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BGH - Entscheidung vom 16.02.2017

V ZB 10/16

Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1
AufenthG § 2 Abs. 15 S. 1
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
AsylG § 55 Abs. 1 S. 1 und S. 3
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 28
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 2 Buchst. n)

BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - Aktenzeichen V ZB 10/16

DRsp Nr. 2017/4089

Anordnung von Sicherungshaft gegenüber einem Ausländer; Haftgrund der unerlaubten Einreise zur Konkretisierung der Fluchtgefahr; Beruhen der vollziehbaren Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise

Die Anordnung der Sicherungshaft gegenüber einem Ausländer setzt voraus, dass dieser auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dabei muss die vollziehbare Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruhen. An der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht fehlt es, wenn der Betroffene nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt hat, weil ihm dann der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Januar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1 ; AufenthG § 2 Abs. 15 S. 1; AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ; AsylG § 55 Abs. 1 S. 1 und S. 3; VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 28; VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 2 Buchst. n);

Gründe

I.

Der Betroffene ist syrischer Staatsangehöriger. Am 28. Mai 2014 reiste er unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen Asylantrag vom 5. Juni 2014 wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 15. Januar 2015 als unzulässig zurück, weil dem Betroffenen bereits in Bulgarien internationaler Schutz zuerkannt worden war, und forderte den Betroffenen auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen zu verlassen. Der Betroffene kam der Aufforderung nicht nach, spätestens seit April 2015 hielt er sich nicht mehr an dem ihm durch Bescheid der Regierung Mittelfranken vom 5. Juni 2014 zugewiesenen Wohnsitz auf, ohne die beteiligte Behörde über seine Abreise und seinen künftigen Aufenthalt unterrichtet zu haben. Am 25. November 2015 wurde er durch die Polizei festgenommen.

Mit Beschluss vom selben Tage hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen Sicherungshaft bis zum 24. Januar 2016 angeordnet. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde hat das Landgericht ohne erneute Anhörung mit Beschluss vom 14. Januar 2016 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er beantragt festzustellen, dass er durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Das Beschwerdegericht meint, entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts könne die Anordnung der Sicherungshaft nicht auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützt werden, weil der Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (fortan: Dublin-III-Verordnung) eröffnet und der Haftgrund der unerlaubten Einreise zur Konkretisierung der Fluchtgefahr nach der DublinIII-Verordnung ungeeignet sei. Die Sicherungshaft könne aber auf Art. 28 und Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung i.V.m. §§ 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Nr. 1 AufenthG gestützt werden, da der Betroffene seinen Wohnsitz ohne Mitteilung an die Ausländerbehörde aufgegeben habe und bis zu seiner Festnahme unbekannten Aufenthalts gewesen sei.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG ) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts kann das Vorliegen eines Haftgrundes nicht angenommen werden.

1. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Anordnung der Sicherungshaft auf die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gestützt werden konnte, oder ob der Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung eröffnet war, so dass sich die Voraussetzungen der Haftanordnung unmittelbar aus Art. 28 und Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 AufenthG ergaben (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2016 - V ZB 21/16, [...] Rn. 4 mwN). Denn es lagen weder die Voraussetzungen des von dem Amtsgericht herangezogenen § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG noch die des von dem Landgericht angeführten § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG vor.

a) Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dabei muss die vollziehbare Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruhen (Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, FGPrax 2011, 41 Rn. 19; Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 20). An der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht fehlt es hier. Da der Betroffene nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt hat, war ihm nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Eine solche zwischenzeitliche Aufenthaltsgestattung lässt die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht entfallen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, aaO).

b) Im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung dürfen die Mitgliedstaaten nach dessen Art. 28 Abs. 2 eine Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht. Fluchtgefahr ist nach Art. 2 Buchstabe n DublinIII-Verordnung das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 15 AufenthG die Kriterien für die Annahme einer Fluchtgefahr nach der Dublin-IIIVerordnung festgelegt. Die Regelung in § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG genügt den Anforderungen der Verordnung. Dies hat der Senat zu der Vorschrift des § 62 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG entschieden (Beschluss vom 26. Juni 2014 - V ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 31), der § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG nachgebildet ist.

Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG liegen jedoch nicht vor. Zwar hat der Betroffene seinen Aufenthaltsort nach Ablauf der Ausreisefrist nicht nur vorübergehend gewechselt, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Die genannte Vorschrift setzt aber weiter voraus, dass der Betroffene durch die Ausländerbehörde auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG und die einschneidenden Folgen ihrer Verletzung in einer ihm verständlichen Sprache hingewiesen worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, [...] Rn. 20; Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 106/15, [...] Rn. 6; Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 6 ff. zu § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ). Hierzu hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen.

2. Hinzu kommt, dass das Beschwerdegericht seine Entscheidung nicht auf einen neuen Haftgrund stützen durfte, ohne den Betroffenen hierzu persönlich anzuhören (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2016 - V ZB 21/16, FGPrax 2016, 278 Rn. 6).

IV.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG ). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind. Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG ). Sollte sich erweisen, dass der Betroffene auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG und die einschneidenden Folgen ihrer Verletzung in einer ihm verständlichen Sprache hingewiesen worden ist, wird er zu diesen Feststellungen erneut anzuhören sein. Ob eine solche Anhörung noch möglich oder etwa aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Abschiebung des Betroffenen ausgeschlossen ist, kann der Senat nicht feststellen, da die Rechtsbeschwerde hierzu keine Angaben enthält.

V.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Schwabach, vom 25.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 6/15
Vorinstanz: LG Nürnberg-Fürth, vom 14.01.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 18 T 9417/15