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BGH - Entscheidung vom 01.04.2008

4 StR 475/07

Normen:
StPO § 302 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 01.04.2008 - Aktenzeichen 4 StR 475/07

DRsp Nr. 2008/10211

Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelbelehrung bei nicht nachgewiesener Absprache

Ist eine verfahrensbeendende Absprache im Sinne der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen nicht erwiesen, so ist ein Rechtsmittelverzicht auch dann wirksam, wenn eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung nicht erfolgt ist.

Normenkette:

StPO § 302 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach Verkündung des Urteils haben der Angeklagte und sein Verteidiger, Rechtsanwalt G., nach Rechtsmittelbelehrung Rechtsmittelverzicht erklärt. Am 29. Mai 2007 hat der Angeklagte Revision gegen dieses Urteil eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihm "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren".

1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist gegenstandslos, da eine Frist nicht versäumt wurde. Der Angeklagte hat vielmehr das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt (§ 341 Abs. 1 StPO ) und dieses auch frist- und formgerecht begründet (§ 345 StPO ).

2. Die Revision des Angeklagten ist jedoch deshalb unzulässig, weil er nach Urteilsverkündung wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hat (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO ).

Ein Rechtsmittel ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. etwa BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 12 m.w.N.). Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmegrund, der die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts begründen könnte, liegt hier nicht vor. Es hat sich weder erwiesen, dass dem Rechtsmittelverzicht eine Urteilsabsprache ohne qualifizierte Belehrung (BGHSt 50, 40 ff.) vorausgegangen ist, noch haben sich sonstige Umstände in der Art und Weise des Zustandekommens des Rechtsmittelverzichts ergeben, die ausnahmsweise seine Unwirksamkeit begründen könnten (BGHSt 45, 51 ; BGH NStZ 2006, 464 ).

Die Revision macht allerdings geltend, es habe eine Urteilsabsprache vorgelegen, die "vermutlich" auch einen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand gehabt habe. Da dem Angeklagten keine qualifizierte Belehrung über seine gleichwohl fortbestehende Rechtsmittelbefugnis erteilt worden sei, sei der Rechtsmittelverzicht unwirksam. Im Übrigen habe weder der Angeklagte selbst einen Rechtsmittelverzicht erklärt noch habe er den Instanzverteidiger, Rechtsanwalt G., zur Abgabe einer solchen Erklärung autorisiert.

a) Nach dem Hauptverhandlungsprotokoll ist zwar eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt worden. Eine solche war vorliegend indes nicht geboten. Der Nachweis, dass dem Verfahren eine verfahrensbeendende Absprache im Sinne der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 50, 40 ff.) zu Grunde gelegen hat, ist nicht erbracht worden.

Weder enthält das Hauptverhandlungsprotokoll eine Verständigung über das Verfahrensergebnis (vgl. zur Protokollierungspflicht BGHSt 50, 47; 43, 195, 206) noch haben die Erklärungen, die von den Berufsrichtern, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und dem Instanzverteidiger zum Ablauf der Hauptverhandlung abgegeben worden sind, eine ausdrückliche oder konkludente verfahrensbeendende Absprache ergeben.

Zwar haben die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend bestätigt, es hätten außerhalb der Hauptverhandlung auf Wunsch des Verteidigers zwei Gespräche stattgefunden, in denen neben dem Prozessverlauf auch die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses des Angeklagten und die Frage der Straferwartung angesprochen worden seien. Ausweislich der Stellungnahme des Verteidigers sei seitens des Gerichts eine mögliche Strafe "in einer Größenordnung von 'um' drei Jahre" je nach Verlauf der Hauptverhandlung in den Raum gestellt worden. Eine konkrete oder gar bindende Zusage des Gerichts zur Straferwartung im Falle eines Geständnisses des Angeklagten habe es jedoch - so sämtliche Verfahrensbeteiligte - ebenso wenig gegeben wie eine Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts; ein solcher sei vielmehr nicht einmal - was die Revision überdies auch nicht substantiiert behauptet - angesprochen worden.

Damit sind zwar unverbindliche, rein informelle Vorgespräche erwiesen, nicht jedoch eine von allen Beteiligten gewollte Absprache über das Ergebnis der Hauptverhandlung. Einer qualifizierten Rechtsmittelbelehrung hat es deshalb nicht bedurft.

b) Der Rechtsmittelverzicht ist auch nicht wegen anderer vom Gericht zu verantwortender Umstände unwirksam. Das Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, dass nicht nur der Instanzverteidiger, sondern auch der Angeklagte selbst - anders als er behauptet hat - nach Urteilsverkündung und nach Rechtsmittelbelehrung erklärt haben, auf die Einlegung eines Rechtsmittels zu verzichten. Diese Erklärung nimmt an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO teil, da sie gemäß § 273 Abs. 3 StPO vorgelesen und genehmigt worden ist.

Es hat sich auch nicht erwiesen, dass das Landgericht dem Angeklagten einen Rechtsmittelverzicht ohne vorherige Beratung mit seinem Verteidiger abverlangt oder eine solche Beratung verweigert hätte (vgl. BGH NStZ 1999, 364 ). Der Instanzverteidiger hat vielmehr das Gegenteil in seiner Stellungnahme versichert und dargelegt, sich mit dem Angeklagten nach Urteilsverkündung über die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung beraten zu haben. Dass nach Urteilsverkündung eine Beratung zwischen dem Verteidiger und dem Angeklagten stattgefunden hat, wird überdies von zwei Berufsrichtern bestätigt.

Vorinstanz: LG Arnsberg, vom 22.05.2007