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BGH - Entscheidung vom 19.09.2006

1 StR 247/06

Normen:
StPO § 261 § 337 Abs. 1

BGH, Urteil vom 19.09.2006 - Aktenzeichen 1 StR 247/06

DRsp Nr. 2006/24844

Überprüfung der Beweiswürdigung in der Revision; Anscheinsbeweis

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. 2. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd erscheinen" mag. Es gibt nämlich im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.

Normenkette:

StPO § 261 § 337 Abs. 1 ;

Gründe:

Der Angeklagte und die Nebenklägerin hatten am 6. Mai 2001 miteinander Geschlechtsverkehr. Der Angeklagte gibt an, dies sei einvernehmlich geschehen, die Nebenklägerin behauptet, der Angeklagte habe sie mit einem Messer bedroht. Die Strafkammer hat sich letztlich von einem strafbaren Geschehen nicht überzeugen können und den Angeklagten nach dem Zweifelssatz freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin, die erfolglos bleibt.

1. Der Angeklagte wurde am 6. Mai 2001, seinem Geburtstag, vom Zeugen R. angerufen. R. war in Begleitung der Nebenklägerin, mit der er sich getroffen hatte, da er "an der Aufnahme einer Beziehung" zu ihr "interessiert" war. R., der Angeklagte und die Nebenklägerin trafen sich in einem Lokal. Dort rief der Zeuge B. die Nebenklägerin an. Diesen hatte sie am 1. Mai 2001 "näher kennen gelernt" und war mit ihm eine "festere Verbindung" eingegangen, was dazu führte, dass B. "sich und die Zeugin ... seit diesem Zeitpunk als Paar ansah".

Die Nebenklägerin wusste nicht, wo sie war; der Angeklagte, mit dem B. ebenfalls sprach, sagte es ihm nicht. B. konnte entgegen seinem Plan die Nebenklägerin nicht abholen. Im Lokal "verhehlten" der Angeklagte und die Nebenklägerin vor dem Zeugen R. "ihre gegenseitige Sympathie ... nicht". Nach dem Verlassen des Lokals entfernte sich R., der sich "überflüssig" vorkam. Die Nebenklägerin und der Angeklagte fuhren mit dem Pkw des Angeklagten in die von ihm und seiner Freundin bewohnte Wohnung, wo es unter letztlich ungeklärten Umständen zum Geschlechtsverkehr kam.

In der Folgezeit sprach die Nebenklägerin wiederholt und gegenüber mehreren Personen davon, sie sei an diesem Tag vergewaltigt worden, auch gegenüber B. ; Anzeige erstattete sie nicht. Hierzu kam es erst im Juli 2005. Nachdem sie sich mehrfach getrennt und ihre Beziehung wieder aufgenommen hatten, "trug ... B. sich .. mit dem Gedanken, (sie) zu heiraten". Ihre damals häufigen Verstimmungszustände und Schlafstörungen "führte er auf die behauptete Vergewaltigung zurück" und "drängte" deshalb zur Anzeigeerstattung, zuletzt mit der Ankündigung, er werde andernfalls die Beziehung beenden. Der Vergewaltigungsvorwurf müsse, so B., "gerichtlich geklärt werden". Wenige Tage nach der Anzeige, bei deren Erstattung sie von B. begleitet wurde, begab sich die Nebenklägerin für mehrere Monate in stationäre psychotherapeutische Behandlung.

2. Die Strafkammer hat nicht verkannt, dass insbesondere auch zeitnahe Äußerungen der Nebenklägerin, etwa am nächsten Tag (7. Mai 2001) an ihrem Arbeitsplatz, den Vorwurf einer Vergewaltigung wesentlich stützen können. Gleichwohl hat sie letzte Zweifel nicht überwinden können. Diese stützen sich etwa auch darauf, dass die Nebenklägerin manchmal von einem Messer als Mittel zur Bedrohung gesprochen hat und manchmal nicht. Wenn sie von einem Messer gesprochen hat, dann unterschiedlich. In der Hauptverhandlung hat sie gesagt, der Angeklagte habe das Messer in der Hand gehabt und auf sie gerichtet. Bei der Polizei hat sie einmal gesagt, sie habe den Griff des Messers gesehen, ein anderes Mal, sie habe gewusst, dass er ein Messer in der Tasche habe.

3. Kann der Tatrichter nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen und spricht den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd erscheinen" mag. Es gibt nämlich im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ-RR 2003, 371 >LS<; StraFo 2003, 381 m.w.N.). Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik verstößt oder wenn die an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. BGH aaO.; NJW 2002, 2188 , 2189 m.w.N.).

4. Derartige Mängel zeigt die Revision nicht auf. Teilweise beschränkt sie sich auf den Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen. Deutlich wird das etwa an ihrem wiederholten Hinweis, "einzelne Sachverhaltsmomente" seien von der Strafkammer "übergewichtet" worden, sie habe ihnen einen "zu hohen Beweiswert beigemessen".

Im Übrigen mögen ihre Erwägungen belegen, dass auch eine andere Beweiswürdigung ebenso möglich gewesen wäre. Wenn die Strafkammer angesichts des insbesondere durch die Angaben des Zeugen R. belegten Verhaltens der Nebenklägerin unmittelbar vor der Tat und auch ihrer widersprüchlichen Angaben zu dem Messer sich von einer Vergewaltigung nicht überzeugen konnte und einen freiwilligen Geschlechtsverkehr für möglich hielt, sind die Grenzen möglicher und daher vom Revisionsgericht hinzunehmender tatrichterlicher Beweiswürdigung nicht überschritten.

Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 02.02.2006