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BGH - Entscheidung vom 15.02.2006

IV ZR 129/02

Normen:
VBLS § 44 (a.F.)
BetrAVG § 18 § 26

Fundstellen:
VersR 2006, 638

BGH, Urteil vom 15.02.2006 - Aktenzeichen IV ZR 129/02

DRsp Nr. 2006/7440

Berechnung der Zusatzrente im öffentlichen Dienst

Nach § 26 BetrAVG gelten die §§ 1 - 4 und 18 nicht, wenn das Arbeitsverhältnis oder Dienstverhältnis vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, dem 22.12.1974, beendet worden ist. Dieser Ausschluss gilt unabhängig vom Geschlecht sowie vom Alter im Zeitpunkt des Ausscheidens und betrifft Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst und ausserhalb des öffentlichen Dienstes gleichermaßen. Er ist verfassungsrechtlich nicht nur unbedenklich, sondern viel mehr geboten, um eine rechtstaatlich unzulässige Rückwirkung zu vermeiden.

Normenkette:

VBLS § 44 (a.F.) ; BetrAVG § 18 § 26 ;

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der beklagten Versorgungseinrichtung für den öffentlichen Dienst eine höhere und dynamische Zusatzrente.

Die 1938 geborene Klägerin war von 1958 bis Ende 1969 bei einer Stadtverwaltung beschäftigt. Anschließend zog sie zwei Kinder groß. Von 1989 bis 1994 war sie mit Zeitarbeitsverträgen im öffentlichen Dienst tätig. Ab dem 1. Dezember 1999 erhielt sie von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Beklagte errechnete für die Klägerin mit Mitteilung vom 22. Mai 2000 eine statische Versicherungsrente nach § 44 ihrer damals geltenden Satzung (VBLS a.F.) in Höhe von brutto 78,92 DM im Monat, davon 53,28 DM für die Zeit von 1958 bis 1969.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr eine Versicherungsrente nach § 18 BetrAVG in der Fassung vom 21. Dezember 2000 ( BetrAVG n.F.) für den mit Beiträgen und Umlagen belegten Zeitraum vom 1. Oktober 1958 bis 31. Dezember 1969 zu gewähren, und dementsprechend Zahlung einer um mindestens 71,08 DM höheren monatlichen Zusatzrente. Sie meint unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1998 (BVerfGE 98, 365), die Rente sei in entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG a.F. wie bei Arbeitnehmern außerhalb des öffentlichen Dienstes zu berechnen, jetzt nach der die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umsetzenden Regelung in § 18 BetrAVG n.F.. Davon abgesehen sei für die Berechnung der Versicherungsrente nicht § 44 VBLS a.F., sondern die für die Klägerin günstigere, für unverfallbare Anwartschaften geltende Bestimmung des § 44a VBLS a.F. maßgebend. Soweit darin die Unverfallbarkeit das Ausscheiden aus einem Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 35. Lebensjahres voraussetze, sei dies unwirksam. Dadurch würden Frauen, die ihre Berufstätigkeit wegen der Erziehung von Kindern unterbrechen, verfassungswidrig und europarechtswidrig diskriminiert. Schließlich sei auch die Berechnung der Versicherungsrente nach § 44 VBLS a.F. zu beanstanden, insbesondere wegen der fehlenden Dynamisierung. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die oben genannten, in den Vorinstanzen abgewiesenen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Berechnung der Rente nach § 44 VBLS a.F. und deren fehlende Dynamisierung seien nicht zu beanstanden. Die Anwendung dieser Bestimmung und des § 44a VBLS a.F. führe zu keiner Diskriminierung von Frauen. Insbesondere verstoße die Altersgrenze von 35 Jahren in § 44a Abs. 1 Satz 1 VBLS a.F. nicht gegen höherrangiges Recht. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Grenze sachwidrig oder willkürlich sei. Die Kammer wäre auch nicht befugt, eine aus ihrer Sicht sinnvollere Altersgrenze anstelle der vom Satzungsgeber geschaffenen zu setzen. Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 1. Oktober 1958 bis 31. Dezember 1969 hätten die neuen Regelungen des Betriebsrentenrechts durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I 1914) und das Altersvermögensgesetz vom 26. Juni 2001 (BGBl. I 1310) zu keinen Änderungen geführt. Aus den Übergangsregelungen in §§ 30d, 30f BetrAVG ergebe sich, dass die Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen in § 1b BetrAVG n.F. und die verbesserte Berechnung der Zusatzrente nach § 18 BetrAVG n.F. auf den geltend gemachten Anspruch der Klägerin nicht anwendbar seien.

II. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis richtig entschieden. Die Beklagte hat die Berechnung der Zusatzrente mit Recht nach § 44 VBLS a.F. vorgenommen.

1. Die Klägerin hat für den mit Beiträgen und Umlagen belegten Zeitraum vom 1. Oktober 1958 bis 31. Dezember 1969 keinen Anspruch auf eine Zusatzrente nach § 18 BetrAVG n.F. oder § 18 BetrAVG a.F., der durch § 44a VBLS a.F. ohne inhaltliche Änderung in die Satzung der Beklagten übernommen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2004 - IV ZR 56/03 - VersR 2004, 453 unter II 1 a).

a) Nach § 26 BetrAVG gelten die §§ 1 bis 4 und 18 nicht, wenn das Arbeitsverhältnis oder Dienstverhältnis vor dem Inkrafttreten des Gesetzes - dem 22. Dezember 1974 - beendet worden ist. Dieser Ausschluss gilt unabhängig vom Geschlecht sowie vom Alter im Zeitpunkt des Ausscheidens und betrifft Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst und außerhalb des öffentlichen Dienstes gleichermaßen. Er ist verfassungsrechtlich nicht nur unbedenklich, sondern vielmehr geboten, um eine rechtsstaatlich unzulässige Rückwirkung zu vermeiden (vgl. BVerfGE 65, 196 , 217 f.; BVerfG NJW 1978, 2023 ; Blomeyer/Otto, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung 3. Aufl. § 26 Rdn. 1; Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Bd. I Arbeitsrecht 8. Ergänzungslieferung Stand September 2004/Januar 2005 § 26 Rdn. 5701 f.)

Bei dieser Rechtslage ist es nach der Neuregelung des Betriebsrentenrechts durch die oben unter I zitierten Gesetze verblieben. § 26 BetrAVG ist nicht geändert worden. Die Übergangsvorschrift des § 30d BetrAVG zu § 18 , die für die dort genannten Fälle auf die Berechnung nach § 18 BetrAVG a.F. verweist, erfasst vor dem 22. Dezember 1974 beendete Beschäftigungsverhältnisse von vornherein nicht. Sie setzt voraus, dass § 18 BetrAVG vor der Neuregelung anwendbar war, was nach § 26 BetrAVG ausgeschlossen ist. Das Gleiche gilt für die Übergangsvorschrift des § 30f BetrAVG zu den neuen Unverfallbarkeitsfristen. Nach § 26 BetrAVG gelten weder die alten noch die neuen Vorschriften über die Unverfallbarkeit, wenn das Beschäftigungsverhältnis vor dem 22. Dezember 1974 beendet worden ist.

Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, die Neuregelung des § 18 BetrAVG und der Unverfallbarkeitsfristen auf solche Beschäftigungsverhältnisse und damit auf vor Jahrzehnten abgeschlossene Sachverhalte zu erstrecken. Vielmehr war ihm dies wegen des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots verwehrt. Das Bundesverfassungsgericht hat selbst für die von § 18 BetrAVG a.F. betroffenen, dem Grunde nach unverfallbaren Anwartschaften dem Gesetzgeber zugebilligt, die Folgen der Verfassungswidrigkeit für die Vergangenheit einzugrenzen (BVerfGE 98, 365, 402 f.).

b) Danach liegen die von der Klägerin gerügten Grundrechtsverstöße nicht vor. Insbesondere ist keine gleichheitswidrige Benachteiligung von Frauen durch die mit § 26 BetrAVG , § 1 BetrAVG a.F. inhaltlich übereinstimmende Unverfallbarkeitsregelung in § 44a Abs. 1 VBLS a.F. gegeben. Für die Ausschlusswirkung des § 26 BetrAVG ist es unerheblich, wie alt die Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1969 war.

c) Auch der von der Revision gerügte Verstoß gegen das im europäischen Gemeinschaftsrecht normierte Gebot der Gleichbehandlung von Männern und Frauen liegt nicht vor. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil der Grundsatz des gleichen Entgelts aus betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit nur Leistungen abdeckt, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 gewährt werden (EuGH NZA 2005, 347 f.; EuGH, Rs. C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, 1955 f. Rdn. 40 ff.).

2. Die Berechnung der Versicherungsrente für den Beschäftigungszeitraum vom 1. Oktober 1958 bis 31. Dezember 1969 nach § 44 VBLS a.F. ist nicht zu beanstanden.

Diese Art der Berechnung der Versicherungsrente benachteiligt die Versicherten nicht entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ) und verletzt auch nicht im Rahmen der Inhaltskontrolle zu beachtende Grundrechte, wie der Senat im Urteil vom 14. Januar 2004 eingehend dargelegt hat (aaO. unter II 2 b). Den aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Bediensteten wird damit ein versicherungstechnischer Gegenwert für die geleisteten Beiträge gewährt. Den Versicherten bleibt damit in jedem Fall eine gewisse Anwartschaft erhalten. Im Vergleich zu Arbeitnehmern außerhalb des öffentlichen Dienstes werden dadurch insbesondere Versicherte begünstigt, die wie die Klägerin das Arbeitsverhältnis vor dem 22. Dezember 1974 beendet haben und noch keine nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unverfallbare Anwartschaft (vgl. dazu Blomeyer/Otto, aaO. § 1b Rdn. 115 ff.) erworben hatten.

Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer Dynamisierung der Zusatzrente (VersR 2000, 835 , 838) hat die Beklagte durch ihre neue Satzung hinreichend Rechnung getragen, wie der Senat im Urteil vom 14. Januar 2004 ausgeführt hat (aaO. unter II 2 c). Seit dem 1. Januar 2002 werden nach §§ 76 Abs. 2, 39 VBLS n.F. auch Versicherungsrenten einmal jährlich zum 1. Juli um 1% erhöht.

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 01.03.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 6 S 7/01
Vorinstanz: AG Karlsruhe, vom 23.03.2001 - Vorinstanzaktenzeichen 2 C 407/00
Fundstellen
VersR 2006, 638