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BGH - Entscheidung vom 04.10.2006

2 StR 297/06

Normen:
StPO § 244 Abs. 3

Fundstellen:
NStZ-RR 2007, 52

BGH, Beschluß vom 04.10.2006 - Aktenzeichen 2 StR 297/06

DRsp Nr. 2006/27694

Bedeutungslosigkeit von Indiztatsachen

Indiztatsachen sind bedeutungslos, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will, weil es ihn im Hinblick auf die gesamte Beweislage für falsch hält.

Normenkette:

StPO § 244 Abs. 3 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Verurteilung liegt die Mitwirkung des Angeklagten an sogenannten "Stoßbetrügereien" - im Fall 1 über die Firma C. in N., im Fall 2 über die Firma P. in H. - zugrunde.

I. Die auf mehrere Verfahrensrügen und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO ). Der näheren Ausführung bedarf nur Folgendes:

1. Mit der Verfahrensrüge Nr. 3 beanstandet der Beschwerdeführer eine Verletzung von § 244 Abs. 2 und Abs. 3 StPO . Diese Rüge ist unbegründet.

a) In der Hauptverhandlung vom 20. Dezember 2005 hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers den Beweisantrag gestellt, den Zeugen N., unter einer Anschrift in Serbien-Montenegro zu laden und in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Der Zeuge sollte u. a. bekunden, dass der Beschwerdeführer nicht an den Warenbestellungen über die Firma C. mitgewirkt und keinen Anteil an deren gemeinschaftlicher Ausbeutung durch Betrügereien gehabt habe. Insbesondere sei es nicht der Angeklagte gewesen, der im Auftrag des gesondert verfolgten R. an den gesondert verfolgten L. herantrat, damit dieser N. zur Übernahme der Strohmanngeschäftsführung der Firma C. überredete. Insoweit hat die Strafkammer den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es handele sich nur um einen Beweisermittlungsantrag. Es werde nur der Nachweis negativer Tatsachen begehrt. Nicht dargetan sei, welche Wahrnehmungen der Zeuge bekunden könne, die Rückschlüsse auf das Vorliegen der Negativtatsache zulassen. Die Aufklärungspflicht gebiete daher die Ladung und Vernehmung des Zeugen nicht.

Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"Ob der Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen N. mit der gegebenen Begründung rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden ist, bedarf keiner Entscheidung, weil ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf einer möglicherweise rechtsfehlerhaften Behandlung dieses Antrags beruht. Ziel des Beweisantrages war es, wie sich aus dem Fettdruck auf Seite 29 der Revisionsbegründung ergibt, unter Beweis zu stellen, dass 'der Angeklagte G. an keiner einzigen Bestellung der Firma C. beteiligt war'. Die Feststellungen des Tatrichters decken sich mit dieser Beweisbehauptung (UA S. 7); festgestellt ist, dass die Bestellungen durch die Mittäter R. und E. erfolgten, während dem Beschwerdeführer im Rahmen des gemeinsamen Tatplanes andere Aufgaben zufielen. Er erledigte logistische Tätigkeiten im Lager und bestimmte die Versendung der eingehenden Bestellwaren. Die Beweisbehauptung hätte deshalb selbst im Falle ihrer Erweislichkeit die Tatbeteiligung des Beschwerdeführers nicht in Frage stellen können. Mithin kann das Urteil auf der Behandlung des Beweisantrages nicht beruhen."

Dem schließt sich der Senat an.

b) Mit dem gleichen Beweisantrag hatte der Beschwerdeführer auch die Vernehmung des Zeugen N. zum Beweis der Tatsache beantragt, dass die Brüder und Le. dem N. den Vorschlag machten, Strohmann-Geschäftsführer der Firma C. zu werden. Des Weiteren sollte der Zeuge bekunden, dass die von ihm gemeinsam mit L. abgehobenen Gelder in keinem einzigen Fall an den Angeklagten, sondern immer bei oder Le. abgeliefert werden mussten.

Insoweit hat die Strafkammer den Beweisantrag abgelehnt, weil "die in das Wissen des Zeugen gestellte Behauptungen ungeeignet zum Nachweis der behaupteten Tatsachen" seien. Sie hat zur Begründung ausgeführt, es sei nach den Bekundungen der bisherigen Zeugen und den Einlassungen der Angeklagten ausgeschlossen, dass die Brüder Le. an dem Tatkomplex C. beteiligt waren. Auf der Grundlage der bisherigen Beweisaufnahme hätten die behaupteten Tatsachen auf die Überzeugung auch dann keinen Einfluss gehabt, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen bestätigt hätte.

Auch insoweit hält die Ablehnung des Beweisantrages rechtlicher Überprüfung stand. Entgegen der unzutreffenden und missverständlichen Bezeichnung als "ungeeignet" hat die Strafkammer den Beweisantrag - das ergibt sich aus den Ausführungen in der Begründung - ersichtlich wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.

Die Annahme von Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Bei den behaupteten Tatsachen handelte es sich nur um Indiztatsachen. Solche sind bedeutungslos, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will, weil es ihn im Hinblick auf die gesamte Beweislage für falsch hält (vgl. BGH, Urt. vom 17. Mai 2001 - 4 StR 412/00; BGH NJW 1988, 501 , 502; st. Rspr.). Letzteres ist hier nach der von der Strafkammer gegebenen Begründung der Fall.

2. Auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht hält das Urteil der Nachprüfung stand. Insbesondere genügen die Erörterungen im Rahmen der Strafzumessung noch den Begründungserfordernissen zur Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Zwar hat die Strafkammer einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht ausdrücklich festgestellt (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7; BGHSt 45, 308, 309), sondern lediglich ausgeführt, "dass seit Tatbegehung annähernd 5 1/2 Jahre vergangen sind, wobei dieser Zeitablauf zum Großteil seit Mitte 2002 durch die Justiz verursacht wurde (...)". Im Weiteren hat das Landgericht eine ausdrücklich bezifferte Herabsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe aufgrund dieser Verzögerung vorgenommen, jedoch nicht dargelegt, inwieweit bei der Zumessung der Einzelstrafen der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK Rechnung getragen wurde (zur Erforderlichkeit vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 1; BGH MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 16).

Der Zusammenhang dieser Begründung zeigt aber, dass der Tatrichter zutreffend von einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausgegangen ist. Der Umstand, dass die verhängten Einzelstrafen von zwei Jahren und neun Monaten (Fall 1) und von zwei Jahren (Fall 2) noch nicht einmal im Falle ihrer Addition die vom Landgericht als an sich angemessen erachtete Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren erreichen, zeigt, dass es die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auch bei der Bemessung der Einzelstrafen berücksichtigt hat.

II. Im Übrigen hat die auf Grund des Revisionsvorbringens gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Ergänzend merkt der Senat an, dass der von der Revision erhobene Vorwurf der Verfahrensmanipulation ohne Grundlage ist. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Ablehnungsbeschlüsse, die Gegenstand von zwei Verfahrensrügen sind, nicht beschieden oder der Verteidigung vorenthalten worden sind, so dass diese ihren Inhalt im Rahmen der Revisionsbegründung nicht hätte mitteilen können. Erst recht gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine Verfahrensmanipulation durch den Generalbundesanwalt.

Die Ablehnungsanträge sind beschieden worden. Sie befinden sich im Sonderheft "Ablehnung", welches Aktenbestandteil ist. Sie sind auch dem Verteidiger - entgegen dem insoweit falschen Vortrag in der Revisionsbegründung und der "anwaltlichen Versicherung" aus der Gegenerklärung vom 15. August 2006 - zugänglich gemacht worden. Hinsichtlich des Beschlusses vom 9. November 2005 ergibt sich das bereits aus der Übersendeverfügung des Vorsitzenden vom gleichen Tag und dem entsprechenden Protokoll über eine erfolgreiche Telefaxsendung. Im Übrigen ergibt es sich auch - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 15. November 2005; danach "(übergab) ... der Vorsitzende ... den Verteidigern jeweils Kopien der Beschlüsse wegen der Ablehnung der Berufsrichter und des Gerichts."

Vorinstanz: LG Limburg, vom 06.02.2006
Fundstellen
NStZ-RR 2007, 52