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BGH - Entscheidung vom 25.04.2017

XI ZR 212/16

Normen:
BGB a.F. § 355 Abs. 1
a.F. § 355 Abs. 2
BGB a.F. § 495 Abs. 1
BGB-InfoV a.F. § 14
EGBGB Art. 229 § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
EGBGB Art. 229 § 22 Abs. 2
EGBGB Art. 229 § 32
EGBGB Art. 229 § 38 Abs. 1 S. 1

BGH, Urteil vom 25.04.2017 - Aktenzeichen XI ZR 212/16

DRsp Nr. 2017/7380

Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags; Unklare Belehrung des Versicherungsnehmers über die Länge der Widerrufsfrist; Berufung des Darlehensgebers auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung

Der in einem Verbraucherdarlehensvertrag in der Widerrufsbelehrung enthaltene Begriff "frühestens" informiert unzureichend deutlich über den Beginn und mittels der eingefügten Fußnote "Bitte Frist im Einzelfall prüfen" unklar über die Länge der Widerrufsfrist.

Tenor

Auf die Revision der Kläger und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wird das Teil-Anerkenntnis- und Endurteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 27. April 2016 im Kostenpunkt und mit Ausnahme der Entscheidung über die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Kläger erkannt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB a.F. § 355 Abs. 1 ; a.F. § 355 Abs. 2; BGB a.F. § 495 Abs. 1 ; BGB-InfoV a.F. § 14 ; EGBGB Art. 229 § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ; EGBGB Art. 229 § 22 Abs. 2 ; EGBGB Art. 229 § 32 ; EGBGB Art. 229 § 38 Abs. 1 S. 1;

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen der Kläger.

Die Kläger schlossen zur Finanzierung des Erwerbs einer Eigentumswohnung im Mai 2008 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Nennbetrag von 185.000 € und einen bis zum 30. April 2018 festen Zinssatz von 4,99% p.a. (effektiver Jahreszins 5,11%). Die Beklagte belehrte die Kläger am 21. Mai 2008 über ihr Widerrufsrecht wie folgt:

Im Frühjahr 2010 änderten die Parteien ihre Vereinbarung zur Tilgung und reduzierten die monatlich von den Klägern zu zahlende Rate. Ende 2012 verkauften die Kläger die Immobilie. Sie zahlten das Darlehen vorzeitig zum 1. Oktober 2013 zurück. Die Beklagte machte eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 24.924,88 € geltend, die die Kläger entrichteten. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18. Februar 2014 widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.

Ihre auf Rückzahlung der geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung nebst Herausgabe gezogener Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten sowie auf Rückgewähr des Bearbeitungsentgelts gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat die Beklagte den Anspruch der Kläger auf Rückgewähr des Bearbeitungsentgelts anerkannt. Das Berufungsgericht hat insoweit Teilanerkenntnisurteil erlassen. Im Übrigen hat es die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter, soweit sie in zweiter Instanz ohne Erfolg geblieben sind.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Der von den Klägern erklärte Widerruf sei unwirksam, da bei Erklärung des Widerrufs die Widerrufsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Zwar habe die Beklagte mittels der Verwendung des Worts "frühestens" unzureichend über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist belehrt. Sie könne sich indessen, da sie lediglich redaktionelle Bearbeitungen vorgenommen habe, auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung berufen.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Teilen nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 , §§ 32 , 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen.

2. Unzutreffend ist dagegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 18. Februar 2014 bereits abgelaufen gewesen.

a) Die den Klägern erteilte Widerrufsbelehrung informierte, was das Berufungsgericht noch gesehen hat, mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn und - insoweit vom Berufungsgericht fehleingeschätzt - mittels der eingefügten Fußnote: "Bitte Frist im Einzelfall prüfen" unklar über die Länge der Widerrufsfrist (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, WM 2016, 1930 Rn. 18 f., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

b) Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier wegen § 16 BGB-InfoV noch maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung kann sich die Beklagte entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts nicht berufen. Wie der Senat für eine inhaltsgleiche Widerrufsbelehrung nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, hat die Beklagte das Muster, was der Senat durch einen Vergleich selbst feststellen kann (st. Rspr., zuletzt Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 26, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ), einer inhaltlichen Bearbeitung unterzogen, die über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion Unschädliche hinausgeht.

c) Die Beendigung des Darlehensvertrags stand dem Widerruf nicht entgegen (Senatsurteil vom 11. November 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 28).

III.

Das Berufungsurteil stellt sich nur insoweit aus anderen Gründen als richtig dar, als das Berufungsgericht einen Anspruch der Kläger auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten versagt hat (§ 561 ZPO ). Im Übrigen hält das Berufungsurteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung auch nicht mit anderer Begründung stand.

1. Den Klägern steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten zu. Aus Verzug können die Kläger selbst dann, wenn sich der Darlehensvertrag aufgrund ihres Widerrufs in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt haben sollte, Zahlung nicht verlangen. Da der vorgerichtlich mandatierte Rechtsanwalt als Vertreter der Kläger den Widerruf erklärt hat, nach eigenem Vortrag der Kläger schon am 14. Januar 2014 mit der Angelegenheit befasst und auf der Grundlage einer im Februar 2014 getroffenen Honorarvereinbarung tätig wurde, ist er, was aber Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit wäre, nicht nach Eintritt des Schuldnerverzugs mandatiert worden (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, n.n.v. Rn. 31). Die Kläger können die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten auch nicht mit der Begründung verlangen, die Beklagte schulde ihnen Schadensersatz, weil sie ihre Verpflichtung zur Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verletzt habe (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 aaO Rn. 34 f.).

2. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des § 561 ZPO nicht vor. Insbesondere kann der Senat mangels hinreichender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht von einer Verwirkung des Widerrufsrechts der Kläger ausgehen.

IV.

Der Senat kann umgekehrt, soweit das Berufungsurteil der Aufhebung unterliegt, nicht zugunsten der Kläger in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO ). Insbesondere kann der Senat einer tatrichterlichen Würdigung der für eine Subsumtion unter § 242 BGB maßgeblichen Umstände nicht vorgreifen.

V.

Mangels Entscheidungsreife ist die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Das Berufungsgericht wird sich nach Maßgabe der nach Erlass des Berufungsurteils präzisierten Grundsätze mit dem Einwand auseinanderzusetzen haben, der Ausübung des Widerrufsrechts habe § 242 BGB entgegen gestanden (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, WM 2016, 1835 Rn. 39 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ, und - XI ZR 564/15, WM 2016, 1930 Rn. 34 ff. sowie vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30). Sollte es dahin gelangen, der Widerruf der Kläger habe dazu geführt, dass sich der Darlehensvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt habe, wird es, soweit es auf die Vermutung zurückgreift, die Beklagte habe mit den Zins- und Tilgungsleistungen Nutzungen in einer bestimmten Höhe erwirtschaftet, Feststellungen dazu zu treffen haben, ob zwischen den Parteien ein Immobiliardarlehensvertrag im Sinne des § 492 Abs. 1a Satz 2 BGB in der vom 1. August 2002 bis zum 18. August 2008 geltenden Fassung zustande gekommen ist (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, WM 2016, 1930 Rn. 58).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 25. April 2017

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 17.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 334 O 199/14
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 27.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 78/15