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BGH - Entscheidung vom 21.02.2008

I ZR 105/05

Normen:
HGB § 425 Abs. 1 § 435
CMR Art. 17 Abs. 1 Art. 29
BGB § 254 Abs. 1

BGH, Versäumnisurteil vom 21.02.2008 - Aktenzeichen I ZR 105/05

DRsp Nr. 2008/11751

Rechtsfolgen der Unterlassung einer Wertdeklaration hinsichtlich eines einem Transportunternehmen übergebenen Pakets

1. Ein Mitverschulden des Versenders wegen unterlassener Wertdeklaration eines Pakets kann schon dann zu berücksichtigen sein, wenn er die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch den Transporteur hätte erkennen müssen. Eine entsprechende Kenntnis wird den Versendern regelmäßig durch die Beförderungsbedingungen vermittelt.2. Es ist Sache des Transporteurs, vorzutragen und zu beweisen, dass er bei höheren Paketwerten mit richtiger Wertangabe und entsprechender Bezahlung des höheren Beförderungstarifs seine Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte. Die Kausalität des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlichen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte.3. Ein ungewöhnlich hoher Schaden ist in der Regel gegeben, wenn der Wert des Paketinhalts 5.000 Euro übersteigt.

Normenkette:

HGB § 425 Abs. 1 § 435 ; CMR Art. 17 Abs. 1 Art. 29 ; BGB § 254 Abs. 1 ;

Tatbestand:

Der Kläger ist Transportversicherer mehrerer Unternehmen (im Weiteren: Versender). Er nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versender wegen Verlusts von Transportgut in elf Fällen auf Schadensersatz in Anspruch. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur die Schadensfälle 2, 5, 7 und 8.

Schadensfall 2: Am 25. September 2000 übergab die Versenderin H. der Beklagten zwei Pakete zur Beförderung nach Detmold. Ein Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 EUR gezahlt. Der Kläger verlangt noch 3.867,76 EUR Schadensersatz.

Schadensfall 5: Am 23. April 1999 übergab die Versenderin I. der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Utrecht, Niederlande. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 EUR gezahlt. Der Kläger verlangt noch 5.194,71 EUR Schadensersatz.

Schadensfall 7: Am 24. Juli 2000 übergab die Versenderin B. der Beklagten vier Pakete zur Beförderung nach Waiblingen. Ein Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 EUR gezahlt. Der Kläger verlangt noch 7.145,59 EUR Schadensersatz.

Schadensfall 8: Am 16. Juli 1999 übergab die Versenderin S. der Beklagten ein Paket zur Beförderung in die USA. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 562,42 EUR gezahlt. Der Kläger verlangt noch 2.102,57 EUR Schadensersatz.

Den Transportaufträgen lagen die Beförderungsbedingungen der Beklagten (Stand Februar 1998) zugrunde, die auszugsweise folgende Regelungen enthielten:

"...

10. Haftung

In den Fällen, in denen die im WA oder im CMR-Abkommen festgelegten Haftungsbestimmungen Anwendung finden (...), wird die Haftung von U. durch diese Bestimmungen geregelt und entsprechend diesen Bestimmungen begrenzt. In den Fällen, in denen das WA oder das CMR-Abkommen nicht gelten, wird die Haftung von U. durch die vorliegenden Beförderungsbedingungen geregelt. U. haftet bei Verschulden für nachgewiesene direkte Schäden bis zu einer Höhe von .... DM 1.000 pro Sendung in der Bundesrepublik Deutschland oder bis zu dem nach § 54 ADSp ... ermittelten Erstattungsbetrag, je nachdem, welcher Betrag höher ist, es sei denn, der Versender hat, wie im Folgenden beschrieben, einen höheren Wert angegeben.

Die Wert- und Haftungsgrenze wird angehoben durch die korrekte Deklaration des Wertes der Sendung. ... Diese Wertangabe gilt als Haftungsgrenze. Der Versender erklärt durch die Unterlassung der Wertangabe, dass sein Interesse an den Gütern die oben genannte Grundhaftung nicht übersteigt.

...

Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit von U., seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen.

...".

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust des Transportguts in voller Höhe, da sie mangelhaft organisiert sei. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Beklagte den Verbleib der abhandengekommenen Pakete nicht aufklären könne.

Der Kläger hat hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch anhängigen Schadensfälle beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.310,63 EUR nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, der Kläger müsse sich ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden der Versender anrechnen lassen, weil diese eine Wertdeklaration unterlassen hätten. Im Falle der Wertdeklaration behandele sie die Pakete sorgfältiger, sofern deren Wert 2.500 EUR übersteige.

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich der Schadensfälle 1, 5 und 11 für unbegründet erachtet. In den übrigen Schadensfällen hat es die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Auf die Anschlussberufung des Klägers hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers auch in den Schadensfällen 1 und 5 für begründet erachtet und die Beklagte insgesamt zur Zahlung von 26.076,06 EUR nebst Zinsen verurteilt.

Der Senat hat die Revision der Beklagten beschränkt auf die Schadensfälle 2, 5, 7 und 8 und insoweit beschränkt auf das Mitverschulden zugelassen. In diesem Umfang verfolgt die Beklagte mit ihrer Revision ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Der Kläger war in der mündlichen Verhandlung des Senats trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten. Die Beklagte beantragt, über die Revision durch Versäumnisurteil zu entscheiden.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Pakete nach § 425 Abs. 1 , § 435 HGB (Fälle 2 und 7) und nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (Fälle 5 und 8) angenommen. Zur Begründung hat es - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:

Ein Mitverschulden der Versender gemäß § 254 Abs. 1 BGB am Verlust der Pakete, das sich der Kläger zurechnen lassen müsse, komme nicht in Betracht. Eine Mithaftung wegen unterlassener Wertdeklaration scheide aus, da die Versender keine Kenntnis davon gehabt hätten, dass die Pakete im Falle einer Wertdeklaration sorgfältiger behandelt worden wären.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen im Umfang der Zulassung der Revision zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Über die Revision ist, da der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung im Revisionstermin nicht vertreten war, auf Antrag der Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79 , 81).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt in den noch anhängigen Schadensfällen ein Mitverschulden der Versender in Betracht.

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Fall des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB und im Rahmen der verschärften Haftung nach Art. 29 CMR zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, TranspR 2003, 467 , 471 = NJW 2003, 3626 ; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 4/04, TranspR 2006, 116 , 117, m.w.N.).

b) Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht in seiner Annahme beigetreten werden, ein Mitverschulden der Versender gemäß § 254 Abs. 1 BGB425 Abs. 2 HGB ) wegen Unterlassens einer Wertdeklaration komme nicht in Betracht, weil eine Kenntnis der Versender, dass im Falle der Wertdeklaration von der Beklagten Maßnahmen ergriffen worden wären, die die Beförderungssicherheit erhöht hätten, nicht festgestellt werden könne. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Mitverschulden schon dann zu berücksichtigen sein, wenn der Versender die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch den Transporteur hätte erkennen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 284/02, TranspR 2006, 202 , 204; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 46/04, TranspR 2006, 205 , 206). Eine entsprechende Kenntnis wurde, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, den jeweiligen Versendern durch Nummer 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten vermittelt (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 85/04, TranspR 2006, 166 , 168; Urt. v. 19.1.2006 - I ZR 80/03, TranspR 2006, 121 , 123 = VersR 2006, 953 ; Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 106/05, TranspR 2007, 421 Tz. 22).

Hiervon ist auch in den dem CMR-Haftungsregime unterliegenden Schadensfällen auszugehen, auch wenn es in den Beförderungsbedingungen der Beklagten heißt, dass in diesen Fällen die im CMR-Abkommen festgelegten Haftungsbestimmungen Anwendung finden. Denn es kann angenommen werden, dass die Beklagte bei einer Wertangabe allgemein höhere Sicherheitsstandards einhalten wird (vgl. BGH TranspR 2006, 121 , 123).

c) Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie bei Paketwerten von mehr als 2.500 EUR bei richtiger Wertangabe und entsprechender Bezahlung des höheren Beförderungstarifs ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte. Hierzu hat das Berufungsgericht bislang - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

Gelingt der Beklagten dieser Beweis nicht, wird sich das Berufungsgericht in den Schadensfällen 5 und 7 mit dem Einwand des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB425 Abs. 2 HGB ) auseinanderzusetzen haben, der nicht die Feststellung voraussetzt, dass der Frachtführer Wertpakete generell sicherer befördert. Die Kausalität des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlichen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 265/03, TranspR 2006, 208 , 209). Ein ungewöhnlich hoher Schaden im Sinne dieser Vorschrift ist in den Schadensfällen 5 und 7 gegeben, in denen der Wert des Paketinhalts 5.000 EUR überstiegen hat (vgl. BGH TranspR 2006, 208 , 209).

III. Danach kann das angefochtene Urteil, soweit es von der Revision angegriffen worden ist, keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit das Berufungsgericht in den Verlustfällen 2, 5, 7 und 8 ein Mitverschulden verneint hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision einschließlich des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 11.05.2005 - Vorinstanzaktenzeichen I-18 U 227/04
Vorinstanz: LG Düsseldorf, vom 19.08.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 31 O 197/02