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BGH - Entscheidung vom 20.06.2017

EnVR 40/16

Normen:
StromNEV § 18 Abs. 1 S. 2
StromNEV § 18 Abs. 1 S. 2
StromNEV § 18 Abs. 1 S. 2

Fundstellen:
MDR 2017, 1064

BGH, Beschluss vom 20.06.2017 - Aktenzeichen EnVR 40/16

DRsp Nr. 2017/10128

Vorlagerung einer von einem anderen Netzbetreiber betriebenen Netzebene

Die vorgelagerte Netzebene im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV muss nicht zwingend eine höhere Ebene sein als die Ebene des Netzes, in der die dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von einem anderen Netzbetreiber betrieben wird und deshalb für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt anfällt, das durch die dezentrale Einspeisung vermieden wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 31. August 2016 wird zurückgewiesen.

Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 327.000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

StromNEV § 18 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I. Die Antragstellerin betreibt ein Heizkraftwerk, das an das von der Antragsgegnerin betriebene Elektrizitätsverteilernetz in der Hochspannungsebene (110 Kilovolt, Ebene 3 im Sinne der Anlage 3 zur Stromnetzentgeltverordnung) angeschlossen ist. Das Netz der Antragstellerin ist in derselben Ebene an das vorgelagerte Verteilernetz der Bayernwerk AG angeschlossen.

Seit Januar 2015 berechnet die Antragsgegnerin das nach § 18 StromNEV zu zahlende Entgelt - in Übereinstimmung mit der von der Bundesnetzagentur vertretenen Rechtsauffassung - nach dem Preisblatt der Bayernwerk AG für die Umspannebene Höchst-/Hochspannung (Ebene 2). Dies führt für die Antragstellerin im Vergleich zur zuvor praktizierten Abrechnung nach dem Preisblatt der Bayernwerk AG für die Ebene 3 zu Mindererlösen.

Die Antragstellerin hat begehrt, der Antragsgegnerin im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens nach § 31 EnWG die Berechnung nach dem Preisblatt für die Ebene 3 aufzugeben. Die Bundesnetzagentur hat diesen Antrag zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht die ablehnende Entscheidung aufgehoben und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet. Dagegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Antragstellerin entgegentritt.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin zur Ermittlung des vermiedenen Netzentgelts das Preisblatt für die Umspannebene von Höchst- zu Hochspannung zu Grunde gelegt. Der nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV maßgebliche Begriff "vorgelagerte Netz- oder Umspannebene" sei nicht nur spannungsbezogen, sondern daneben auch netzbetreiberbezogen auszulegen. Zwar spreche der Wortlaut eher für eine spannungsbezogene Auslegung. Er schließe es aber nicht aus, den Begriff "Netzebene" in bestimmten Situationen auch netzbetreiberbezogen zu verstehen. Für eine solche Auslegung sprächen die Begründung des Verordnungsentwurfs, die Entstehungsgeschichte der Norm, ihre Systematik und ihr Sinn und Zweck. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur ergebe sich aus Art. 3 GG keine abweichende Beurteilung.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das der Antragstellerin gemäß § 18 Abs. 1 StromNEV zustehende Entgelt für dezentrale Einspeisung anhand des Preisblatts für die Hochspannungsebene zu berechnen ist.

Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV muss das Entgelt für dezentrale Einspeisung den Netzentgelten entsprechen, die gegenüber den vorgelagerten Netz- oder Umspannebenen durch die jeweilige Einspeisung vermieden werden. Als vorgelagerte Ebene in diesem Sinne ist die Netz- oder Umspannebene des vorgelagerten Netzes anzusehen. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur muss dies nicht zwingend eine höhere Ebene sein als die Ebene des nachgelagerten Netzes, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von einem anderen Netzbetreiber betrieben wird und deshalb für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt anfällt, das durch die dezentrale Einspeisung vermieden wird.

a) Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig.

Die Begriffe "Netzebene" und "Umspannebene" knüpfen allerdings an bestimmte Spannungsbereiche und damit an technische Sachverhalte an. Netzebenen sind nach § 2 Nr. 10 StromNEV die Bereiche von Elektrizitätsversorgungsnetzen, in welchen elektrische Energie in Höchst-, Hoch-, Mittel- oder Niederspannung übertragen oder verteilt wird. Umspannebenen sind nach § 2 Nr. 12 StromNEV sinngemäß die Bereiche, in denen die Spannung zwischen zwei benachbarten Netzebenen umgewandelt wird.

Daraus ist jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, worauf sich der Begriff "vorgelagert" bezieht. Die an technischen Gegebenheiten orientierte Definition in § 2 Nr. 10 StromNEV mag zwar nahelegen, dass nur höhere Netz- oder Umspannebenen als vorgelagert angesehen werden können. Der Wortlaut lässt indes auch das Verständnis zu, dass als Vergleichsobjekt das nachgelagerte Netz anzusehen ist, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt - unabhängig davon, ob dieses Netz zu einer anderen Ebene gehört als das vorgelagerte Netz.

b) Die Systematik der Stromnetzentgeltverordnung führt ebenfalls nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.

Für eine nicht allein an der Spannungsebene orientierte Auslegung spricht allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, der auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogene Umstand, dass eine Kostenwälzung auf das nachgelagerte Netz gemäß § 14 StromNEV auch dann stattfindet, wenn das vorgelagerte Netz auf derselben Netzebene betrieben wird. Hieraus ergeben sich indes keine zwingenden Schlussfolgerungen. Der Betreiber des nachgelagerten Netzes hätte die auf seine Entnahme entfallenden Kosten nämlich auch dann zu tragen, wenn er als Weiterverteiler im Sinne von § 14 Abs. 1 StromNEV zu qualifizieren wäre.

Aus demselben Grund ermöglicht der Umstand, dass es im vorgelagerten Netz eine Entnahmestelle im Sinne von § 2 Nr. 6 StromNEV geben muss, aus der Energie in das nachgelagerte Netz eingespeist wird, ebenfalls keine eindeutige Schlussfolgerung. § 2 Nr. 6 StromNEV sieht eine Entnahme nicht nur durch Letztverbraucher und nachgelagerte Netz- oder Umspannebenen vor, sondern auch durch Weiterverteiler.

c) Aus der Entstehungsgeschichte von § 18 StromNEV ergeben sich ebenfalls keine eindeutigen Hinweise.

Hierbei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang der Verordnungsgeber die Regelung aus der Verbändevereinbarung II plus aufgreifen wollte. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts knüpfte auch diese Vereinbarung an die Einsparung von Netzentgelten in vorgelagerten Netzebenen an und warf mithin vergleichbare Auslegungsfragen auf. Selbst wenn der Verordnungsgeber diese Regelung hätte unverändert übernehmen wollen, stellte sich die für die Entscheidung des Streitfalls relevante Frage mithin in gleicher Weise.

Der in der Anlage der Verbändevereinbarung enthaltenen Definition des Begriffs "Netzbereich" kommt ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Stromnetzentgeltverordnung verwendet diesen Begriff nicht. Sie enthält auch keine Definition des in § 2 Nr. 10 und 12 StromNEV verwendeten Begriffs "Bereich". Angesichts dessen kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Verordnungsgeber die früher geltende Regelung in jeder Hinsicht unverändert übernehmen wollte.

d) Dass der Begriff "vorgelagerte Netzebene" nicht allein anhand der eingesetzten Spannung zu bestimmen ist, ergibt sich, wie das Beschwerdegericht zu Recht entschieden hat, aus dem Sinn und Zweck von § 18 Abs. 1 StromNEV.

aa) § 18 Abs. 1 StromNEV dient dem Zweck, dem Betreiber einer dezentralen Erzeugungsanlage die Vorteile zukommen zu lassen, die der Netzbetreiber infolge der dezentralen Einspeisung durch Vermeidung von Entgelten für die Nutzung vorgelagerter Netze erzielt.

In der Begründung des Verordnungsentwurfs wird ausgeführt, die dezentrale Einspeisung elektrischer Energie verursache unmittelbar eine Reduzierung der Entnahme aus der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene. Dies habe kurzfristig zur Folge, dass aus Sicht des Netzbetreibers, in dessen Netzoder Umspannebene dezentral eingespeist werde, der von ihm zu tragende Anteil der Kosten des vorgelagerten Netzes sinke, der von den übrigen entnehmenden Netzkunden zu tragende Anteil hingegen steige. Mittel- bis langfristig könne die dezentrale Einspeisung tendenziell zu einer Reduzierung der erforderlichen Netzausbaumaßnahmen in den vorgelagerten Netzebenen und damit zu geringeren Gesamtnetzkosten führen. Zur Abgeltung dieses Beitrags zur Netzkostenverminderung werde Betreibern von dezentral einspeisenden Erzeugungsanlagen ein Entgelt gezahlt (BR-Drucks. 245/05 S. 39).

Diese Ausführungen beziehen sich zwar überwiegend auf Netz- und Umspannebenen. Die wesentlichen Effekte, die den Verordnungsgeber zu der Regelung bewogen haben, - ein geringerer Anteil des Netzbetreibers an den Kosten des vorgelagerten Netzes und eine tendenziell geringere Belastung des vorgelagerten Netzes - treten grundsätzlich aber auch dann ein, wenn der Anschluss an das vorgelagerte Netz auf derselben Ebene erfolgt.

bb) Der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage, ob dezentrale Einspeisung mittel- oder langfristig tatsächlich zu einer Kostensenkung führt, kommt vor diesem Hintergrund keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Die Rechtsbeschwerde sieht die Gefahr, dass die Betreiber vorgelagerter Netze zu einer Reduzierung von Ausbaumaßnahmen nicht in der Lage sein werden, weil sie Vorsorge für einen Ausfall der dezentralen Erzeugungsanlagen treffen müssen. Diese Gefahr besteht indes ebenfalls grundsätzlich unabhängig davon, ob das vorgelagerte Netz zu derselben oder zu einer höheren Ebene gehört. Sie kann es deshalb nicht rechtfertigen, bei der Bemessung des Entgelts zwischen diesen beiden Konstellationen zu differenzieren.

e) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine abweichende Beurteilung nicht aus Gründen der Gleichbehandlung geboten.

Die in § 18 Abs. 1 StromNEV vorgegebene Berechnungsweise hat allerdings zur Folge, dass die Höhe des Entgelts von den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Netzes abhängt. Dies ist indes schon deshalb sachgerecht, weil die Netzkosten generell durch Besonderheiten des jeweiligen Netzes geprägt sind. Angesichts dessen fließt einem Anlagenbetreiber, dessen Einspeisung in besonders hohem Umfang zur Vermeidung von Netzentgelten führt, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein ungerechtfertigter Vorteil zu. Es entspricht vielmehr dem Zweck von § 18 Abs. 1 StromNEV und der vom Verordnungsgeber vorgegebenen Berechnungsweise, wenn die erzielten Einsparungen nicht der Gesamtheit der Netzbetreiber zukommen, sondern dem Anlagenbetreiber, auf dessen Einspeisung sie beruhen.

Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob das Entgelt für dezentrale Einspeisung in bestimmten Konstellationen sogar höher sein kann als die vermiedenen Entgelte für die Nutzung vorgelagerter Netz- oder Umspannebenen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Selbst wenn sie zu bejahen wäre, ergäbe sich daraus für die hier zu beurteilende Konstellation nicht, dass das Entgelt für die Einspeisung geringer sein muss als die vermiedenen Netzentgelte.

f) Die von der Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob die vorgelagerte Netz- oder Umspannebene im Zusammenhang mit der Festlegung von Entgelten für singulär genutzte Betriebsmittel gemäß § 19 Abs. 3 Satz 4 StromNEV zwingend eine höhere Ebene sein muss als die Ebene, zu der die singulär genutzten Betriebsmittel gehören, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung.

Aus dem oben aufgezeigten Zweck des § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV ergibt sich, dass die vorgelagerte Netzebene im Sinne dieser Vorschrift nicht zwingend eine höhere Ebene sein muss. Dies schließt nicht aus, dass die entsprechende Frage im Zusammenhang mit § 19 Abs. 3 Satz 4 StromNEV aufgrund einer möglicherweise abweichenden Zielsetzung dieser Vorschrift anders zu entscheiden ist. Wenn § 19 Abs. 3 Satz 4 StromNEV einem anderen Zweck dient, können aus der Auslegung dieser Vorschrift aber auch keine Rückschlüsse für die Auslegung von § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV gezogen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG , die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO .

Verkündet am: 20. Juni 2017

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 31.08.2016 - Vorinstanzaktenzeichen VI-3 Kart 116/15 (V)
Fundstellen
MDR 2017, 1064