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BGH - Entscheidung vom 26.06.2006

II ZR 206/05

Normen:
BGB § 826
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 26.06.2006 - Aktenzeichen II ZR 206/05

DRsp Nr. 2006/20138

Verletzung des rechtlichen Gehörs in einem nach Auffassung des Bundesgerichtshofs für ein Massenverfahren ungeeigneten Prozess; Haftung von Vorstandsmitgliedern für unrichtige ad-hoc-Mitteilungen

Normenkette:

BGB § 826 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger zu 80 (B. ), zu 88 (H. ) und zu 98 (K. ) sind im erkannten Umfang begründet und führen insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO ). Das Berufungsgericht hat in diesem Umfang den Anspruch dieser Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, was letztlich darauf zurückzuführen ist, daß das vorliegende Massenverfahren gänzlich ungeeignet für eine Durchführung in einem Prozess ist und zu Fehlern der nachfolgend behandelten Art nahezu zwangsläufig führen muss.

1. Bei der Klägerin zu 80 (B. ) verneint das Berufungsgericht die Kausalität zwischen vorsätzlich falschen Ad-hoc-Mitteilungen der Beklagten und dem Aktienkauf vom 23. Februar 1999 lediglich mit der Erwägung, dass der Erwerbszeitpunkt vor der Ad-hoc-Mitteilung der I.-AG vom 20. Mai 1999 gelegen habe. Damit übergeht das Berufungsgericht den an sich von ihm selbst im Tatbestand festgestellten Vortrag der Klägerin, sie habe ihren Kaufentschluss im Februar 1999 aufgrund der ebenfalls unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 29. Dezember 1998 gefasst. Das Übergehen dieses wesentlichen Sachvortrags beruht offenbar darauf, dass das Berufungsgericht - wie sich aus anderem Zusammenhang entnehmen lässt - zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Ad-hoc-Mitteilung vom 29. Dezember 1998 sei nicht "streitgegenständlich". Demgegenüber hat die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend geltend gemacht, dass die Kläger bereits mit Schriftsatz vom 29. Mai 2001 auch die Ad-hoc-Mitteilung vom 29. Dezember 1998 zur Begründung ihrer Forderung herangezogen und deren inhaltliche Unrichtigkeit unter Beweisantritt behauptet haben.

Das Berufungsgericht wird daher in dem wiedereröffneten Berufungsverfahren das Vorbringen der Klägerin zu 80 unter diesem Blickwinkel erneut zu würdigen haben.

2. Auch hinsichtlich des Klägers zu 88 (H. ) hat das Berufungsgericht dessen Vortrag nicht in vollem Umfang richtig zur Kenntnis genommen und ihn demzufolge teilweise zu Unrecht dem Urteilskomplex zugeordnet, in dem seiner Auffassung nach das jeweilige Kaufdatum in Bezug auf die einschlägigen Ad-hoc-Mitteilungen nicht genannt worden und demzufolge die Kausalität zwischen diesen Ereignissen nicht feststellbar ist; abgesehen davon könne ohnehin eine Ad-hoc-Mitteilung vom 16. November 1999 nicht kausaler Bezugspunkt sein, weil deren Unrichtigkeit nicht feststehe. Demgegenüber hat der Kläger zu 88 bereits mit Schriftsatz vom 13. März 2001 im Einzelnen den 19. August 1999, den 23. August 1999, den 7. Februar 2000, den 28. Februar 2000 und den 20. Juli 2000 als Kaufzeitpunkte benannt; von einer lediglich pauschalen Darstellung über einen behaupteten Kauf "1999/2000" durch den Kläger zu 88 kann daher keine Rede sein. Danach erweist sich die Argumentation des Berufungsgerichts hinsichtlich der fehlenden kausalen Verknüpfung - bezogen auf die Ad-hoc-Mitteilung vom 16. November 1999 - zwar hinsichtlich der drei letzten Kaufzeitpunkte von Februar und Juli 2000 als revisionsrechtlich einwandfrei. Demgegenüber hat das Berufungsgericht aufgrund seiner unzureichenden Zurkenntnisnahme des vollständigen Sachvortrags dieses Klägers nicht geprüft, ob eine Kausalität der Ad-hoc-Mitteilung vom 20. Mai 1999 in Bezug auf die beiden Aktienkäufe vom 19. August und 23. August 1999 in Betracht kommt. Das wird aufgrund der Zurückverweisung nachzuholen sein.

3. Hinsichtlich des Klägers zu 98 (K. ) ist das Berufungsgericht - wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht rügt - zu Unrecht davon ausgegangen, als Zeitpunkt seiner Aktienkäufe über 8.880,90 DM und 2.075,26 DM sei der 21. März 1999 zugrunde zu legen, weil der vermeintlich neue Sachvortrag, dass der Kauf in Wirklichkeit am 21. Mai 1999 stattgefunden habe, gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zurückzuweisen sei. Das Berufungsgericht hat dabei jedoch übersehen, dass der Kläger zu 98 bereits in der ihn betreffenden Klageerweiterungsschrift vom 9. April 2001 seinen Zahlungsantrag insoweit mit zwei Käufen an dem letztgenannten Zeitpunkt des 21. Mai 1999 begründet hat. Zwar wurde in einem späteren Schriftsatz vom 20. August 2002 aufgrund eines offensichtlichen Schreibfehlers als Kaufdatum der 21. März 1999 genannt; jedoch wurde dieser Fehler auch in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 16. März 2005 wieder auf das richtige ursprüngliche Kaufdatum des 21. Mai 1999 korrigiert. Dass es sich bei der Mitteilung des Monats März statt Mai für das Kaufdatum um einen offenbaren Schreibfehler gehandelt hat, ergab sich nicht zuletzt daraus, dass dieser Kläger den Aktienerwerb mit der M.-Investition begründet hatte, die erst in der besagten Ad-hoc-Mitteilung vom 20. Mai 1999 mitgeteilt worden war.

Die aus der Verfahrensweise des Berufungsgerichts resultierende Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich, weil sich gerade aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe zwischen der Falschmeldung vom 20. Mai 1999 und dem nur einen Tag später erfolgten Aktienkauf des Klägers zu 88 ein hinreichend konkretes Indiz für den erforderlichen Kausalzusammenhang ergibt, so dass insoweit nach der im Übrigen vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Senatsrechtsprechung (BGHZ 160, 134 , 147 - Infomatec; Sen.Urt. v. 9. Mai 2005 - II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270 , 1274 - EMTV) zumindest eine hinreichende Anfangswahrscheinlichkeit für die vom Kläger beantragte Parteivernehmung nach § 448 ZPO in Betracht kommt.

II. Die weitergehenden Beschwerden der Kläger zu 88 und zu 98 sind ebenso wie die Beschwerden aller übrigen beschwerdeführenden Kläger unbegründet, weil keiner der im Gesetz (§ 543 Abs. 2 ZPO ) vorgesehenen Gründe vorliegt, nach denen der Senat die Revision zulassen darf. Der Rechtsstreit der Parteien hat insoweit weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der Senat hat auch die Verfahrensrügen - soweit sie von anderen einzelnen Klägern konkret erhoben worden sind - geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.

1. Ein entscheidungserheblicher Zulassungsgrund im Sinne des § 543 ZPO liegt nicht vor. Der Senat hat in seinen Grundsatzentscheidungen vom 19. Juli 2004 (BGHZ 160, 134 - Infomatec I - und BGHZ 160, 149 - Infomatec II) gerade für die Fälle des auch im vorliegenden Rechtsstreit einschlägigen Infomatec-Sachkomplexes die grundsätzlichen Fragen zur persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen nach § 826 BGB grundsätzlich geklärt; das gilt auch für die Frage der Zurechnung von Presseberichten oder Analystenempfehlungen unter dem Blickwinkel des § 15 Abs. 1 WpHG a.F. bzw. der Verantwortlichkeit nach § 826 BGB (vgl. BGHZ aaO. S. 148). Weitergehende Ausführungen zu diesem Aspekt sind - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer - aus Anlass des vorliegenden Falles nicht veranlasst.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerden weiterer fünf Beschwerdeführer, die sich ebenfalls auf die Verletzung des Art. 103 GG berufen, sind unbegründet.

a) Der Kläger zu 79 (E. ) weist zwar zutreffend darauf hin, dass sein konkreter Sachvortrag nur im Tatbestand des angefochtenen Urteils erwähnt, nicht jedoch in den Entscheidungsgründen besonders abgehandelt worden ist. Soweit darin eine fehlende Urteilsbegründung im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO liegt, ist eine Zurückverweisung der Sache durch den Senat nicht veranlasst. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dieser absolute Revisionsgrund aus Gründen der Prozessökonomie in einschränkender Auslegung der Norm nicht heranzuziehen, wenn das nicht erörterte Angriffs- oder Verteidigungsmittel zur Begründung bzw. Abwehr der Klage ungeeignet, das Vorbringen also rechtlich unerheblich ist und deshalb nicht zu dem vom Rechtsmittelführer erstrebten materiellen Erfolg führen könnte (vgl. nur BGHZ 39, 333, 338 f.; BGH, Urt. v. 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99, NJW 2000, 3421 - jeweils m.w. Nachw.; Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 543 Rdn. 18 m. Nachw.). So liegt es hier. Der Kläger hat die Aktien am 25. Mai 2000 und damit mehr als acht Monate nach der letzten in Betracht kommenden falschen Ad-hoc-Mitteilung vom 13. September 1999 erworben; die spätere Mitteilung vom 16. November 1999, die auch über sechs Monate zurücklag, war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nachweisbar unrichtig. Es kann danach kein Zweifel bestehen, dass das Berufungsgericht angesichts dieses erheblichen Zwischenraums den Fall des Klägers zu 79 in die abzuweisenden Fälle unter Nr. III des angefochtenen Urteils eingestuft hätte und dass dies auch - in Übereinstimmung mit der bisherigen Senatsrechtsprechung zu Infomatec-Fällen (BGHZ aaO. S. 147 unter III. 2. a, dd) - in einem wiederholten Berufungsverfahren geschehen würde.

b) Gleiches gilt in Bezug auf den Kläger zu 164 (M. ), bei dem zwar ebenfalls eine konkrete Begründung zur Klageabweisung fehlt, nach dessen Vortrag aber zwischen dem vorgetragenen Aktienerwerb am 14. Dezember 1999 und der als schadensursächlich behaupteten Ad-hoc-Mitteilung vom 20. Mai 1999 ebenfalls eine Zeitdifferenz von fast sieben Monate gelegen hat. Auch in diesem Fall ist es angesichts dieses erheblichen Zwischenraums völlig offen, wie dieser Kläger seine Anlageentscheidung konkret auf der Grundlage seines Vorbringens im Übrigen getroffen hat, so dass auch in einer erneuten Berufungsverhandlung auf der Grundlage der Senatsrechtsprechung zumindest die erforderliche Anfangswahrscheinlichkeit für die als Beweismittel allein in Betracht kommende eigene Parteivernehmung dieses Klägers zu verneinen wäre.

c) Vergleichbar liegt es im Falle des Klägers zu 196 (Kö. ), bei dem das Berufungsgericht infolge Nichterkennens eines offenbaren Schreibfehlers bezüglich des Kaufdatums (5. April 2000) von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Auch in diesem Fall ist wegen der langen zeitlichen Distanz zwischen der letzten Ad-hoc-Mitteilung vom September 1999 und dem zugrunde zu legenden Kaufdatum von April 2000 ein hinreichend plausibler Sachvortrag zur Kausalität, der die Möglichkeit einer Parteivernehmung eröffnen könnte, nicht zu erkennen.

d) Hinsichtlich des Kläger zu 82 (W. ) und der Klägerin zu 113 (T. ) ist auf der Grundlage der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen das rechtliche Gehör nicht erkennbar, weil dieses sich in revisionsrechtlich einwandfreier Weise mit dem jeweiligen Vorbringen auseinandergesetzt und dieses vertretbar tatrichterlich gewürdigt hat.

3. Von einer weiteren näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.

Vorinstanz: OLG München, vom 16.06.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 24 U 780/02
Vorinstanz: LG Augsburg, vom 30.09.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 300/01