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BGH - Entscheidung vom 11.02.2008

II ZR 277/06

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 11.02.2008 - Aktenzeichen II ZR 277/06

DRsp Nr. 2008/5991

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn das Gericht nicht darauf hinweist, dass es den Antrag auf Vernehmung der Gegenpartei nicht für ein taugliches Beweismittel halte und einen Antrag, der Gegenpartei die Vorlage einer entscheidungserheblichen Urkunde aufzugeben, übergeht.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 544 Abs. 7 ZPO , weil das angefochtene Urteil auf entscheidungserheblichen Verletzungen des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) beruht. Der Senat macht dabei von der Möglichkeit gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

1. a) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, u.a. darin, dass das Berufungsgericht den - in erster Instanz obsiegenden - Kläger nicht wenigstens in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass es seinen Antrag auf Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten und den dazu gehaltenen Vortrag nicht für einen "tauglichen Beweisantritt" halte (vgl. Sen.Urt. v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW 1999, 2123 ; BGH, Urt. v. 5. November 2003 - VIII ZR 380/02, NJW-RR 2004, 281 ). Auf entsprechenden Hinweis hätte er, wie die Nichtzulassungsbeschwerde ausführt, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass der behauptete Mehrwert seiner an die Beklagte veräußerten Geschäftsanteile auf der Ausübung der Option der Beklagten gegenüber der D. B. AG beruhe. Zudem hätte er seinen erstinstanzlichen Beweisantrag wiederholt, der Beklagten die Vorlage eines "Memorandums" vom 22. Dezember 2003 aufzugeben (§ 421 ZPO ), aus dem sich das Gleiche ergebe.

b) Davon abgesehen liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ohnehin schon darin, dass das Berufungsgericht die beantragte Parteivernehmung abgelehnt hat, weil damit nicht unter Beweis gestellt sei, dass der behauptete Anteilsmehrwert auf die Optionsausübung der Beklagten zurückzuführen sei. Das Berufungsgericht verkürzt und entstellt damit den Vortrag des Klägers, der sich in den Vorinstanzen stets auf den genannten Zusammenhang berufen hat und sich hierauf ersichtlich auch bei seinem Beweisantritt berufen wollte, wie sich aus dem ersten Satz seines protokollierten Vortrags ergibt.

Ebenso wenig durfte das Berufungsgericht die beantragte Parteivernehmung deshalb ablehnen, weil der Kläger mit ihr "lediglich" unter Beweis gestellt habe, dem Geschäftsführer der Beklagten sei bei den Verhandlungen mit dem Kläger die bevorstehende Optionsausübung und die dadurch eintretende Wertsteigerung der Anteile des Klägers bekannt gewesen. Damit ist nicht nur eine "subjektive Einschätzung" des Geschäftsführers der Beklagten, sondern die (in sein Wissen gestellte) Tatsache der Werterhöhung neben der Behauptung unter Beweis gestellt, dass er die bis zum Bewertungsstichtag (31. Dezember 2003) zu erwartende (und eingetretene) Werterhöhung bei den Vertragsverhandlungen mit dem Kläger arglistig verschwiegen habe.

c) Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde des weiteren, dass das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG den erstinstanzlich mehrfach gestellten Beweisantrag, der Beklagten die Vorlage ihres Memorandums vom 22. Dezember 2003 aufzugeben (§ 421 ZPO ), übergangen hat. Nach dem Vortrag des Klägers soll sich aus diesem an alle Gesellschafter der Beklagten gerichteten und ihm als Gesellschafter pflichtwidrig vorenthaltenen Memorandum ergeben, dass infolge der von den Gesellschaftern damals bis zum Jahresende 2003 zu beschließenden Ausübung der Rückkaufsoption eine erhebliche Wertsteigerung der Geschäftsanteile eintreten sollte.

Das Berufungsgericht hätte diesem erstinstanzlichen Beweisantrag des - in erster Instanz obsiegenden - Klägers nachgehen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 20. Dezember 2005 - VI ZR 180/04, NJW 2006, 767 , 769; BVerfG NJW 1982, 1636 ). Die Voraussetzungen der §§ 420 ff. ZPO lagen - unbeschadet derjenigen des § 142 ZPO (vgl. dazu Musielak/Stadler, ZPO 5. Aufl. § 142 Rdn. 1 m.N.) - vor. Für eine Vorlegungspflicht des Prozessgegners gemäß § 422 ZPO genügt ein Einsichtsrecht gemäß § 810 BGB (vgl. Musielak/Huber aaO. § 422 Rdn. 1), das dem Kläger nach dieser Vorschrift schon deshalb zusteht, weil das besagte Memorandum den Gesellschafterbeschluss über die Ausübung der Rückkaufsoption betraf und dem Kläger pflichtwidrig vorenthalten wurde. Im Übrigen hat auch ein ausgeschiedener Gesellschafter wie der Kläger gemäß § 810 BGB Anspruch auf Einsicht in Geschäftsunterlagen, die für die Höhe seiner Abfindung relevant sind (vgl. Sen.Urt. v. 17. April 1989 - II ZR 258/88, NJW 1989, 3272 f.).

2. Die genannten Beweisantritte sind für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Hat die Beklagte dem Kläger vor oder bei Abschluss des Vertrages über den Erwerb seiner Geschäftsanteile deren Wertsteigerung verschwiegen, kann er im Wege des Schadensersatzes wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht der Beklagten die Differenz zwischen der vereinbarten und der gemäß § 14.2 der Satzung der Beklagten zu berechnenden Vergütung für die Übertragung seiner Geschäftsanteile nachfordern (vgl. auch BGH, Urt. v. 24. Juni 1998 - XII ZR 126/96, NJW 1998, 2900 m.N.). Darauf zielt die vom Kläger erhobene Stufenklage (§ 254 ZPO ) bzw. sein erstinstanzlich zuerkanntes Auskunftsbegehren aus § 242 BGB , das - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht den vollen Nachweis einer Pflichtverletzung der Beklagten sowie eines Schadensersatzanspruchs des Klägers dem Grunde nach voraussetzt. Soll die begehrte Auskunft zur Vorbereitung vertraglicher Schadensersatzansprüche aus einem Dauerschuldverhältnis dienen, so genügen dafür der begründete Verdacht einer Pflichtverletzung (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juli 2002 - VIII ZR 64/01, NJW 2002, 3771 ) und die Wahrscheinlichkeit eines daraus resultierenden Schadens (vgl. BGH, Urt. v. 22. Januar 1964 - Ib ZR 199/62, MDR 1964, 570 = LM Nr. 19 zu § 242 (Be) BGB ). Das gilt hier erst recht: Zwischen den Parteien bestand ein Gesellschaftsverhältnis, aus dem die Treuepflicht der Beklagten resultierte, den Kläger bis zu seinem Ausscheiden über Umstände, die seine mitgliedschaftlichen Vermögensinteressen berührten, vollständig und zutreffend zu informieren (vgl. Sen.Urt. v. 11. Dezember 2006 - II ZR 166/05, ZIP 2007, 268 ; v. 9. September 2002 - II ZR 198/00, ZIP 2003, 73 f.). Ein dagegen verstoßendes Verhalten der Beklagten hat der Kläger unter Beweis gestellt. Die entsprechenden Beweise hätten das Berufungsgericht auch auf der Grundlage seiner rechtsirrtümlichen Auffassung hinsichtlich des hier erforderlichen Beweismaßes erheben müssen. Sein Hinweis auf die im Konzern der Beklagten mit Wirkung zum 1. Januar 2004 beschlossenen Strukturmaßnahmen ist ohnehin nicht geeignet, die in dem Memorandum der Beklagten vom 27. Januar 2004 dargestellte Werterhöhung der "A-Shares" auf 1,039 Mio. EUR für das Jahr 2003 zu erklären. Ob die für das Auskunftsbegehren erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadensersatzanspruchs des Klägers dem Grunde nach besteht, wird der andere Senat des Berufungsgerichts, an das die Sache gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zurückzuverweisen ist, ggf. nach Beweisaufnahme zu entscheiden haben.

Vorinstanz: OLG München, vom 04.10.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 3247/06
Vorinstanz: LG München I, vom 26.04.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 15 HKO 17112/05