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Wegfall des Rentnerprivilegs als grobe Unbilligkeit i.S.d. § 27 VersAusglG

Eine befristete Herabsetzung des Versorgungsausgleichs ist nicht bereits deshalb geboten, weil das Verfahren über den Versorgungsausgleich ausgesetzt war und dem ausgleichspflichtigen Ehegatten, wäre über den Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31.08.2009 geltenden Recht entschieden worden, das sogenannte Rentnerprivileg (§ 101 Abs. 3 SGB VI alter Fassung) zugutegekommen wäre.

Darum geht es

Auf die im Januar 2009 zugestellten wechselseitigen Anträge hat das Familiengericht die 1976 geschlossene Ehe der Beteiligten unter Abtrennung der Folgesache Versorgungsausgleich rechtskräftig geschieden. Im Oktober 2010 hat das Familiengericht das Verfahren über den Versorgungsausgleich wieder aufgenommen.

In der Ehezeit gem. § 3 Abs. 1 VersAusglG (01.03.1976–31.12.2008) erwarben die Beteiligten jeweils auszugleichende Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung und Versorgungspunkte aus einer Pflichtversicherung der Zusatzversorgung des öffentlichen Diensts, wobei der Ehemann in beiden Fällen mehr Anrechte auszugleichen hatte als die Ehefrau.

Der Ehemann schied aufgrund einer in Anspruch genommenen Altersteilzeitregelung bereits mit 60 Jahren aus dem Erwerbsleben aus und bezieht seit dem 01.08.2011 eine (noch nicht durch den Versorgungsausgleich gekürzte) Altersrente in Höhe von netto 1.418,45 €. Die Ehefrau arbeitet noch bis zu ihrem 66. Lebensjahr.

Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich durch interne Teilung vollständig durchgeführt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Ehemannes, mit der er eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG verfolgt hat, hat das OLG zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Ehemannes.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde zurück und bestätigt die Entscheidung des OLG.

Auf das Verfahren zum Versorgungsausgleich ist gem. Art. 111 Abs. 4 FGG-RG, § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG das seit dem 01.09.2009 geltende neue Recht anzuwenden, weil das Verfahren vom Scheidungsverbund abgetrennt, als Folgesache ausgesetzt und erst nach dem 01.09.2009 wieder aufgenommen worden ist (BGH, Beschl. v. 26.10.2011 – XII ZB 567/10, DRsp-Nr. 2011/21062 = FamRZ 2012, 98 Rdnr. 7 ff. und Beschl. v. 16.02.2011 – XII ZB 261/10, DRsp-Nr. 2011/3905 = FamRZ 2011, 635 Rdnr. 10 ff.).

Zwar kann eine lange Trennungszeit zu einer groben Unbilligkeit gem. § 27 VersAusglG führen, wenn der ausgleichspflichtige Überschuss an Versorgungsanrechten, die ein Ehegatte erzielt hat, darauf beruht, dass der andere Ehegatte nach der Trennung aufgrund seines Alters – und damit nicht ehebedingt – keine Versorgungsanwartschaften mehr erworben hat (BGH, Beschl. v. 19.05.2004 – XII ZB 14/03, DRsp-Nr. 2004/11280 = FamRZ 2004, 1181, 1183). Die hier lediglich einjährige Trennungszeit reicht dafür aber nicht aus.

Dass die nach der Ehezeit weiter berufstätige Ehefrau später womöglich über einen höheren Rentenanspruch als der vorzeitig in Altersteilzeit gegangene Ehemann verfügt, lässt als nachehezeitliche Tatsache und Entwicklung den ehezeitlichen Versorgungsausgleich ebenfalls grundsätzlich unbeeinflusst.

Schließlich ist eine befristete Herabsetzung des Versorgungsausgleichs nicht bereits deshalb geboten, weil dem Ehemann – wäre über den Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31.08.2009 geltenden Recht entschieden worden – das sogenannte Rentnerprivileg (§ 101 Abs. 3 SGB VI alter Fassung) zugutegekommen wäre. Bei der Abschaffung dieser Regelung, die den Ausgleichspflichtigen über den Halbteilungsgrundsatz hinaus durch eine versicherungsfremde Sozialleistung aus den Mitteln der gesetzlichen Regelsicherungssysteme begünstigte (BGH, Beschl. v. 07.11.2012 – XII ZB 271/12, DRsp-Nr. 2012/23268 = FamRZ 2013, 189 Rdnr. 15), handelt es sich um eine grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmende Gesetzesänderung. Sie trifft auch den Ehemann, da über den Versorgungsausgleich nicht vor dem Inkrafttreten der Neuregelung entschieden war.

Das neue Recht zieht eine Aussetzung der Kürzung der laufenden Versorgung aufgrund des Versorgungsausgleichs nur noch in Betracht, wenn der Ausgleichspflichtige eine laufende Versorgung wegen Invalidität oder Erreichens einer besonderen Altersgrenze erhält und aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistung beziehen kann, § 35 Abs. 1 VersAusglG. Unter diese Vergünstigung fällt der Ehemann nicht, da er eine vorgezogene Rente nicht wegen Invalidität oder Erreichens einer besonderen Altersgrenze bezieht, sondern aufgrund einer in Anspruch genommenen Altersteilzeitregelung.

Folgerungen aus der Entscheidung

Infolge des bis zum 31.08.2009 geltenden Rentnerprivilegs nach § 101 Abs. 3 SGB VI alter Fassung wäre die Rente des Ehemannes durch den Versorgungsausgleich so lange nicht gekürzt worden, bis die Ehefrau ihrerseits in Rente gegangen wäre. Das neue Recht kennt diese Regelung nicht mehr. Nachteile, die mit der Reform des Versorgungsausgleichs zum 01.09.2009 zusammenhängen, begründen aber i.d.R. keine besondere Härte. Dies gilt gerade für den Wegfall des Rentnerprivilegs (siehe bereits OLG Stuttgart, Beschl. v. 07.03.2011 – 18 UF 332/10, 18 WF 276/10, DRsp-Nr. 2011/4595 = FamRZ 2011, 982; Hauß, HK-FamR, 2. Auflage 2012, § 27 VersAusglG Rdnr. 42). Etwas anderes kann gelten, wenn weitere Härtegründe hinzutreten, die der BGH hier aber verneint.

Diese Grundsätze gelten auch für die mit dem Rentnerprivileg vergleichbaren früheren Privilegien der Beamten (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG) und Soldaten (§ 55c Abs. 1 Satz 2 SVG), die ebenfalls am 01.09.2009 entfallen sind (zu den Beamten siehe aber noch den Praxishinweis).

Problematisch sind die Ausführungen des BGH zu § 35 VersAusglG. Nach dem Sachverhalt dürfte der Ehemann seit dem 60. Lebensjahr eine Altersrente nach § 237 SGB VI aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Dies wäre jedoch eine vorgezogene Altersrente i.S.d. § 35 Abs. 1 VersAusglG (siehe auch BT-Drucks. 16/11903, S. 55).

Praxishinweis

Stets sollte beachtet werden, dass ein Ausschluss nach § 27 VersAusglG nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Der BGH verlangt, dass die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs unter Abwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten der Gerechtigkeit in unerträglicher Weise widersprechen muss (BGH, Beschl. v. 19.09.2012 – XII ZB 649/11, DRsp-Nr. 2012/22686 = FamRZ 2013, 106). Beruft sich ein Ehegatte auf die Anwendung des § 27 VersAusglG, trifft ihn eine umfangreiche Darlegungslast. Ohne konkreten Anlass muss das Familiengericht keine Ermittlungen anstellen (näher: Götsche, HK-VersAusglR, § 27 VersAusglG Rdnr. 84 und 94).

Unter bestimmten Voraussetzungen wirken die bis zum 31.08.2009 geltenden Privilegien für Rentner (§ 268a SGB VI), Pensionäre (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG) und Soldaten (§ 55c Abs. 1 Satz 2 SVG) auch nach dem 01.09.2009 fort. Dies setzt voraus, dass vor dem 01.09.2009
• sowohl das Versorgungsausgleichsverfahren eingeleitet worden ist
• als auch bereits eine Leistung (Rente) aus der zu kürzenden Versorgung erbracht wurde.

Allerdings gibt es auch nach neuem Recht (noch) ein Quasipensionärsprivileg für Landes- und Kommunalbeamte. Aufgrund der Föderalismusreform von 2006/2007 sind die Bundesländer für die Besoldung und Versorgung ihrer Beamten selbst zuständig. Bisher sind jedoch keine eigenständigen Regelungen des Versorgungsrechts für Beamte geschaffen worden. Nach Art. 125a Abs. 1 GG gelten das alte BeamtVG und damit auch das Beamtenprivileg des § 57 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG daher fort, bis das jeweilige Bundesland eine andere Regelung schafft (dazu näher – insbesondere auch zur anwaltlichen Beratung: Götsche, FamExpress 2010, 122).

Weiter zum Volltext: BGH, Beschl. v. 13.02.2013 – XII ZB 527/12, DRsp-Nr. 2013/4642

Lesen Sie hierzu auch: Antrag auf Zahlung der schuldrechtlichen Ausgleichsrente nach § 20 VersAusglG