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Zuständigkeitskonflikte im PKH-Verfahren

Entscheidungsbesprechung mit Praxishinweis: Zuständigkeitskonflikt nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im PKH-Verfahren und ausschließliche Zuständigkeit nach § 642 ZPO

OLG Hamm - Beschluss vom 02.09.2008 (2 Sdb FamS Zust. 15/08)

Leitsatz:

1. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Regelung von Zuständigkeitskonflikten findet in PKH-Verfahren entsprechende Anwendung. Erforderlich ist jedoch eine ernsthafte und als endgültig gemeinte Unzuständigkeitserklärung aller beteiligten Gerichte. Diese liegt noch nicht vor, so lange sie nicht allen Verfahrensbeteiligten zumindest formlos bekannt gemacht wurde.
2. Die ausschließliche Zuständigkeit nach § 642 ZPO ist auch gegeben, wenn ein Volljähriger gegen einen Elternteil Ansprüche auf rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit seiner Minderjährigkeit geltend macht.

Darum geht es:

Der in M wohnende inzwischen volljährige Antragsteller begehrt vom Antragsgegner – seinem in E wohnenden leiblichen Vater – Zahlung von Sonderbedarf zum Kindesunterhalt aus der Zeit seiner Minderjährigkeit. Das angerufene Amtsgericht – Familiengericht – Lünen hat seinen Antrag auf Bewilligung von PKH zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach Eintritt seiner Volljährigkeit sei das für E zuständige Gericht örtlich zuständig. Dagegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt und hilfsweise Abgabe an das örtlich zuständige Gericht beantragt. Daraufhin hat sich das AG Lünen durch begründeten und den Parteien zugestellten Beschluss für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das irrtümlich für E zuständig gehaltene Amtsgericht – Familiengericht – Hainichen verwiesen, das sich mit weiterem Beschluss ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht – Familiengericht – Marienberg abgegeben hat. Das AG Marienberg hat die Übernahme des Rechtsstreits mit den Parteien formlos zugesandter Verfügung abgelehnt und die Akten über das AG Hainichen an das AG Lünen zurückgesandt, das die Sache dem OLG Hamm zur Entscheidung über die Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt hat.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Das OLG Hamm hat eine Entscheidung abgelehnt und dazu ausgeführt:

Analoge Anwendung von § 36 ZPO im PKH-Prüfungsverfahren
Zwar sei nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch auf PKH-Prüfungsverfahren entsprechend anwendbar (vgl. Senat, FamRZ 1989, 641). Jedoch liege ein Zuständigkeitskonflikt im Sinne dieser Vorschrift nicht vor. Hierzu sei in jedem Fall eine ernsthafte und als endgültig gemeinte Unzuständigkeitserklärung aller beteiligten Gerichte erforderlich, die nicht rein gerichtsintern geblieben, sondern den Beteiligten bekannt gemacht worden sein müsse (vgl. BGH, NJW-RR 1992, 1154; 1997, 1161; BayObLG, NJW-RR 2005, 1012; OLG Hamburg, OLGR Hamburg 2005, 805). Daran fehle es, denn das AG Hainichen habe die in seinem Beschluss festgehaltene Unzuständigkeitserklärung nur dem Antragstellervertreter, nicht aber dem Antragsgegner zugesandt.

Bindung des Verweisungsbeschlusses
Auch binde der Verweisungsbeschluss des AG Lünen das AG Hainichen nicht. Zwar sei anerkannt, dass auch im PKH-Verfahren ergangene Verweisungsbeschlüsse Bindungswirkung i.S.v. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfalten können. Dies hätte die Folge, dass das Gericht, an welches die Sache verwiesen worden ist, für das PKH-Verfahren – nicht für das nachfolgende Streitverfahren – zuständig werde (vgl. BGH, NJW-RR 1992, 59 f.). Das gelte auch dann, wenn die Verweisung fehlerhaft erfolgt sei (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 27. Aufl. § 281 Rn 16b m.w.N.).

Ausnahmsweise keine Bindung des Verweisungsbeschlusses
Ausnahmsweise entfalte ein Verweisungsbeschluss aber dann keine Bindungswirkung, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig sei, so dass sie objektiv willkürlich erscheine, oder wenn sie unter Versagung des rechtlichen Gehörs ergangen sei, d.h. das Gericht den Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe (vgl. BGH, NJW 1978, 1163, 1164; Zöller-Greger, a.a.O., § 281 Rn 17a m.w.N.).

Offensichtliche Gesetzwidrigkeit der Verweisungsentscheidung
Offensichtlich gesetzwidrig sei eine Verweisungsentscheidung dann, wenn sich das verweisende Gericht über eine eindeutige Zuständigkeitsvorschrift hinweggesetzt oder über die Zuordnung des Gerichts, an das es verweist, zu dem für die Zuordnung maßgeblichen Wohnsitz der Partei offensichtlich geirrt habe (vgl. BAG BB 1995, 627 f.; NJW 1997, 1091 f.). Denn auch in einem solchen Fall kann die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben sein. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, da das für den Wohnsitz des Antragsgegners zuständige Gericht das AG Marienberg und nicht das AG Hainichen sei, an welches die Sache verwiesen wurde.

Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit
Der Verweisungsbeschluss des AG Lünen binde auch das AG Marienberg nicht. Zwar könne der Verweisungsbeschluss des AG Lünen jederzeit nach § 319 ZPO wegen offensichtlicher Unrichtigkeit berichtigt werden. Das habe zur Folge, dass der Beschluss Bindungswirkung gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO gegenüber dem AG Marienberg entfalte (vgl. BGH, FamRZ 1997, 173; OLG Stuttgart, MDR 2004, 1377). Tatsächlich sei eine Berichtigung des Verweisungsbeschlusses aber unterblieben. Das AG Hainichen habe die Akten unmittelbar an das AG Marienberg weitergeleitet, ohne dem AG Lünen vorher Gelegenheit zu geben, seinen Beschluss entsprechend zu berichtigen.

Keine bindende Verweisung
Die Abgabe der Sache durch das AG Hainichen an das AG Marieberg stelle ebenfalls keine bindende Verweisung i.S.d. § 281 ZPO dar. Zwar sei das AG Hainichen aufgrund der fehlenden Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des AG Lünen berechtigt gewesen, den Rechtsstreit im PKH-Verfahren bindend an das AG Marienberg weiter zu verweisen (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 281 Rn 17, 19). Eine Bindungswirkung entfalte sein Beschluss aber schon deswegen nicht, weil es vor seiner Entscheidung zwar dem Antragsteller, nicht aber den Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigen Verweisung gegeben habe. Damit habe es seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weshalb es gerechtfertigt sei, der Verweisung die Bindungswirkung zu versagen (vgl. BGH, FamRZ 1978, a.a.O.).

Örtliche Zuständigkeit gem. § 642 Absatz ein Satz 1 ZPO
Die örtliche Zuständigkeit des AG Lünen folge aus § 642 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Danach sei für Verfahren, die die gesetzliche Unterhaltspflicht eines Elternteils gegenüber einem minderjährigen Kind betreffen dasjenige Gericht ausschließlich zuständig, bei dem das Kind oder der Elternteil, der es gesetzlich vertritt, seinen allgemeinen Gerichtsstand habe. Der allgemeine Gerichtsstand des Antragstellers werde durch seinen Wohnsitz in M bestimmt (§ 13 ZPO). Es handele sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit auch um ein Verfahren, das die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber einem Minderjährigen betreffe.

Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Klageerhebung unerheblich
Dafür komme es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Verfahrens noch minderjährig sei. Ausreichend sei vielmehr, dass sich der streitgegenständliche Anspruch auf die Zeit seiner Minderjährigkeit beziehe. Die ausschließliche Zuständigkeit nach § 642 ZPO sei daher auch dann gegeben, wenn ein Volljähriger gegen einen Elternteil Ansprüche auf rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit seiner Minderjährigkeit geltend mache (Senat, FamRZ 2001, 1012 f.; OLG Naumburg, FamRZ 2005, 120; Zöller-Philippi, a.a.O., § 642 Rz. 2a; Musielak-Borth, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl., § 642 Rn 2a).

Die vom AG Lünen vertretene Rechtsansicht, dass sich die Vorschrift des § 642 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur auf Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber ihren im Zeitpunkt der Klageerhebung noch minderjährigen Kindern beziehe, finde im Gesetz keine Stütze. Der Gesetzgeber habe die prozessuale Erleichterung für die Geltendmachung von Ansprüchen Minderjähriger von der Art des geltend gemachten Anspruchs und nicht von der Person des Anspruchstellers abhängig gemacht. Das folge daraus, dass § 642 Abs. 1 Satz 1 ZPO als zuständigkeitsbegründenden Umstand auf die "gesetzliche Unterhaltspflicht" der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern und nicht auf den vom minderjährigen Kind (oder von seinem gesetzlichen Vertreter für das Kind) geltend gemachten Unterhaltsanspruch abstelle. Dieser vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachte Wille sei keiner einschränkenden Auslegung durch die Instanzgerichte zugänglich.

Praxishinweis:

Grundsätzlich zuständig für die Entscheidung über den PKH-Antrag ist stets dasjenige Gericht, das auch für die Entscheidung in der Hauptsache berufen ist, §§ 117 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO (vgl. BGH, ProzRB 2005, 34). Dabei steht der Bewilligung von PKH auch nicht entgegen, dass sie von einem im Ausland lebenden Ausländer für die Rechtsverfolgung in Deutschland begehrt wird (OLG Brandenburg, FamRZ 2007, 2003). Umstritten ist lediglich die Frage, ob deshalb die Regelungen, die im Hauptsacheverfahren bei Zuständigkeitszweifeln eingreifen, auch auf das Verfahren betreffend die PKH anzuwenden sind. Die herrschende Meinung differenziert dabei zwischen Zweifeln bezüglich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit einerseits und des zuständigen Rechtswegs andererseits:

Die §§ 36 und 281 ZPO sind nach allgemeiner Meinung im PKH-Verfahren jedenfalls analog anwendbar, weshalb auch dort eine für das bestimmte Gericht verbindliche Zuständigkeitsbestimmung bzw. eine bindende Verweisung erfolgen kann. Sofern ein Gericht die Übernahme eines gem. § 281 ZPO (analog) verwiesenen PKH-Verfahrens ablehnt, ist das zuständige Gericht analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, d.h. ein Scheitern des PKH-Begehrens wegen bloßer Kompetenzungewissheit ist ausgeschlossen (vgl. Gsell/Mehring, NJW 2002, 1991; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2006, 431).

Der ausschließliche Gerichtsstand des § 642 Abs. 1 ZPO gilt wegen seines eindeutigen Wortlauts auch dann nicht für Volljährige, wenn sie in materieller Hinsicht (§ 1603 II 2 BGB) Minderjährigen gleichgestellt sind, mangels Vorliegen einer Gesetzeslücke auch nicht analog (OLG Naumburg, FamRZ 2000, 380; OLG Hamm FamRZ 2003, 1126). Ebenfalls betrifft er nicht den gesetzlichen Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gegen seine Großeltern (§ 1607 Abs. 1 BGB); vielmehr richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts in diesem Falle nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 12, 13 ZPO (OLG Köln, OLGR Köln 2004, 166).

Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn während des Prozesses Volljährigkeit eintritt (OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 1012) oder gleichzeitig eine Geltendmachung von Unterhalt für ein minderjähriges Kind aus derselben Familie erfolgt (OLG Oldenburg, OLGR Oldenburg 2005, 348; OLG Stuttgart, FamRZ 2002, 1044; OLG Oldenburg FamRZ 2005, 1846).