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BGH - Entscheidung vom 10.10.2006

X ZR 101/04

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 10.10.2006 - Aktenzeichen X ZR 101/04

DRsp Nr. 2006/27682

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Hat das Berufungsgericht ein auf die Einrede der Verjährung gestütztes abweisendes Urteil des Landgerichts aufgehoben und ein Grundurteil erlassen, so ist das rechtliche Gehör verletzt, wenn es sich dabei nicht mit Einwendungen des Beklagten gegen den Grund des Anspruchs (hier: zum Verschulden) auseinander gesetzt hat.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Klägerin, die Trägerin der ...-Klinik in B. ist, beauftragte am 26. Januar 1998 die Beklagte mit der Errichtung eines Blockheizkraftwerks für die Klinik, wobei die Geltung der VOB/B vereinbart war; die Anlage wurde am 18. März 1998 in Betrieb genommen. Hinsichtlich der Verjährung war im Anhang vereinbart, dass die Gewährleistung zwei Jahre bei Abschluss eines Wartungsvertrags (hier: Teilwartungsvertrags) betrage. Ende November 1999 kam es zum Totalausfall des Moduls 1 des Kraftwerks wegen eines Motorschadens. Aufforderungen zur Mängelbeseitigung kam die Beklagte nicht nach; deshalb wurde ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt. Mit Schreiben vom 11. September 2000 kündigte die Klägerin an, zur Ersatzvornahme überzugehen. In einem früheren Hauptsacheverfahren wurde die Beklagte rechtskräftig verurteilt, an die Klägerin 109.000,-- DM zu zahlen; die Zahlung ist nebst Kosten und Zinsen erfolgt. Anschließend erteilte die Klägerin Auftrag für die Sanierungsarbeiten an ein Drittunternehmen, das das Blockheizkraftwerk demontierte, einen neuen Motor bestellte, diesen und den Generator umbauen ließ und den Motor alsdann einbaute, wodurch Kosten in Höhe von 109.739,64 DM verursacht wurden. Die Klägerin ließ ein neues Gutachten erstellen, das zum Ergebnis führte, die Anlage sei nicht wirtschaftlich einzusetzen, eine Vielzahl technischer Mängel seien nicht behebbar und eine typenbezogene Ersatzteilbevorratung fehle. Daraufhin erklärte die Klägerin am 24. April 2002 den Übergang zu einem bezifferten Schadensersatzanspruch und setzte Zahlungsfrist zum 15. Mai 2002. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe nach der wegen Unwirtschaftlichkeit gescheiterten Nachbesserung sowohl Anspruch auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten als auch Anspruch auf Erstattung des für die mangelhafte Anlage gezahlten Werklohns zu. Die Vereinbarung der Gewährleistungsfrist hat sie als unwirksam angesehen. Nach § 13 Nr. 5 VOB/B sei der Mangel rechtzeitig angezeigt worden. Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 394.906,50 EUR nebst Zinsen zu verurteilen. Die Beklagte hat Klageabweisung begehrt. Sie hat die Mängel bestritten, ein Verschulden geleugnet und sich im übrigen auf Verjährung berufen. Das Landgericht hat die Verjährungseinrede durchgreifen lassen und die Klage abgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht unter Aufhebung des Landgerichtsurteils dahin erkannt, dass der Klageanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt sei, und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über den Betrag des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen. Es hat unter Bezugnahme auf das Sitzungsprotokoll ausgeführt, der Senat gehe von einer Unterbrechung der Verjährung durch das selbstständige Beweisverfahren und die Vorschussklage aus. Deren Gegenstand sei der Ausfall des Moduls 1 auf Grund eines Motorschadens gewesen. Nach der Behauptung der Klägerin sei der Ausfall des Blockheizkraftwerks aber neben dem Motorschaden auf weitere, zwischen den Parteien streitige Mängel zurückzuführen. Damit seien aber Schaden und seine Ursache bereits Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens und der Vorschussklage gewesen. Es komme hinzu, dass jedenfalls die "vergeblichen" Kosten der Nachbesserung und die anschließende Begutachtung der Anlage Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens und der Vorschussklage gewesen seien. Bereits diese Kosten überstiegen den von der Beklagten auf Grund ihrer früheren Verurteilung bezahlten Vorschuss.

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte insbesondere geltend, das Berufungsurteil sei nicht mit Gründen versehen und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Es gebe der Klage allein mit der Begründung statt, dass von einer Unterbrechung der Verjährung auszugehen sei. Auf die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch überhaupt bestehe und woraus er sich ergebe, gehe es nicht ein. Die Beklagte habe sich vorrangig mit Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs verteidigt; das Landgericht habe hierzu keine Feststellungen getroffen. Das Berufungsgericht habe zunächst auf diese Einwendungen eingehen müssen. Es setze das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach voraus, obwohl die Parteien in erster Instanz hierüber gestritten hätten und das Landgericht die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen offengelassen habe. Damit sei der Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Hierauf beruhe die Entscheidung schon deswegen, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Vorbringens anders entschieden hätte.

II. Das angefochtene Urteil wird nach § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet, denn das Berufungsgericht hat, wie der Beschwerdeführer zu Recht rügt, in einer seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzenden Weise entscheidungserheblichen Sachvortrag des Klägers übergangen.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/92, BVerfGE 86, 133 , 145; BVerfG v. 31.3.1998 - 1 BvR 2008/97, NJW 1998, 2583 , 2584; BVerfG v. 4.8.2004 - 1 BvR 698/03, ZIP 2004, 1762 , 1763). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen.

2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Das Berufungsgericht hat sein Grundurteil in der Sache (im Weg der Bezugnahme auf das Sitzungsprotokoll) lediglich darauf gestützt, dass die Verjährung durch das selbstständige Beweisverfahren unterbrochen worden sei. Mit dem (auch zweitinstanzlichen) Vorbringen der Beklagten (Bl. 21 f., 108 f. GA), dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin schon an fehlendem Verschulden der Beklagten scheitern müsse, hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Nachdem sich das Landgericht darauf beschränkt hatte, auszuführen, dass der Schadensersatzanspruch verjährt sei, und keine Feststellungen zum Verschulden der Beklagten getroffen hat, kann sich die Bezugnahme des Landgerichtsurteils durch das Berufungsurteil nicht auf die Frage des Verschuldens beziehen.

b) Damit hat das Berufungsgericht jedenfalls Vortrag der Beklagten übergangen, aus dem diese ableitet, auf ihrer Seite liege Verschulden nicht vor. Fehlt es damit aber schon an Feststellungen zum Anspruchsgrund, durfte das Berufungsgericht kein Grundurteil zugunsten der Klägerin erlassen, denn dieses setzt voraus, dass der Streit über den Grund entscheidungsreif ist, d.h. dass die Anspruchsvoraussetzungen insoweit im positiven Sinn geklärt sind. Dazu fehlt es an jeglichen Feststellungen. Damit liegt die gerügte Gehörsverletzung vor, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Nichtzulassungsbeschwerde ohne weiteres zum Erfolg verhelfen muss (BVerfG, Plenarbeschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 ; vgl. Zöller/Gummer, ZPO , 25. Aufl., § 543 Rdn. 15a m.w.N.). Die mit der Zulassung der Revision verbundene Zurückverweisung beruht auf § 544 Abs. 7 ZPO der durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (AnhRügG) vom 7. Dezember 2004 (BGBl 2004 I, 3220) eingefügten Fassung.

3. Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Befassung mit der Sache insbesondere auch die Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen haben, die Beklagte habe die weiteren von der Klägerin behaupteten Mängel bestritten und diese hätten mit dem Schadensfall vom 30. November 1999 nichts zu tun (Beschwerdebegründung S. 8/9). Es wird in diesem Zusammenhang auch nochmals die Frage der Verjährung zu prüfen haben, was in sachgerechter Weise erst dann möglich sein wird, wenn es festgestellt hat, welche der behaupteten Mängel vorliegen. Insbesondere in diesem Zusammenhang ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass sich das Beweissicherungsverfahren auch auf die Mängel bezogen hat, die nunmehr geltend gemacht werden (vgl. Beschwerdebegründung S. 16).

Vorinstanz: OLG München, vom 01.06.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 1701/04
Vorinstanz: LG Landshut, vom 17.12.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 1712/02