Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 23.02.2006

V ZR 201/05

Normen:
ZPO § 544 Abs. 7
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 23.02.2006 - Aktenzeichen V ZR 201/05

DRsp Nr. 2006/7773

Aufhebung eines Berufungsurteils wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs

Normenkette:

ZPO § 544 Abs. 7 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Der Kläger kaufte durch notariellen Vertrag vom 5. Juli 1999 von den Beklagten zu 1 und 2 ein mit einem Fitness- und Squaschcenter bebautes Grundstück. Er verpflichtete sich, bis zur Zahlung des Kaufpreises von 1,75 Mio. DM eine monatlich fällige Nutzungsentschädigung zu leisten. Im September 2002 erklärte der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung.

Die Beklagten zu 1 und 2 hatten zuvor ihre Kaufpreisforderung und den Anspruch auf Nutzungsentschädigung aus dem Vertrag vom 5. Juli 1999 an die Beklagte zu 3 abgetreten. In einer mit der Beklagten zu 3 getroffenen Vereinbarung vom 27. März/2. April 2003 stimmte der Kläger der Freigabe und Auszahlung eines zu seinen Gunsten hinterlegten Betrags von 130.000 EUR an die Beklagte zu 3 zu. Hierdurch sollten deren Ansprüche wegen der Zahlung einer Nutzungsentschädigung bis einschließlich 31. Oktober 2002 gleich aus welchem Rechtsgrund erledigt sein. Die Freigabe erfolgte seitens des Klägers ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, insbesondere ohne Anerkennung der Wirksamkeit des Grundstückskaufvertrages vom 5. Juli 1999 und ohne Verzicht auf etwaige weitere Ansprüche.

Der Kläger hat die Feststellung beantragt, dass der Kaufvertrag vom 5. Juli 1999 nichtig ist. Ferner hat er die Beklagte zu 3 unter anderem auf Rückzahlung der 130.000 EUR in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die beantragte Feststellung getroffen. Wegen des Betrags von 130.000 EUR ist die Berufung erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen; hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist mangels Beschwer des Klägers unzulässig, soweit sie sich gegen die Beklagten zu 1 und 2 richtet. Das angefochtene Urteil beschwert den Kläger nur durch die Abweisung des gegen die Beklagte zu 3 gerichteten Antrags auf Zahlung von 130.000 EUR.

Die Einbeziehung der Beklagten zu 1 und 2 in das Beschwerdeverfahren ist auch nicht im Hinblick darauf erforderlich, dass die Kostenentscheidung, weil sie einheitlich ergehen muss, bei einem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde insgesamt aufzuheben und gegebenenfalls neu zu fassen ist (vgl. BGH, Urt. v. 14. Juli 1981, VI ZR 35/79, MDR 1981, 928 ). Hiermit kann keine Änderung der Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten zu 1 und 2 einhergehen, da sie an dem Streit über die Rückzahlung der 130.000 EUR nicht beteiligt sind.

III. Gegenüber der Beklagten zu 3 ist die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, da das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat.

1. Die Beschwerde rügt zu Recht, dass der unter Beweis gestellte Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 18. Juli 2005, bei Abschluss der Vereinbarung vom 27. März/2. April 2003 habe Einigkeit darüber bestanden, dass ihm, sollte die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Erfolg haben, Rückzahlungsansprüche gegen die Beklagte zu 3 zustünden, bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt geblieben ist. Zwar spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass ein Gericht seiner Verpflichtung zur Kenntnisnahme und Erwägung des Parteivorbringens nachgekommen ist. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG liegt aber vor, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass dies nicht der Fall war (vgl. BVerfGE 86, 133 , 146).

So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat den Schriftsatz des Klägers vom 18. Juli 2005 offensichtlich übersehen. Dieser war - anders als der im Berufungsurteil allein erwähnte Schriftsatz vom 29. Juli 2005 - innerhalb der Frist eingegangen, die dem Kläger für eine Stellungnahme zu der Auffassung des Berufungsgerichts, hinsichtlich des Betrags von 130.000 EUR enthalte die Vereinbarung vom 27. März/2. April 2003 eine abschließende Regelung, eingeräumt worden war. Hätte das Berufungsgericht ihn zur Kenntnis genommen, hätte es im Urteil weder von einem nicht nachgelassenen Schriftsatz sprechen noch den darin enthaltenen Vortrag unter Hinweis auf die §§ 525 , 296a ZPO unberücksichtigt lassen können. Auch aus der Wiedergabe des klägerischen Vortrags im Berufungsurteil wird deutlich, dass das Berufungsgericht nur den Schriftsatz des Klägers vom 29. Juli 2005 zur Kenntnis genommen, denjenigen vom 18. Juli 2005 aber übersehen hat.

2. Der übergangene Vortrag war entscheidungserheblich.

a) Sollte der Vortrag des Klägers in dem Schriftsatz vom 18. Juli 2005 zutreffen, bei Abschluss der Vereinbarung vom 27. März/2. April 2003 habe zwischen ihm und der Beklagten zu 3 Einigkeit darüber bestanden, dass ihm bei erfolgreicher Anfechtung Rückzahlungsansprüche gegen die Beklagte zu 3 zustünden, so wäre dieser Wille maßgeblich. Denn ein übereinstimmendes Verständnis einer Vereinbarung durch die Parteien geht deren Wortlaut und jeder anderweitigen Auslegung vor; das gilt auch dann, wenn dieses Verständnis in der Vereinbarung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (vgl. BGHZ 135, 269 , 273; Senat, Urt. v. 7. Dezember 2001, V ZR 65/01, NJW 2002, 1038 , 1039).

b) Der übergangene Vortrag hätte nicht ohne weiteres als unsubstantiiert zurückgewiesen werden können.

Zwar genügte die Angabe des Klägers, zwischen ihm und der Beklagten zu 3 habe Einigkeit bestanden, dass der Betrag von 130.000 EUR bei Nichtigkeit des Kaufvertrags zurückgefordert werden könne, nicht, um ein entsprechendes übereinstimmendes Verständnis von dem Inhalt der am 27. März/2. April 2003 getroffenen Vereinbarung schlüssig darzulegen. Die Behauptung, einer bestimmten vertraglichen Regelung liege eine übereinstimmende Vorstellung der Parteien zugrunde, betrifft eine innere Tatsache, über die nur dann Beweis zu erheben ist, wenn auch schlüssig dargelegt worden ist, dass die Parteien ihren übereinstimmenden Willen einander zu erkennen gegeben haben. Wird - wie hier - ein Zeuge zum Beweis einer nicht für seine Person maßgebliche innere Tatsache benannt, ist ein derartiger Beweisantrag nur dann erheblich, wenn die Umstände schlüssig dargelegt sind, aufgrund deren er Kenntnis von der inneren Tatsache, also von der übereinstimmenden Vorstellung der Vertragsparteien, erlangt hat (vgl. BGH, Urt. v. 29. März 1996, II ZR 263/94, NJW 1996, 1678 , 1679 m.w.N). Letzteres kann sich hier daraus ergeben, dass der Zeuge die Vereinbarung mit den Parteien gemeinsam entworfen und auch verhandelt hat. Beurteilen lässt sich dies aber nur, wenn auch die Umstände dargelegt werden, aus denen sich ergibt, dass der Kläger und die Beklagte zu 3 einander ihren übereinstimmenden Willen zu erkennen gegeben haben. Hierzu verhält sich der Schriftsatz vom 18. Juli 2005 nicht.

Das Berufungsgericht hätte den Kläger aber nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf die unzureichende Substantiierung seines Vortrags hinweisen und ihm Gelegenheit zu ergänzenden Darlegungen geben müssen (vgl. BGH, Urt. v. 22. April 1999, I ZR 37/97, NJW 1999, 3716 ; Zöller/Greger, ZPO , 25. Aufl., § 139 Rdn. 17). Da nicht auszuschließen ist, dass der Kläger diese Gelegenheit genutzt hätte und es dann zu einer Vernehmung des benannten Zeugen gekommen wäre, beruht die angefochtene Entscheidung auf der Gehörsverletzung.

IV. Das Berufungsurteil war daher, soweit es zum Nachteil des Klägers ergangen ist, aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO ).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte sich hinsichtlich der Reichweite von Ziffer 3 Absatz 2 der Vereinbarung vom 27.März/2. April 2003 kein übereinstimmendes Verständnis der Parteien feststellen zu lassen, so ist bei der von dem Berufungsgericht dann erneut vorzunehmenden Auslegung der Vereinbarung auch zu berücksichtigen, welche Ansprüche an die Beklagte zu 3 abgetreten worden sind. Handelte es sich nur um vertragliche Ansprüche, könnte dies der Annahme entgegenstehen, durch die Freigabe der 130.000 EUR hätten auch die sich bei Nichtigkeit des Vertrags vom 5. Juli 1999 ergebenden Ansprüche der Beklagten zu 1 und 2 aus den §§ 812 ff. BGB abgegolten werden sollen.

V. Hinsichtlich der für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten hat der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch gemacht.

Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 15.08.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 11 U 20/05
Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 21.01.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 1319/04