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Rentenkürzung wegen fiktiver Unterhaltspflicht ist verfassungsgemäß

Es ist mit der Verfassung vereinbar, dass die Rentenkürzung wegen einer fiktiven gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten gem. §§ 32 ff. VersAusglG nur im Regelsicherungssystem angepasst wird und nicht in der ergänzenden Altersversorgung.

Amtliche Leitsätze

  1. Die Regelung des § 32 VersAusglG, wonach die Anpassung der Rentenkürzung wegen einer fiktiven gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nur für Regelsicherungssysteme und nicht für die ergänzende Altersversorgung vorgesehen ist, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
  2. Eine Aussetzung der Rentenkürzung nach § 33 Abs. 1 VersAusglG setzt nicht voraus, dass sich diese auf die Höhe des geschuldeten Unterhalts auswirkt.
  3. Haben die geschiedenen Ehegatten eine Unterhaltsvereinbarung getroffen, ist die Anpassung der Rentenkürzung sowohl durch die Höhe des fiktiven gesetzlichen Unterhalts als auch durch die Höhe des vereinbarten Unterhalts begrenzt.

Darum geht es

Die Anpassung des Versorgungsausgleichs aufgrund des sogenannten Unterhaltsprivilegs (§ 33 VersAusglG) knüpft wie die übrigen Anpassungsregeln (§§ 35, 37 VersAusglG) an § 32 VersAusglG an. Anpassungsfähig sind ausschließlich die dort genannten Anrechte, bei denen es sich um die sogenannten Grundversorgungssysteme handelt. Insbesondere betriebliche oder sonstige private Versorgungen zählen nicht dazu und können deswegen nicht angepasst werden.

Der BGH hält diese unterschiedliche Behandlung für verfassungsmäßig.

Regelung des Versorgungsausgleichs

Die Beteiligten des Rechtsstreits streiten über die Aussetzung einer durch den Versorgungsausgleich bedingten Kürzung der Rente des Ehemannes. Während der Ehezeit hatten beide Ehegatten Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben, der Ehemann außerdem Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung. Der Versorgungsausgleich wurde dahin geregelt, dass vom Versicherungskonto des Ehemannes bei der DRV Bund

  • Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 350,20 € im Wege des Splittings nach § 1587b Abs. 1 BGB alter Fassung und
  • weitere Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 49 € im Wege des erweiterten Splittings nach § 3b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG

auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertragen wurden.

Regelung des Unterhaltsvergleichs

Seit Vollendung seines 60. Lebensjahres bezieht der Ehemann eine Altersrente. Durch gerichtlichen Unterhaltsvergleich hatte er sich verpflichtet, bis zur Vollendung seines 60. Lebensjahres an die Ehefrau einen monatlichen Unterhalt von 300 €, danach von 150 € zu zahlen.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Den Antrag, die Kürzung seiner laufenden Versorgung gem. § 33 VersAusglG auszusetzen, hat das Familiengericht zurückgewiesen. Das OLG hat die Beschwerde des Ehemannes zurückgewiesen, da die Ehefrau – mit oder ohne Kürzung durch den Versorgungsausgleich – einen Unterhaltsanspruch in gleicher Höhe habe, nämlich in Höhe der durch gerichtlichen Vergleich vereinbarten 150 €.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH gibt der Rechtsbeschwerde des Ehemannes statt und verweist das Verfahren an das OLG zurück. Denn § 33 Abs. 3 VersAusglG beschränkt die Aussetzung der Rentenkürzung auf die Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs, den der geschiedene Ehegatte nach § 33 Abs. 1 VersAusglG bei ungekürzter Versorgung hätte. Damit hat der Gesetzgeber die Aussetzung einer durch den Versorgungsausgleich bedingten Kürzung ausdrücklich auf die Höhe dieses fiktiven gesetzlichen Unterhaltsanspruchs begrenzt (BGH, Beschl. v. 21.03.2012 – XII ZB 234/11, DRsp-Nr. 2012/7465 = FamRZ 2012, 853).

Anpassung der Rentenkürzung auch bei Unterhaltspflicht

Eine weitere Einschränkung dahin, dass die Aussetzung der Rentenkürzung außer Betracht bleibe, soweit der Ausgleichspflichtige auch ohne diese zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist, lässt sich der Vorschrift hingegen nicht entnehmen (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.02.2011 – 2 UF 317/10, DRsp-Nr. 2011/16264 = FamRZ 2011, 1595 und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.11.2011 – 2 UF 227/10, DRsp-Nr. 2011/19643 = FamRZ 2012, 452; anderer Auffassung Ruland, Versorgungsausgleich, 3. Auflage 2011, Rdnr. 951 und Borth, Versorgungsausgleich, 6. Auflage 2011, Rdnr. 964).

Anpassung der Rentenkürzung nicht bei erweitertem Splitting

Die durch § 33 Abs. 1 VersAusglG ermöglichte Aussetzung der Kürzung der Versorgung ist jedoch auf den Betrag beschränkt, der im Wege des Splittings nach § 1587b Abs. 1 BGB alter Fassung ausgeglichen wurde, was dem Vollzug der Entscheidung zum Versorgungsausgleich nach neuem Recht gem. § 10 Abs. 2 VersAusglG entspricht. Die weitergehende Kürzung der gesetzlichen Rente des Ehemannes infolge des erweiterten Splittings nach § 3b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG bleibt hingegen unberücksichtigt, weil diese Kürzung auf den Ehezeitanteil des Ehemannes in der Zusatzversorgung des Baugewerbes zurückgeht, die kein Regelsicherungssystem i.S.v. § 32 VersAusglG ist (BGH, Beschl. v. 21.03.2012 – XII ZB 234/11, DRsp-Nr. 2012/7465 = FamRZ 2012, 853).

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Differenzierung

Diese Rechtsfolge des § 32 VersAusglG ist auch nicht verfassungswidrig. Denn nach wie vor sind die aus den Regelversicherungssystemen resultierenden Versorgungen einschließlich der berufsständischen Versorgungen die grundlegenden Säulen der Alterssicherung. Eine solche existenzielle Bedeutung kommt den Systemen der ergänzenden Altersvorsorge nicht zu. Deswegen hat der Gesetzgeber die mit der Anpassung verbundenen, für den Versicherer aufwandserhöhenden Privilegierungen geschiedener Ehegatten den Trägern der staatlichen Regelsicherungssysteme auferlegt, nicht jedoch den privaten Rentenversicherungsträgern und beitragsfinanzierten Zusatzversorgungskassen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BVerfG (Urt. v. 28.02.1980 – 1 BvL 17/77 et al., DRsp-Nr. 1996/7057 = BVerfGE 53, 257, 303).

Folgerungen aus der Entscheidung

Der BGH folgt mit seiner Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 32 VersAusglG der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung (BVerwG, Beschl. v. 31.05.2012 – 8 B 6.12, DRsp-Nr. 2012/12428 = FamRZ 2012, 1565 und OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.06.2011 – 18 UF 107/11, DRsp-Nr. 2011/12077; siehe auch Götsche in Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, § 33 VersAusglG Rdnr. 8 und Gutdeutsch/Wagner in Gerhardt/Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 8. Auflage 2011, Kap. 7 Rdnr. 224; anderer Auffassung OLG Schleswig, Beschl. v. 30.04.2012 – 12 UF 29/12, FamRZ 2012, 1388, die durch das OLG Schleswig angestrebte Entscheidung des BVerfG – 1 BvL 9/12 steht aber noch aus).

Gerichtliches Vorgehen bei § 32 VersAusglG

Angesichts der klaren Position des BGH sollte nunmehr wie folgt vorgegangen werden:

  • Hält das Gericht die Regelung für verfassungswidrig, ist die Rechtsfrage dem BVerfG vorzulegen.
  • Hält das Gericht die Regelung für verfassungsgemäß, dürfte einer eigenen Entscheidung unter Bezugnahme auf diese BGH-Entscheidung nichts im Wege stehen; jedoch kann es bis zur Entscheidung des BVerfG das Verfahren gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 FamFG aussetzen.

Differenzierung auch bei der Anpassung von Altentscheidungen

Entscheidet das Gericht, hat es die Differenzierung zwischen den in § 32 VersAusglG genannten Anrechten in den Regelsicherungssystemen und den übrigen Anrechten zu beachten. Anpassungsfähig sind nur die Anrechte in den Regelsicherungssystemen. Dies gilt auch bei der Anpassung von Altentscheidungen, wie der BGH hier und bereits im Beschluss vom 21.03.2012 (XII ZB 234/11, DRsp-Nr. 2012/7465) ausgeführt hat. Bei Altentscheidungen darf deswegen nur der auf einem Splitting oder Quasisplitting, nicht jedoch der auf einem erweiterten Splitting nach § 3b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG beruhende Ausgleichsteil angepasst werden.

Praxishinweis

Diese Entscheidung betrifft neben der Anpassung wegen Unterhalts (§§ 33 f. VersAusglG) auch die Anpassung wegen Invalidität oder einer Altersgrenze des Ausgleichspflichtigen (§§ 35 f. VersAusglG) und die Anpassung wegen Todes des Ausgleichsberechtigten (§§ 37 f. VersAusglG). Zudem ist die Entscheidung im Abänderungsverfahren zu beachten, da nach § 225 Abs. 1 FamFG eine Abänderung nur für die in § 32 VersAusglG genannten Anrechte zulässig ist.

Derzeit spricht mehr dafür, dass die Regelung des § 32 VersAusglG verfassungsgemäß ist. Dies muss der Anwalt bei der Beratung berücksichtigen. Sind umfangreiche betriebliche oder sonstige private Versorgungen vorhanden, muss also beachtet werden, dass eine Anpassungsmöglichkeit gem. §§ 32 ff. VersAusglG nicht (mehr) besteht. Gerade wenn einem deutlich älteren Ausgleichsberechtigten solche Anrechte übertragen werden, besteht für den Ausgleichspflichtigen die Gefahr, diese Anrechte endgültig zu verlieren, falls der Ausgleichsberechtigte verstirbt. Hier sollte möglichst eine Verrechnung mit gegnerischen Ausgleichswerten oder eine (dann aber allein schuldrechtlich wirkende) Anpassung vereinbart werden.

>> zum Volltext BGH, Beschl. v. 07.11.2012 – XII ZB 271/12, DRsp Nr. 2012/23268

>> Hier finden Sie passende Muster zur Anpassung des Versorgungsausgleichs