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BGH - Entscheidung vom 06.02.2006

II ZB 1/05

Normen:
ZPO § 233

Fundstellen:
AnwBl 2006, 357
BB 2006, 689
BGHReport 2006, 669
BRAK-Mitt 2006, 116
FamRZ 2006, 619
JZ 2006, 372
MDR 2006, 599
NJW 2006, 1520
VersR 2007, 1391

BGH, Beschluß vom 06.02.2006 - Aktenzeichen II ZB 1/05

DRsp Nr. 2006/7400

Anforderungen an die Büroorganisation eines Rechtsanwalts bei der Notierung von Fristen

»Ein anwaltliches Organisationsverschulden liegt vor, wenn nicht nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft der Anwaltskanzlei für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich ist, sondern es vielmehr möglich ist, dass mehrere Büroangestellte hierfür zuständig sind. Dasselbe gilt, wenn Fristennotierung und -überwachung einer noch in der Ausbildung befindlichen Kraft übertragen werden.«

Normenkette:

ZPO § 233 ;

Gründe:

I. Die Parteien betrieben vom 1. Juni 1985 bis 31. Dezember 1999 in Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Handwerksbetrieb. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung eines Anteils in Höhe von 106.956,42 EUR am Gewinn der Gesellschaft in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage durch Schlussurteil vom 23. Juli 2004 abgewiesen. Gegen die ihm am 26. Juli 2004 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 27. August 2004 Berufung eingelegt und wegen der Versäumung der Berufungsfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt. Mit seiner - vom Berufungsgericht nicht zugelassenen - Rechtsbeschwerde will der Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erreichen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 577 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Entgegen der Annahme des Klägers erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in dieser Sache nicht, weil der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang steht.

1. Nach Darstellung des Klägers beruht die Versäumung der Frist für die Berufungseinlegung darauf, dass die ordnungsgemäß im Fristenkalender der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten notierte Frist am Abend des 25. August 2004 bereits gestrichen war, als der Anwalt den Kalender gemeinsam mit seiner Sekretärin auf die am folgenden Tage anstehenden Termine und ablaufenden Fristen überprüfte. Wer die Streichung der Frist vorgenommen hat, kann nach dem Vortrag des Klägers nicht mehr geklärt werden; in Betracht hierfür kommen nach seinem Vorbringen sowohl die Sekretärin des Anwalts als auch eine Auszubildende im dritten Lehrjahr.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn die Möglichkeit offen geblieben ist, dass die Einhaltung der Frist schuldhaft versäumt worden ist (BGH, Beschl. v. 14. Januar 1993 - VII ZB 18/92, VersR 1993, 772 , 773). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.

a) Von einem für die Fristversäumung ursächlichen anwaltlichen Organisationsverschulden ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auszugehen, wenn nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht festgestellt werden kann, dass nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich ist, sondern es möglich ist, dass mehrere Büroangestellte und unzulässigerweise sogar eine noch auszubildende Kraft (BGH, Beschl. v. 20. Juni 1978 - VI ZB 7/78, VersR 1978, 959 , 960) hierfür zuständig sind (BGH, Beschl. v. 8. Juli 1992 - XII ZB 55/92, NJW 1992, 3176 m.w.Nachw.). So liegt es hier.

b) In der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags heißt es, eine Kontrolle der Fristen erfolge in der Form, dass der Anwalt bei Büroschluss mit seinen Mitarbeitern, vor allem mit seiner Sekretärin, Frau K., den darauf folgenden Tag hinsichtlich Termine, Besprechungen und Fristen überprüfe. Aus dieser Formulierung ergibt sich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass allein Frau K. für die Fristenüberwachung zuständig war. Daran ändert es nichts, dass es im nächsten Absatz heißt, Frau K. nehme jeweils den Terminkalender zur Hand und teile dem Rechtsanwalt mit, welche Fristen anstünden. Auch der Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 21. Oktober 2004, wonach Fristen normalerweise nur von der Mitarbeiterin K. des Prozessbevollmächtigten gestrichen werden, lässt nicht mit der notwendigen Klarheit erkennen, dass nach den Anweisungen seines Prozessbevollmächtigten allein Frau K. zur Fristenstreichung berechtigt war. Vielmehr lässt die Verwendung des Wortes "normalerweise" darauf schließen, dass Ausnahmen von der behaupteten Regel möglich sind.

c) Da das Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht daran scheitert, dass im Nachhinein nicht mehr aufgeklärt werden konnte, welches die Ursache der versehentlichen Friststreichung war, kommt es entgegen der Ansicht der Beschwerde auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2004 ( VIII ZB 32/04, NJW-RR 2005, 1006 ) nicht an, der zufolge es zur Glaubhaftmachung eines Versehens der Darlegung von Gründen, die das Versehen erklären könnten, nicht bedarf.

Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 26.11.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 1092/04
Vorinstanz: LG Koblenz, vom 23.07.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 10 O 67/00
Fundstellen
AnwBl 2006, 357
BB 2006, 689
BGHReport 2006, 669
BRAK-Mitt 2006, 116
FamRZ 2006, 619
JZ 2006, 372
MDR 2006, 599
NJW 2006, 1520
VersR 2007, 1391