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BGH - Entscheidung vom 08.08.2006

5 StR 284/06

Normen:
StGB § 21
StPO § 267 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2006, 369

BGH, Beschluß vom 08.08.2006 - Aktenzeichen 5 StR 284/06

DRsp Nr. 2006/22758

Mitteilung der Beurteilungsgrundlagen einer übernommenen Sachverständigengutachtens

Das Gericht muss die Beurteilungsgrundlage des psychiatrischen Sachverständigen jedenfalls dann in einer zur Überprüfung durch das Revisionsgericht ausreichenden Weise mitteilen, wenn die in Betracht kommende verminderte Schuldfähigkeit auf mehreren Ursachen (hier: Alkohol und Affekt) beruhen kann.

Normenkette:

StGB § 21 ; StPO § 267 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zu dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der 26 Jahre alte Angeklagte seine Lebensgefährtin, die Mutter seines knapp zwei Jahre alten Sohnes T., - unter einer Blutalkoholkonzentration von 1,88 % nach Durchführung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs - mit einem Messerstich in den Hals. Er fügte sodann seinem bewusstlosen Opfer in rascher Folge acht gleichförmige Stiche unterhalb der Brust und einen Stich in die Schamregion zu. Nach einer "zeitlichen Zäsur unbestimmter Länge" nach Eintritt des Todes stach der Angeklagte erneut elfmal in den Körper der Frau.

Das Landgericht hat - sachverständig beraten - das Bewusstsein des Angeklagten, die Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tat ausgenutzt zu haben, mit fehlerfreier Begründung bejaht. Da dieser eindeutige Befund durch eine etwaige erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ersichtlich nicht berührt würde, steht der Schuldspruch nicht in Frage. Indes bestehen gegen die weitere Annahme des Schwurgerichts, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei unter dem Anknüpfungspunkt einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung vollständig erhalten gewesen, durchgreifende Bedenken. Diese führen allein zur Aufhebung des Strafausspruches; die Voraussetzungen des § 64 StGB liegen eindeutig nicht vor.

1. Das Landgericht hat die Beurteilungsgrundlage des psychiatrischen Sachverständigen nicht in einer zur Überprüfung durch das Revisionsgericht ausreichenden Weise mitgeteilt (vgl. BGHR StGB § 20 Bewusstseinsstörung 3). Die Ausführungen des Landgerichts hierzu (UA S. 42) lassen im Unklaren, welche Behauptungen psychischer Befindlichkeiten des Angeklagten das Landgericht als Schutzbehauptung wertet und welche Umstände der psychiatrische Sachverständige demgegenüber als Anknüpfungstatsachen in seinem Gutachten herangezogen hat.

2. Darüber hinaus bezieht sich die Würdigung des Schwurgerichts, auch insoweit dem Gutachter folgend, nicht auf das gesamte Verhalten des Angeklagten vor und während der Tat (vgl. BGHR aaO.).

a) Der kurz nach dem tödlichen Halsstich zugefügte Messerstich in die Schamregion wird nicht gesondert gewürdigt. Er könnte aber im Zusammenhang mit der kurz vor der Tat aufgeflammten Eifersucht des Angeklagten stehen (UA S. 6). Das Landgericht hat ferner nicht erwogen, ob die Schlussfolgerung des Angeklagten aus einer Äußerung des Tatopfers, er sei nicht der Erzeuger von T. (UA S. 26), die Affektspannungen in der schwierigen Partnerbeziehung erhöht haben könnte (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 6). Die Lebensgefährtin des Angeklagten erhob schließlich unmittelbar vor der Tat eine den üblichen Umfang übersteigende Kritik gegenüber dem Angeklagten in Bezug auf dessen Alkoholkonsum und Spielleidenschaft (UA S. 9).

b) Insbesondere hat das Landgericht seinen Blick nicht darauf gerichtet, dass der Angeklagte nach einer zeitlichen Zäsur erheblicher Dauer seiner bereits verstorbenen Lebensgefährtin weitere elf Stiche zugefügt hat. Dieser Umstand und auch, dass das Landgericht keine nachvollziehbare Erklärung für die beträchtliche Anzahl der Stiche noch nach dem ersten massiven Stich in den Hals gefunden hat (UA S. 43), zieht die Wertung des Schwurgerichts, das Verletzungsbild spreche gegen ein kopfloses Wüten des Angeklagten, sondern vielmehr für ein kontrolliertes und berechnendes Handeln (UA S. 43), durchgreifend in Zweifel.

3. Danach bedarf der psychische Zustand des Angeklagten zur Tatzeit insgesamt neuer Bewertung in einer Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3). Insbesondere das fehlerfrei festgestellte weitere Nachtatgeschehen lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass die Voraussetzungen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung mit den Auswirkungen des § 20 StGB festzustellen sein werden.

Vorinstanz: LG Zwickau, vom 06.03.2006
Fundstellen
NStZ-RR 2006, 369