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BGH - Entscheidung vom 23.05.2017

X ZR 90/15

Normen:
PatG § 110

BGH, Urteil vom 23.05.2017 - Aktenzeichen X ZR 90/15

DRsp Nr. 2017/10237

Patentfähigkeit eines Verfahresn und einer Vorrichtung zum Filtern von digitalen Videobildern; Blockweise Codierung und Decodierung des Videosignals; Zurverfügungstellung eines Filterverfahrens zur Ermöglichung einer möglichst originalgetreuen Darstellung

Ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Filtern von digitalen Videobildern mit einer blockweisen Codierung und Decodierung des Videosignals ist patentfähig, wenn der Gegenstand des Patentanspruchs in der erteilten Fassung dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 15. April 2015 wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Normenkette:

PatG § 110 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 186 177 (Streitpatents), das am 22. Januar 2001 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 20. Januar 2000 angemeldet wurde. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:

"A method for reducing visual artefacts in a frame of a digital video signal, which is coded by blocks and then decoded, a block type being defined according to the prediction encoding method for a block selected from a predetermined set of coding types, the method comprising performing an adaptive block boundary filtering operation on a block boundary formed between a first decoded image block on a first side of the block boundary and a second decoded image block on a second side of the block boundary, characterized in that the first decoded image block have been encoded using a first type of prediction encoding method and the second decoded image block have been encoded using a second type of prediction encoding method, wherein at least one parameter of the filtering operation is determined based on the types of the first and second prediction encoding methods, and the first and second type of prediction encoding methods are selected from a group of prediction encoding methods comprising at least: intra coding, copy coding, motion-compensated prediction coding, and not-coded coding."

Patentanspruch 16 schützt eine Vorrichtung, mit der das geschützte Verfahren ausgeführt werden kann, Patentanspruch 35 ein Speichermedium zum Speichern eines entsprechenden Softwareprogramms. Die übrigen Patentansprüche sind auf einen dieser drei Ansprüche zurückbezogen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den ursprünglichen Inhalt der Anmeldungsunterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten und hilfsweise in 17 geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit dem 12. Hilfsantrag verteidigte Fassung hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen wenden sich beide Parteien mit der Berufung.

Die Klägerin strebt weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents an. Die Beklagte beantragt die vollständige Abweisung der Klage und verteidigt das Streitpatent hilfsweise in zehn geänderten Fassungen, wobei die Fassung von Hilfsantrag V mit derjenigen des angefochtenen Urteils übereinstimmt.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Berufung der Beklagten führt hingegen zur vollständigen Abweisung der Klage.

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Filtern von digitalen Videobildern.

1. Nach der Beschreibung des Streitpatents waren im Stand der Technik Übertragungssysteme für digital komprimierte Videosignale nach den Standards H.261 und H.263 bekannt, bei denen die Daten blockweise codiert und in aufeinanderfolgenden Rahmen (Frames) angeordnet werden. Jeder Rahmen entspricht einem einzelnen Videobild und ist in mehrere Blöcke unterteilt, die zu Blockregionen zusammengefasst werden. Ein Block umfasst typischerweise die Daten von 8x8 Bildpunkten (Pixel). Diese werden üblicherweise mittels einer diskreten Cosinustransformation codiert und anschließend quantisiert. Beim Quantisieren kann es zu Rundungsfehlern kommen, die eine Diskontinuität an der Grenze zwischen zwei benachbarten Blöcken (Blockartefakte) zur Folge haben können. Im Stand der Technik bekannte Filterverfahren zur Korrektur solcher Fehler können nach der Beschreibung des Streitpatents dazu führen, dass auch Linien entfernt werden, die zum realen Bild gehören.

2. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Filterverfahren zur Verfügung zu stellen, das eine möglichst originalgetreue Darstellung ermöglicht.

3. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1.

Das Verfahren dient dem Reduzieren visueller Fehler in einem Rahmen eines digitalen Videosignals,

2.

welches blockweise codiert und dann decodiert wird.

2.1

Entsprechend (according to) dem Prognosecodierverfahren für einen Block wird ein Blocktyp definiert, der aus einem vorherbestimmten Satz von Codiertypen ausgewählt ist.

3.

Das Verfahren umfasst die Durchführung einer adaptiven Blockgrenzenfilteroperation an einer Blockgrenze,

3.1

die zwischen einem ersten decodierten Bildblock auf einer ersten Seite der Blockgrenze und einem zweiten decodierten Bildblock auf einer zweiten Seite der Blockgrenze gebildet ist.

4.

Der erste decodierte Bildblock wird mit einem ersten Prognosecodierverfahrenstyp codiert,

5.

der zweite decodierte Bildblock mit einem zweiten Prognosecodierverfahrenstyp.

6.

Mindestens ein Parameter der Filteroperation wird auf Basis der ersten und zweiten Prognosecodierverfahrenstypen bestimmt.

7.

Die ersten und zweiten Prognosecodierverfahrenstypen werden aus einer Gruppe von Prognosecodierverfahren ausgewählt, die mindestens Intracodierung, Kopiercodierung, Prognosecodierung mit Bewegungskompensation und nichtcodierte Codierung umfasst.

Die Vorrichtung nach Patentanspruch 16 und das auf dem Speichermedium nach Patentanspruch 35 gespeicherte Softwareprogramm dienen der Anwendung dieses Verfahrens.

4. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung

a) Die in Merkmal 3 vorgesehene adaptive Blockgrenzenfilteroperation (adaptive block boundary filter operation) ist ein Filtervorgang, der an der Grenze zwischen zwei Blöcken stattfindet, also ein oder mehrere Pixel betrifft, die an einer solchen Grenze liegen.

Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat und auch die Beklagte im Ansatz nicht in Zweifel zieht, schließt Patentanspruch 1 nicht aus, zusätzlich zu dem geschützten Verfahren auch Pixel im Inneren eines Blocks einem Filtervorgang zu unterziehen. Eine Blockgrenzenfilteroperation im Sinne von Merkmal 3 setzt aber voraus, dass ein oder mehrere Pixel an den Blockgrenzen zumindest zum Teil mit anderen Maßgaben gefiltert werden als die übrigen Pixel des jeweiligen Blocks.

b) Adaptiv ist ein Filtervorgang im Sinne von Merkmal 3, wenn die Art und Weise, in der die Filterung durchgeführt wird, in Abhängigkeit von bestimmten Voraussetzungen unterschiedlich ausgestaltet ist.

Bei dem im Streitpatent geschilderten Ausführungsbeispiel erfolgt die Anpassung des Filters in bestimmten Situationen dergestalt, dass die zu filternden Daten nicht verändert werden. Mangels abweichender Festlegungen im Patentanspruch ist auch dies als Adaption im Sinne von Merkmal 3 anzusehen. Ob dieses Ergebnis durch situationsbedingtes Absehen von einer Filterung oder durch Filterung mit einer "Filterstärke 0" durchgeführt wird, ist unerheblich, weil Patentanspruch 1 keine näheren Anforderungen für die Ausgestaltung des Filtervorgangs vorsieht.

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts folgt hieraus indes, dass eine Filteroperation auch dann adaptiv ist, wenn sie für bestimmte Situationen eine Filterung und für andere Situationen lediglich das Absehen von einer Filterung vorsieht. Auch bei einer solchen Ausgestaltung findet eine Adaption im Sinne von Merkmal 3 statt, weil nicht in jeder Situation nach derselben Regel gefiltert wird.

c) Von zentraler Bedeutung ist die in mehreren Merkmalen vorgesehene oder vorausgesetzte Einteilung der Blöcke in verschiedene Blocktypen.

aa) Die Blocktypen werden gemäß Merkmal 2.1 anhand der Art und Weise definiert, in der der jeweilige Block codiert ist.

bb) Nach Merkmal 4 und 5 weisen der erste Bildblock einen ersten und der benachbarte zweite Bildblock einen zweiten Codiertyp auf. Diese Codiertypen können bei einzelnen Blockpaaren unterschiedlich, bei anderen hingegen gleich sein. Nach Merkmal 6 muss mindestens ein Parameter der Filteroperation auf Basis der beiden Codiertypen bestimmt sein.

Das bedeutet, dass die Bestimmung von der jeweiligen Kombination aus erstem und zweitem Codiertyp abhängt. Bei dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel erfolgt dies dergestalt, dass ein Parameter für die Filterung - im Ausführungsbeispiel die Anzahl der bei dem Filtervorgang untersuchten Pixel auf den beiden Seiten der Blockgrenze - für jede mögliche Kombination zweier Codiertypen gesondert festgelegt wird. Eine solche Zuordnung - bei der die Zahl der untersuchten Pixel zusätzlich durch einen Höchstwert n begrenzt ist - wird beispielhaft in Tabelle 1 der Streitpatentschrift (Abs. 31) und in Patentanspruch 9 dargestellt:

Diesem Beispiel ist mangels abweichender Festlegungen in Patentanspruch 1 zu entnehmen, dass nicht zwingend für jede Kombination ein unterschiedlicher Parameter bestimmt werden muss. So sind in der Tabelle etwa für die Kombinationen "intra/copy" und "not coded/copy" dieselben Parameter vorgesehen.

Dass in Tabelle 1 abweichend von der oben wiedergegebenen Darstellung in Patentanspruch 9 und abweichend von der Darstellung in der Anmeldung für die Kombination "not coded/intra" das Wertepaar "4/n" (statt "2/n") angegeben wird, führt schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil die Festlegung der Filterparameter auch in dieser Ausgestaltung der aufgezeigten Regel entspricht.

d) Nach Merkmal 7 sind die beiden Codiertypen aus einer Gruppe ausgewählt, die mindestens vier näher festgelegte Codierverfahren (intra, copy, motion-compensated [coded], not coded) umfasst.

aa) Die grundlegende Funktionsweise dieser Typen ist in Abs. 3 der Beschreibung erläutert:

-

Bei intra-Codierung wird ein Block ohne Bezugnahme auf andere Rahmen oder andere Blöcke codiert.

-

Bei copy-Codierung stimmt ein Block vollständig mit einem an der gleichen Stelle gelegenen Block eines in Bezug genommenen Rahmens überein.

-

Bei coded-Codierung wird die Bezugnahme auf einen Block in einem anderen Rahmen ergänzt durch Bewegungsinformationen (motion compensated prediction) und durch zusätzliche Korrekturinformationen (prediction error).

-

Bei not-coded-Codierung wird die Bezugnahme auf einen Block in einem anderen Rahmen lediglich durch Bewegungsinformationen (motion compensated prediction) ergänzt.

bb) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist das in Merkmal 7 aufgestellte Mindestkriterium ("comprising at least") dahin auszulegen, dass das Verfahren mindestens dazu geeignet sein muss, eine Unterscheidung zwischen jedem dieser vier Typen vorzunehmen.

Der Wortlaut von Merkmal 7, wonach die Gruppe, aus der die beiden Codiertypen ausgewählt sind, mindestens die vier genannten Typen umfassen muss, mag bei isolierter Betrachtung das Verständnis zulassen, dass es ausreicht, wenn das Filterverfahren zumindest einzelne dieser Typen berücksichtigt.

Merkmal 7 steht aber in engem Zusammenhang mit Merkmal 2.1. Danach werden die in das Verfahren einbezogenen Blöcke einem Blocktyp zugeordnet, der aus einer vordefinierten Gruppe ausgewählt wird. Auf diese Gruppe beziehen sich die näheren Festlegungen in Merkmal 7. Der dort definierten Vorgabe, wonach die Gruppe mindestens vier Codiertypen umfassen muss, ist folglich zu entnehmen, dass das Verfahren dazu geeignet sein muss, eine Zuordnung zu jedem dieser vier Typen vorzunehmen.

Dass Merkmal 6 wie bereits erwähnt die Möglichkeit offenlässt, für mehrere Kombinationen von Codiertypen dieselben Filterparameter vorzusehen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Aus Merkmal 2.1 ergibt sich, dass jeder in das Verfahren einbezogene Block ungeachtet dieser Möglichkeit einem Codiertyp zugeordnet werden muss und dass mindestens ein Filterparameter auf der Basis dieser Zuordnung festzulegen ist - wenn auch nicht zwingend in der Weise, dass für jede Kombination ein anderer Parameter festgelegt wird.

Dieses Verständnis deckt sich mit dem bereits erwähnten und in Tabelle 1 sowie Anspruch 9 der Streitpatentschrift illustrierten Ausführungsbeispiel. Dieses sieht nur vor, dass bei bestimmten Einzelkombinationen derselbe Filterparameter zum Einsatz kommt, der auch für andere Einzelkombinationen vorgesehen ist, nicht aber, dass ein einzelner Codiertyp in jeder Situation gleich behandelt wird wie ein anderer Codiertyp. So ist wie bereits erwähnt etwa für die Kombinationen "intra/copy" und "not coded/copy" derselbe Parameter vorgesehen. Dies macht die Unterscheidung zwischen den Codiertypen "intra" und "not coded" aber nicht entbehrlich. Sie ist zum Beispiel bei der Kombination mit dem Codiertyp "coded" von Bedeutung, weil für "intra/coded" ein anderer Parameter vorgesehen ist als für "not coded/coded".

cc) Für Patentanspruch 16 gilt trotz des abweichenden Wortlauts im Ergebnis nichts anderes.

Nach dem Wortlaut dieses Anspruchs genügt es zwar, wenn die beiden Blöcke nach einem der vier Verfahren codiert sind. Aus dem Zusammenhang mit Merkmal 2.1 ergibt sich dennoch auch hier, dass die Aufzählung der vier Verfahren dazu dient, die Gruppe von Codierverfahren zu umschreiben, zu deren Erkennung und Berücksichtigung bei der Adaption des Filterverfahrens die Vorrichtung in der Lage sein muss.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Entgegen der Auffassung der Klägerin gehe der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Dieser Gegenstand sei aber in den Entgegenhaltungen NK5 und D5, die als Einheit zu behandeln seien, vollständig offenbart.

In NK5 werde ein Filterverfahren zur Reduzierung von Blockartefakten in Videodaten nach dem Standard H.263 vorgestellt. Dieser Filterung, bei der mittels eines Schwellenwertvergleichs Pixel identifiziert würden, die auf einer Kante lägen, würden zwar alle Pixel eines Blocks unterzogen. Dennoch handle es sich um eine Blockgrenzenfilterung, weil in D5 für die Blockränder ein anderer Schwellenwert herangezogen werde als für das Blockinnere. Die in die Filterung einbezogenen Blöcke seien nach einem der in Merkmal 7 aufgezählten Verfahren codiert, weil der Standard H.263 alle vier Codiertypen vorsehe. Der Codiertyp werde zur Festlegung eines Filterparameters herangezogen, weil der herangezogene Schwellenwert bei Blöcken, die nicht intra-codiert seien, davon abhänge, ob der benachbarte Block intra-codiert sei. Dass hierbei keine weitergehende, alle vier Codiertypen berücksichtigende Unterscheidung erfolge, sei unerheblich, weil Merkmal 7 schon dann verwirklicht sei, wenn das Verfahren mit mindestens einem der darin genannten Codiertypen umgehen könne.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in den mit den Hilfsanträgen 1 bis 11 verteidigten Fassungen gehe über den Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung hinaus.

Das nach Hilfsantrag 12 vorgesehene Merkmal, wonach die Anzahl der zu filternden Pixel zunächst anhand einer Differenz von Pixelwerten über die Blockgrenze hinweg sowie anhand des zur Transformationscodierung benutzten Quantisierungsschritts und nur zusätzlich anhand der Codiertypen bestimmt werde, sei hingegen ursprungsoffenbart. Der mit diesem Antrag verteidigte Gegenstand sei auch patentfähig. In D5 und NK5 sei eine Berücksichtigung des Quantisierungsschritts nicht offenbart. In der Entgegenhaltung D1, deren Vorveröffentlichung dahingestellt bleiben könne, sei die Berücksichtigung einer Differenz von Pixelwerten über die Blockgrenze hinweg nicht offenbart. Eine Kombination von D1 oder D5/NK5 mit der Entgegenhaltung D6 habe für den Fachmann, einen Diplomingenieur der Elektrotechnik oder Diplominformatiker mit Hochschulausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung in der Codierung von Videodaten, nicht nahegelegen, weil sowohl D1 als auch D5/NK5 eine abgeschlossene Lehre komplexer Filteralgorithmen enthielten, die eine Verknüpfung mit D6 nicht ohne weiteres zulasse.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nichtstand.

1. Die Ausführungen des Patentgerichts zu der Frage, ob der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht, greift die Klägerin nicht an. Fehler in der Beurteilung sind insoweit nicht ersichtlich.

2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung patentfähig.

a) In den von einer Arbeitsgruppe der Internationalen Fernmeldeunion (International Telecommunication Union, Study Group 15, Low Bit Coding Experts Group, Lee et al) veröffentlichten Entgegenhaltungen NK5 (LBC-96-202) und D5 (LBC-96-322) sind nicht alle Merkmale von Patentanspruch 1 offenbart.

aa) In NK5 ist ein Verfahren zur Korrektur von Blockartefakten und Überschwingrauschen (blocking and ringing effects) in Videodaten nach dem Standard H.263 offenbart.

Um das genannte Ziel zu erreichen, werden die Daten einer Schleifenfilterung (loop filtering) unterzogen. Hierzu werden alle Bildpunkte darauf untersucht, ob die Abweichung von benachbarten Punkten einen von zwei vordefinierten Schwellenwerten überschreitet. Sofern dies der Fall ist, wird der Punkt als zu einer Kante gehörend angesehen. Für diesen Vergleich werden ein anhand des Verlaufsbilds des gesamten Bilds ermittelter globaler Schwellenwert und ein anhand des Verlaufsbilds eines jeden Blocks ermittelter lokaler Schwellenwert herangezogen. Letzterer entspricht dem globalen Schwellenwert, wenn der Block homogen ist, und wird umso kleiner, je komplexer das Verlaufsbild des Blocks ist. Für die am äußeren Rand eines (aus 8x8 Punkten bestehenden) Blocks gelegenen Punkte (28 von 64 Punkten) wird nur der globale Schwellenwert herangezogen.

Zur Filterung werden ein Mittelwertfilter und ein gewichteter Filter herangezogen und jeweils auf einen Bereich von 3x3 Punkten angewendet. Bei der Filterung werden drei Konstellationen unterschieden:

-

Wenn der mittlere Punkt auf einer Kante liegt, wird nicht gefiltert.

-

Wenn das Filterfenster keine Kante enthält, wird der Mittelwertfilter angewendet.

-

Wenn mindestens einer der außen gelegenen Punkte, nicht aber der mittlere Punkt auf einer Kante liegt, wird der gewichtete Filter angewendet. Die Gewichtung der einzelnen Punkte wird an die jeweilige Lage der Kantenpixel angepasst.

bb) Damit sind neben Merkmal 1 auch die Merkmale 2, 4 und 5 offenbart, weil der Standard H.263 nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts eine blockweise Codierung und Decodierung und die vier in Merkmal 7 aufgezählten Codierverfahren vorsieht.

cc) Zu Recht hat das Patentgericht auch die Merkmale 3 und 3.1 als offenbart angesehen.

In NK5 wird die Filterung zwar für alle Punkte des Bildes durchgeführt. Damit werden aber jedenfalls auch die Punkte an der Grenze zwischen zwei Blöcken gefiltert. Diese werden anders behandelt als die übrigen Punkte, weil für sie nur der globale Schwellenwert herangezogen wird.

dd) Nicht offenbart sind hingegen die Merkmale 2.1, 6 und 7.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts sieht nur D5 eine Anpassung an den Codiertyp des betroffenen Blocks vor, nicht aber NK5.

b) Die ergänzende Berücksichtigung von D5 führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

aa) Zu Recht hat das Patentgericht die Entgegenhaltungen NK5 und D5 bei der Prüfung auf Neuheit als Einheit behandelt.

In D5 wird ebenfalls ein Schleifenfilter zur Reduzierung von Blockartefakten und Überschwingrauschen bei Videobildern nach dem Standard H.263 offenbart. Zur detaillierten Beschreibung der Schleifenfilterung wird in D5 ausdrücklich auf NK5 Bezug genommen. Durch diese Bezugnahme werden die in NK5 enthaltenen Ausführungen zum grundlegenden Aufbau des Filterverfahrens zum Bestandteil von D5.

Dem steht nicht entgegen, dass das in D5 offenbarte Verfahren in einzelnen Aspekten von dem in NK5 beschriebenen Verfahren abweicht. Dass es solche Abweichungen gibt, erschließt sich dem Fachmann schon aus dem in D5 enthaltenen Hinweis, das Verfahren aus NK5 sei verändert worden, um die Berechnung zu vereinfachen. Hieraus folgt indes nicht, dass die Ausführungen in NK5 insgesamt irrelevant wären. Der Offenbarungsgehalt von NK5 bleibt vielmehr insoweit maßgeblich, als sich aus D5 weder ausdrücklich noch implizit Abweichungen davon ergeben.

bb) Auf dieser Grundlage hat das Patentgericht zutreffend angenommen, dass in D5 ein Filterverfahren nach dem Vorbild von NK5 offenbart ist, bei dem der Schwellenwert zur Identifizierung von Kanten für intra-codierte Blöcke anders berechnet wird als für anders codierte Blöcke, wobei für Blöcke, die an intra-codierte Blöcke angrenzen, wiederum eine andere Regel gilt.

cc) Hieraus ergibt sich indes keine vollständige Offenbarung der Merkmale 2.1, 6 und 7.

Zwar hängt die Berechnung des Schwellenwerts, der jedenfalls mittelbar als Parameter für die Filterung herangezogen wird, in D5 unter bestimmten Umständen davon ab, in welcher Weise die betroffenen Blöcke codiert sind. Hierbei werden aber nicht alle vier in Merkmal 7 aufgezählten Codiertypen berücksichtigt. Damit fehlt es an einer vollständigen Offenbarung der genannten Merkmale, weil Merkmal 7 aus den oben angeführten Gründen dahin auszulegen ist, dass eine Anpassung an alle vier aufgeführten Codiertypen erfolgen muss.

c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist in der Veröffentlichung von Lee und Park (Tagungsband der International Conference on Image Processing vom 24. bis 28. Oktober 1999 in Kobe, Band 1, S. 94 ff., D1) ebenfalls nicht vollständig offenbart.

aa) In D1 sind ein Schleifenfilter und ein Nachfilter zum Korrigieren von Blockartefakten, Eckenausreißern und Überschwingrauschen (blocking artefacts, corner outliers, ringing noise) bei Videodaten nach dem Standard H.263 offenbart.

Zum Vorbereiten des Filtervorgangs werden blockweise Markierungen für horizontale und vertikale Blockartefakte (blocking flags HBF und VBF) und für Überschwingrauschen (ringing flag, bestehend aus RF0 and RF1) gesetzt. Hierzu werden die Daten der DCT domain ausgewertet, d.h. die Koeffizienten, die sich aufgrund der diskreten Cosinustransformation ergeben haben. Diese Daten sind ebenfalls in Blöcken zu 8x8 Werten angeordnet. Diese Werte beziehen sich aber nicht auf einzelne Pixel, sondern jeweils auf den Block insgesamt.

In Abhängigkeit von den gesetzten Markierungen und der Codierungsart wird entweder eine starke, eine schwache oder keine Filterung durchgeführt:

-

Bei Intra-Frames wird in horizontaler Richtung stark gefiltert, wenn die Markierungen RF0 und HBF bei beiden Blöcken den Wert 0 aufweisen; ansonsten wird schwach gefiltert.

-

In Inter-Frames wird nicht gefiltert, wenn beide Blöcke not coded sind; das entspricht der Codierart "copy" im Sinne des Streitpatents.

-

Wenn in einem Inter-Frame beim ersten Block die Markierung RF1 den Wert 0 und bei beiden Blöcken die Markierung HBF den Wert 1 aufweist, wird stark gefiltert, sofern beide Blöcke intra-codiert sind oder sofern bei beiden Blöcken die Markierung RF0 den Wert 1 aufweist; ansonsten wird schwach gefiltert.

Entgegen der Auffassung der Beklagten dürfte die Bedingung "RF1 = 0" auch bei intra-codierten Blöcken auftreten können. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für intra-codierte Blöcke überhaupt eine RF1-Markierung gesetzt wird. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, dürften die Erläuterungen zum Filterverfahren dahin zu verstehen sein, dass das Fehlen einer RF1-Markierung mit dem Ergebnis "RF1 = 0" gleichgesetzt wird.

bb) Damit sind ebenso wie bei D5 die Merkmale 1, 2, 3, 3.1, 4 und 5 offenbart.

cc) Nicht vollständig offenbart sind hingegen die Merkmale 2.1, 6 und 7.

Für die Kombination "intra/intra" und wohl auch für die Kombination "copy/copy" sind zwar jeweils besondere Einstellungen des Filters vorgesehen. Eine weitergehende Unterscheidung, die es ermöglicht, für jede mögliche Kombination eine unterschiedliche Einstellung vorzusehen, ist aber nicht offenbart.

d) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist auch in der von einer Studiengruppe der Internationalen Fernmeldeunion veröffentlichten Entgegenhaltung D6 (ITU Study Group 16, Nokia Research Center, Question 15, Q15-A-50) nicht vollständig offenbart.

aa) In D6 ist ein Post-Filter zum Entfernen von Blockartefakten in blockweise codierten Videodaten offenbart.

Eingesetzt wird eine adaptive Version eines Mittelwertfilters. Auf beiden Seiten einer Blockgrenze werden jeweils bis zu drei Pixel in die Korrektur einbezogen. Wie bei dem im Streitpatent geschilderten Ausführungsbeispiel hängt die Anzahl unter anderem ab von der Grauwertdifferenz über die Grenze hinweg und der Größe des Quantisierungsschritts.

In Abhängigkeit von der Anzahl der zu korrigierenden Pixel wird ein Unterstützungsfenster (support window) festgelegt. Einem zu korrigierenden Pixel wird jeweils der Mittelwert der im Unterstützungsfenster liegenden Pixel zugewiesen.

bb) Damit sind die Merkmale 1, 2, 3, 3.1, 4 und 5 offenbart.

cc) Nicht offenbart sind die Merkmale 2.1, 6 und 7. Ein Zusammenhang zwischen den Filterparametern und der Codierart wird in D6 nicht erwähnt.

e) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

aa) In D5 und D1 werden die Parameter der Filterung zwar in bestimmten Situationen in Abhängigkeit von der Codierart der zu filternden Blöcke festgelegt. Weder aus den beiden offenbarten Verfahren noch aus einer Zusammenschau beider Dokumente ergibt sich aber eine Anregung, die Zuordnung zu einzelnen Codiertypen so zu verallgemeinern, dass für jede mögliche Kombination der vier in Merkmal 7 aufgezählten Codiertypen eine unterschiedliche Einstellung möglich ist.

Dabei kann offen bleiben, ob der Fachmann ausgehend von D5 Anlass hatte, bei benachbarten Blöcken der Codiertypen "not coded" und "copy" von einer Filterung abzusehen, weil für solche Blöcke keine diskrete Cosinustransformation erfolgt und deshalb im Vergleich zu den in Bezug genommenen Blöcken keine zusätzlichen quantisierungsbedingten Rundungsfehler auftreten können. Selbst wenn der Fachmann solche Überlegungen angestellt hätte, wäre er allenfalls zu einer Unterscheidung zwischen drei der vier in Merkmal 7 aufgeführten Codiertypen gelangt. Für eine Unterscheidung der Codiertypen "copy" und "not coded" ergab sich daraus hingegen keine Veranlassung.

Anlass, auch beim Aufeinandertreffen von not-coded- oder copycodierten Blöcken eine Filterung mit vom Codiertyp abhängigen Parametern entsprechend dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel vorzunehmen, ergab sich nur aufgrund der zusätzlichen Überlegung, dass ein Block des Codiertyps "not coded" oder "copy" nicht notwendigerweise neben denselben Blöcken angeordnet sein muss wie der in Bezug genommene Block und dass sich daraus neue Artefakte ergeben können, die durch die Filterung des in Bezug genommenen Blocks nicht ausreichend korrigiert worden sind.

Dass es zu solchen Effekten kommen kann, zieht auch die Klägerin nicht in Zweifel. Eine Veranlassung, diesbezügliche Überlegungen anzustellen, ergab sich aus D5 oder anderen Entgegenhaltungen nicht.

bb) Eine Kombination von D1, D5 und D6 ist ebenfalls nicht nahegelegt.

Nach den Feststellungen des Patentgerichts spricht gegen eine solche Kombination, dass alle Entgegenhaltungen in sich abgeschlossene, hoch komplexe Verfahren offenbaren. Diese Feststellungen werden durch den Vortrag der Klägerin, die einzelnen Maßnahmen seien im Stand der Technik bekannt und gebräuchlich gewesen, nicht in Frage gestellt. Sowohl in D5 als auch in D1 ist eine komplexe und individuell abgestimmte Kombination von Maßnahmen offenbart. Vor diesen Hintergrund gibt der Umstand, dass im Stand der Technik weitere Maßnahmen zur Filterung bekannt waren, noch keine Veranlassung, diese bei den offenbarten Verfahren zusätzlich einzusetzen.

Ausgehend von D1 liegt eine Kombination mit einzelnen Schritten aus D5 oder D6 oder mit allgemeinem Fachwissen zur Festlegung der Anzahl der zu filternden Pixel zudem deshalb fern, weil die Filterung in D1 anhand der transformierten Daten vorgenommen wird, denen Informationen über die einzelnen Pixel nicht unmittelbar entnommen werden können. In D5 und D6 werden die Filterparameter hingegen anhand der auf die einzelnen Pixel bezogenen Daten festgelegt. Woraus sich eine Anregung ergeben könnte, diese beiden Methoden zu kombinieren, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ausgehend von D6 mag der Fachmann Anlass gehabt haben, ergänzend D5 oder D1 in Betracht zu ziehen. Aus keiner dieser Entgegenhaltungen ergab sich aber die Anregung, die Filterparameter nicht nur in einzelnen Situationen, sondern grundsätzlich am Codiertyp der beiden Blöcke auszurichten.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 23. Mai 2017

Vorinstanz: BPatG, vom 15.04.2015