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Zugewinngemeinschaft: Wohnrecht als verbliebenes Vermögen i.S.v. § 1365 BGB

Bei der Beurteilung, ob die Übertragung eines Grundstücks durch einen Ehegatten sein Vermögen im Ganzen betrifft, ist ein von ihm vorbehaltenes dingliches Wohnungsrecht als ihm verbliebenes Vermögen zu berücksichtigen.

Darum geht es

Die Ehefrau war Alleineigentümerin eines Hausgrundstücks, das ihr wesentliches Vermögen darstellte. 1999 veräußerte sie das hälftige Miteigentum an ihren Sohn aus erster Ehe, den Bruder der Beklagten. Ihren verbliebenen Miteigentumsanteil übertrug sie mit notariellem Vertrag von 2002 auf die Beklagte und deren Bruder. Im Gegenzug erhielt sie an dem Hausgrundstück, bezogen auf die Räume einer Untergeschosswohnung, ein dingliches Wohnungsrecht.

Der mit der Mutter der Beklagten seit 1999 verheiratete Kläger beruft sich auf die Unwirksamkeit der Übertragungen wegen Verfügung über das Vermögen im Ganzen nach § 1365 Abs. 1 BGB.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das AG hat die auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Nach Auffassung des BGH verfügte die Ehefrau nicht über ihr Vermögen im Ganzen i.S.v. § 1365 Abs. 1 BGB. Eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen liegt i.d.R. vor, wenn der Ehegatte bei kleineren Vermögen mit einem oder mehreren Einzelgegenständen mehr als 85 % seines Vermögens überträgt.

Berücksichtigung des eingeräumten Wohnrechts als verbliebenes Vermögen

Zwar genügt die Veräußerung eines einzelnen Vermögensgegenstands, sofern das Veräußerungsobjekt im Wesentlichen das ganze Vermögen des Ehegatten ausmacht und der Vertragspartner dies weiß oder zumindest die Verhältnisse kennt, aus denen sich dies ergibt. Bei der Veräußerung eines Grundstücks ist ein dem Veräußerer im Zuge der Eigentumsübertragung eingeräumtes Wohnungsrecht als diesem verbliebener Vermögenswert zu berücksichtigen. Wegen des ihr eingeräumten lebenslangen Wohnungsrechts ist der Ehefrau ein Restvermögen von mehr als 15 % verblieben, was der Anwendung des § 1365 Abs. 1 BGB entgegensteht.

Folgerungen aus der Entscheidung

Ob bei der Veräußerung eines Grundstücks ein dem Veräußerer im Zuge der Eigentumsübertragung eingeräumtes Wohnungsrecht als diesem verbliebener Vermögenswert zu berücksichtigen ist und eine Verfügung über das gesamte Vermögen ausschließen kann, war umstritten. Teilweise wurde dies mit dem Zweck des § 1365 Abs. 1 BGB verneint, einen möglichen Anspruch des anderen Ehegatten auf Zugewinnausgleich zu sichern, der einen Vollstreckungszugriff auf das verbliebene Vermögen erfordere, was beim Wohnungsrecht nicht der Fall sei (OLG Celle, v. 29.01.1987 – 12 UF 122/86, DRsp-Nr. 1992/7610 = FamRZ 1987, 942; OLG Hamm, Urt. v. 31.05.1996 – 29 U 55/96, DRsp-Nr. 1997/5513 = FamRZ 1997, 675 für Nießbrauch).

Wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten

Nach der Gegenansicht, der sich der BGH anschließt, ist dagegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten. Die gesetzliche Regelung in § 1365 Abs. 1 BGB unterscheidet nicht danach, ob ein Vermögensgegenstand der Zwangsvollstreckung unterliegt oder nicht. Dementsprechend stellt das Wohnungsrecht aufgrund der dadurch gewährleisteten Nutzung aufseiten des Berechtigten bewertungsfähiges Vermögen dar und ist deswegen in die Beurteilung miteinzubeziehen (OLG Koblenz, Urt. v. 23.08.2007 - 5 U 284/07, DRsp-Nr. 2008/22315 = FamRZ 2008, 1078; Brudermüller in Palandt, BGB, 72. Auflage 2013, § 1365 Rdnr. 4). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die zur Eigentumsübertragung und zur Bestellung des Wohnungsrechts erforderlichen Willenserklärungen – wie im vorliegenden Fall – in einem einheitlichen Vertrag abgegeben werden und miteinander stehen und fallen.

Praxishinweis

In die Beurteilung der Verfügung über das gesamte Vermögen i.S.v. § 1365 Abs. 1 BGB sind alle Leistungen und Gegenleistungen miteinzubeziehen. Bei Grundstücksgeschäften kommt es zunächst auf den – um valutierende Belastungen verringerten (BGH, Urt. v. 25.06.1980 – IVb ZR 516/80, DRsp-Nr. 1994/5135 = FamRZ 1980, 765, 766) – Wert des Grundstücks an. Die Festsetzung von Ausgleichszahlungen, eine Befreiung von Verbindlichkeiten oder auch die Einräumung eines dinglichen Wohnrechts ist bei der Wertermittlung als Gegenleistung zu berücksichtigen.
Keine ausreichende Gegenleistung ist eine bloß mietvertragliche Nutzungsberechtigung (BGH, Urt. v. 12.07.1989 – IVb ZR 79/88, DRsp-Nr. 1992/1770 = FamRZ 1989, 1051, 1052). Ferner ist darauf zu achten, dass Leistung und Gegenleistung zwingend miteinander verknüpft sind, also insbesondere in einem einheitlichen Vertrag abgegeben werden und miteinander stehen und fallen.
Bei kleineren Vermögen ist der Tatbestand des § 1365 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht erfüllt, wenn dem verfügenden Ehegatten Werte von mindestens 15 % seines ursprünglichen Gesamtvermögens verbleiben. Bei größeren Vermögen genügt es dagegen, dass dem verfügenden Ehegatten Werte von mindestens 10 % verbleiben (BGH, Urt. v. 13.03.1991 – XII ZR 79/90, DRsp-Nr. 1992/728 = FamRZ 1991, 669 für Gesamtvermögen von ca. 500.000 DM).

>> weiter zum Volltext: BGH, Urt. v. 16.01.2013 – XII ZR 141/10, DRsp-Nr. 2013/3333