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Sittenwidrigkeit von Scheidungsfolgenvereinbarungen

Einseitig belastende Regelungen in Scheidungsfolgenvereinbarungen – wie hier der Verzicht auf den Versorgungsausgleich – unterfallen nur dann § 138 Abs. 1 BGB, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie auf einer Störung der subjektiven Vertragsparität beruhen.

Der Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs kann sittenwidrig sein, wenn er zulasten der Grundsicherung geht. Bei rentenfernen Jahrgängen ist es problematisch, die erforderliche Prognose zu stellen, dass ein Ehegatte nur aufgrund des Verzichts auf die Grundsicherung angewiesen sein wird.

Darum geht es

Die Beteiligten heirateten 1994. Die Antragstellerin arbeitete in der Ehezeit im Wesentlichen durchgängig als Ärztin. Seit 2010 war sie wegen psychischer Probleme mehrmals krankgeschrieben. Der Antragsgegner, Dipl.-Ing. der Elektrotechnik, führte während der Ehe den Familienhaushalt und versorgte die beiden gemeinsamen Kinder.

Die Beteiligten trennten sich Anfang 2010. Mit notariellem Vertrag vom 08.10.2010 trafen die Beteiligten, damals beide 44 Jahre alt, eine Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung, in der sie u.a. den Zugewinnausgleich und den Hausrat regelten sowie umfassend auf nachehelichen Unterhalt und die Durchführung des Versorgungsausgleichs verzichteten.

Der Antragsgegner erwarb in der Ehezeit Rentenanwartschaften ausschließlich durch die Pflichtbeitragszeiten für die Kindererziehung. Daraus resultiert eine monatliche Rente von 129,15 € bei einem Kapitalwert von 14.299,99 €. Demgegenüber erwarb die Antragstellerin in der Ehezeit Versorgungsanrechte mit einem Kapitalwert von insgesamt 118.910,44 €.

Die Ehe der Beteiligten wurde Mitte 2011 unter Abtrennung des Versorgungsausgleichs rechtskräftig geschieden.

Das AG hat die Vereinbarung zum Versorgungsausgleich gem. § 8 Abs. 1 VersAusglG für unwirksam gehalten und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das OLG hält die Vereinbarung aber für wirksam und nicht für gem. §§ 8 Abs. 1 VersAusglG, 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.

Das OLG wägt die einzelnen vermögensrechtlichen Regelungen der Vereinbarung anhand von Leistung und Gegenleistung gegeneinander ab und stellt eine einseitige Belastung des Antragsgegners insbesondere durch den Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs fest.

Aus einseitig belastenden Regelungen kann aber nur dann auf die für § 138 Abs. 1 BGB erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden, wenn sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine subjektive Imparität im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsgegner in seiner Anhörung nach ausführlicher Darlegung der einseitigen Lastenverteilung erklärt, er wolle an dem Vertrag festhalten.

Die Vereinbarung ist auch nicht deswegen sittenwidrig, weil der Ausschluss des Versorgungsausgleichs zulasten der Sozialhilfeträger geht. Zwar kann eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich gem. § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein, wenn sie voraussichtlich dazu führt, individuelle Vorteile zum Nachteil der Grundsicherung gemäß SGB XII zu erzielen (BGH, a.a.O.).

Dies kann vorliegend aber nicht festgestellt werden. Der bei Abschluss der Vereinbarung 44 Jahre alte Antragsgegner gehört zu den sogenannten rentenfernen Jahrgängen, bei denen grundsätzlich nicht vorherzusehen ist, wie sich ihre künftige Erwerbslage entwickelt. Auch wenn er bei Abschluss der Vereinbarung nur unwesentliche eigene Rentenanwartschaften erwirtschaftet hatte und dies auf der Ausgestaltung der Ehe beruhte, ist zu berücksichtigen, dass er noch ausreichend Zeit hat, um seine Rentenanwartschaften so aufzustocken, dass er im Alter nicht der Grundsicherung zur Last fällt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich müssen gem. § 8 Abs. 1 VersAusglG einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhalten. Bei der Inhaltskontrolle geht es um die Sittenwidrigkeit des Vertrags bei dessen Abschluss gem. § 138 Abs. 1 BGB. Bei der Ausübungskontrolle geht es um die Frage, ob es dem begünstigten Ehegatten gem. § 242 BGB versagt ist, sich auf die Vereinbarung zu berufen.

Nach der Rechtsprechung des BGH zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts steht der Versorgungsausgleich im zweiten Rang (erster Rang: Betreuungsunterhalt, zweiter Rang: Krankheitsunterhalt und Altersvorsorgeunterhalt; BGH, Urt. v. 11.02.2004 – XII ZR 265/02, DRsp-Nr. 2004/2968 und Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11, DRsp-Nr. 2013/754). Der Versorgungsausgleich ist als vorweggenommener Altersunterhalt zu verstehen, der daher einer vertraglichen Abbedingung nicht schrankenlos offensteht. Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich müssen deshalb nach denselben Kriterien geprüft werden wie ein vollständiger oder teilweiser Unterhaltsverzicht (BGH, Urt. v. 09.07.2008 – XII ZR 6/07, DRsp-Nr. 2008/18185).

Für eine Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB kommen zwei Ansatzpunkte in Betracht:

  • eine evident einseitige Lastenverteilung zulasten eines Ehegatten
  • eine Vereinbarung zulasten der Grundsicherung

Bei einer einseitigen Lastenverteilung ist zweigeteilt weiter zu prüfen:

  • In objektiver Hinsicht muss der gesamte Inhalt der Vereinbarung (insbesondere die wechselseitig erhaltenen Leistungen/Gegenleistungen) abgewogen werden und das Ergebnis dazu führen, dass ein Ehegatte erheblich benachteiligt ist.
  • In subjektiver Hinsicht müssen außerhalb der Vertragsurkunde verstärkende Umstände zu erkennen sein, die auf eine Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit oder intellektuellen Unterlegenheit, hindeuten könnten (BGH, Urt. v. 31.10.2012 – XII ZR 129/10, DRsp-Nr. 2012/23338; OLG Hamm, Beschl. v. 08.06.2011 – II-5 UF 51/10, DRsp-Nr. 2011/12882).

Bei der Prüfung einer Vereinbarung zulasten der Sozialhilfeträger kommt es darauf an, dass nach einer zu stellenden Prognose ein Ehegatte künftig im Alter oder bei Erwerbsminderung auf die Grundsicherung angewiesen ist, was er ohne die Vereinbarung nicht wäre (BGH, Urt. v. 08.12.1982 – IVb ZR 333/81, DRsp-Nr. 1994/4789 und Urt. v. 25.10.2006 – XII ZR 144/04, DRsp-Nr. 2007/12). Die subjektive Komponente, d.h., ob dies den Ehegatten bewusst ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Praxishinweis

Die erforderliche Prognose, ob der benachteiligte Ehegatte auf Sozialleistungen angewiesen sein wird, kann bei einer Vereinbarung zulasten der Sozialhilfeträger i.d.R. nur dann gestellt werden, wenn die Versorgung (das Erreichen der Altersgrenze oder die Erwerbsminderung) des durch den Ausschluss benachteiligten Ehegatten im Zeitpunkt des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs relativ nahe bevorsteht (Götsche, HK-VersAusglR, § 8 VersAusglG Rdnr. 33).

Entscheidend ist insbesondere, wie viel Zeit bis zum Eintritt in den Ruhestand noch verbleibt. Stehen die Ehegatten bei Abschluss der Vereinbarung etwa in der Mitte ihres Erwerbslebens, wird eine Vereinbarung zulasten der Sozialhilfeträger i.d.R. ausscheiden. Steht der benachteiligte Ehegatte hingegen wenige Jahre vor dem Eintritt in den Ruhestand, bezieht bereits Altersrente oder ist sogar erwerbsunfähig, wird die Prognose i.d.R. für eine Sittenwidrigkeit sprechen.

Weiter zum Volltext: OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2013 – 4 UF 232/12, DRsp-Nr. 2013/7734

Lesen Sie hierzu auch: Scheidungsfolgenvereinbarung - Versorgungsausgleich