gestellt.

Danach stellt sich ihr Irrtum über die Reichweite der Ermächtigung zur Rücknahme und die Rechtzeitigkeit des eigenhändig eingelegten Rechtsmittels als ein Irrtum dar, dem rechtliche Fehlvorstellungen zugrunde liegen, nicht aber eine auf die schizophrene Erkrankung zurückgehende Beeinträchtigung der Willensbildung oder -betätigung (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 und vom 19. Juni 2012 - 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318 ). Ein Motivirrtum ist aber ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Ermächtigung (BGH, Beschluss vom 24. August 2016 - 1 StR 380/16).

b) Die Angeklagte hat die dem Verteidiger erteilte Ermächtigung auch nicht wirksam widerrufen. Dies wäre nur zulässig, solange die Rücknahmeerklärung noch nicht bei Gericht eingegangen ist (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2016 - 4 StR 558/16). Das von der Angeklagten selbstverfasste, als "Einspruch" bezeichnete Schreiben ging zwar vor der Rücknahmeerklärung ein, jedoch lässt sich daraus ein Widerruf der zum Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens noch gar nicht erteilten Ermächtigung nicht entnehmen. An die danach wirksame Revisionsrücknahme ist die Angeklagte gebunden, die Rücknahme ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2016 - 4 StR 558/16 und vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 ). Durch die am 11. August 2016 erfolgte Rücksprache der sozialpädagogischen Betreuerin der Angeklagten bei Gericht konnte die Revisionsrücknahme daher nicht zurückgenommen werden.

c) Der Beschluss des Landgerichts vom 28. September 2016, mit dem die Revision der Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, war aufzuheben. Die Unzulässigkeit der Revision infolge wirksam erklärter Revisionsrücknahme kann nur das Revisionsgericht feststellen (§ 349 Abs. 1 StPO ). Für eine Entscheidung des Tatrichters nach § 346 Abs. 1 StPO ist daneben kein Raum (BGH, Beschluss vom 23. November 2005 - 1 StR 436/05). Es verbleibt auch dann bei der alleinigen Befugnis des Revisionsgerichts, wenn dieser Unzulässigkeitsgrund mit hier ebenfalls gegebenen Mängeln der Form- oder Fristeinhaltung zusammentrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 ).

III.

1. Soweit das Landgericht durch Beschluss vom 23. August 2016 das Wiedereinsetzungsgesuch als unzulässig verworfen hat, war dieser Beschluss aufzuheben.

Das Landgericht war für diese Entscheidung nicht zuständig, § 46 Abs. 1 StPO . Jedenfalls in den Fällen, in denen die Ablehnung der Wiedereinsetzung durch das unzuständige Gericht nicht in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. hierzu RG, Beschluss vom 24. September 1907 - IV 1678/07, RGSt 40, 271), ist das Revisionsgericht an der Aufhebung eines durch das unzuständige Gericht erlassenen Beschlusses nicht gehindert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. März 1960 - 4 StR 143/60 und vom 2. Dezember 1976 - 4 StR 587/76; BayObLG, Beschluss vom 23. Juni 1961 - RReg. 1 St 322/61, NJW 1961, 1982 ; KKGericke, StPO , 7. Aufl., § 346 Rn. 32).

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war als unzulässig zu verwerfen.

Der Wiedereinsetzung steht schon die wirksame und damit nicht widerrufbare oder anfechtbare Rücknahmeerklärung entgegen, die zum Verlust des Rechtsmittels führt (BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2016 - 4 StR 558/16 und vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 ). Eine Wiedereinsetzung ist rechtlich ausgeschlossen und daher unzulässig (BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 - 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318 und vom 13. Juli 1999 - 4 StR 293/99).

IV.

Im Übrigen hätte das Rechtsmittel in der Sache keinen Erfolg. Angesichts der Besonderheiten des Tatgeschehens - die Angeklagte verschaffte sich u.a. wiederholt Zugang zu Studentenwohnheimzimmern, um diese als Schlafplatz zu nutzen sowie Lebensmittel und Wertgegenstände zu entwenden, wobei sie in einem Fall zur Ermöglichung ihrer Flucht eine hinzu tretende Geschädigte mit Faustschlägen attackierte - ist die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts, das auch auf die jenseits der angeklagten Taten von der Angeklagten begangenen Aggressionsdelikte abgestellt hat, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 28.09.2016
Fundstellen
NStZ 2017, 487
NStZ 2017, 6
NStZ-RR 2017, 6