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Qualifikation für ein familienpsychologisches Gutachten

Welche Qualifikationen muss ein familienpsychologischer Gutachter haben? Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass das Familiengericht in Verfahren wegen möglicher Kindeswohlgefährdung eine ausreichende Qualifikation für die Erstellung psychologischer Gutachten sicherstellen muss. Bei der Trennung von Säugling und Mutter muss unter Umständen ein Psychologe oder Facharzt bestellt werden.

Sachverhalt

Die im September 2018 geborene Tochter wurde kurz nach der Geburt vom Jugendamt in Obhut genommen und einer Pflegefamilie übergeben. Bereits im Mai 2018 wurde das vorliegende Verfahren aufgrund einer Gefährdungsanzeige eingeleitet und zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Eltern die Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens angeordnet. Die Gutachterin führte zu ihrer Qualifikation aus, sie sei Diplom-Sozialpädagogin mit einer Ausbildung als Sachverständige beim Institut für Lösungsorientierte Arbeit in Bielefeld.

Die Mutter strebt die Aufhebung der Entscheidung an. Vorsorglich stellt sie einen Antrag nach § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG. Die angegriffene Entscheidung wurde außer Vollzug gesetzt; seitdem bereitet das Jugendamt im Einvernehmen mit der Mutter die gemeinsame Unterbringung beider in einer entsprechenden Einrichtung vor. Der Beschluss des Amtsgerichts wurde aufgehoben und zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die erfolgreiche Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht.

Das bereits vorgeburtlich eingeleitete Gerichtsverfahren leidet an einem wesentlichen Mangel: Für eine Entscheidung waren aufwändige Ermittlungen, u.U. auch durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, erforderlich (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz wurden die den Beschluss begründenden Tatsachen nicht hinreichend zuverlässig aufgeklärt.

Das FamG hat sich dem Gutachten und dem Vortrag vorbehaltlos ohne kritisches Hinterfragen der fachlichen Qualifikation der Sachverständigen angeschlossen. Angeordnet war ein psychologischen Gutachten; die bestellte Sachverständige ist Diplom-Sozialpädagogin und lediglich „als Sachverständige ausgebildet“.

Die Zusatzqualifikation für die Erstattung psychologischer Gutachten in Kindeswohlgefährdungsverfahren wurde nicht bewertet. Gerade im Falle des § 163 Abs. 1 Satz 2 FamFG wird zusätzlich die entsprechend erworbene Berufserfahrung vorausgesetzt. Ein Hinterfragen der Qualifikation der Sachverständigen wäre hier umso notwendiger gewesen.

Denn psychologische Gutachten treffen Aussagen zu Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des Kindes aufgrund eingeschränkter Erziehungsfähigkeit der Eltern anhand von psychologischen Kenntnissen, basierend auf psychologischer Diagnostik, Methodenlehre und Analyse.

Vorliegend kommt hinzu, dass der denkbar schärfste Eingriff in das Elternrecht der Mutter in Rede steht – Wegnahme eines Neugeborenen – und die Mutter 2011 wegen des Verdachts einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis psychiatrisch (teil-)stationär behandelt wurde. Der stärkste Eingriff in das Elternrecht muss in Gegenüberstellung zur Erziehungsfähigkeit der Mutter durch einen erfahrenen Gutachter bewertet werden, der Diplom-Psychologe oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist.

Eine - jedenfalls die Fortdauer der Fremdunterbringung des Kindes verfassungsrechtlich rechtfertigende - Kindeswohlgefährdung wird nicht indirekt durch die von der Sachverständigen erhobenen Anschlusstatsachen oder davon unabhängig mittels vom Familiengericht festgestellter Tatsachen belegt. Dies gilt nach dem sich nunmehr darbietenden Erkenntnisstand umso mehr, als der Mutter jetzt vom Jugendamt doch ermöglicht wurde, mit dem Kind eine entsprechende Einrichtung zu beziehen.

Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als die Sachverständige – was somit auch gegen ihre ausreichende fachliche Qualifikation spricht – im Termin ausdrücklich die Alternative einer gemeinsamen Unterbringung verworfen hat, weil dieses auf jüngere Mütter ausgerichtet sei, die noch unsicher im Umgang mit dem Kind seien.

Folgerungen aus der Entscheidung

Im Rahmen des angeforderten Gutachtens sind Aussagen zu Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des Kindes aufgrund eingeschränkter Erziehungsfähigkeit der Eltern zu beurteilen, da es sich um den schwersten Eingriff in das Elternrecht handelt. Das Gericht hat die Pflicht, die Qualifikation des Sachverständigen zu prüfen. Ein erfahrener Sachverständiger, der Diplom-Psychologe oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist, muss die Erziehungsfähigkeit der Mutter begutachten.

Der Senat weist insbesondere darauf hin, dass die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind in einer entsprechenden Einrichtung selbst dann fortzuführen ist, wenn die Fortschritte der Mutter nicht zufriedenstellend sind; sie also aus Sicht der Einrichtung und/oder des Jugendamts nicht ausreichend an sich arbeite und deren Geduld strapaziere, solange die Mutter die Grundregeln der Einrichtung beachtet.

Wenn und solange diese Unterbringungsform zur Abwendung der hier vordringlichen Kindeswohlgefährdung noch ausreichend geeignet ist, kann sie nicht zugunsten einer intensiver in das Elternrecht der Mutter eingreifenden Hilfeform eingestellt werden.

Praxishinweis

Wenn in bestimmten Verfahren – wie hier Wegnahme eines Kindes direkt nach der Geburt – zur Beurteilung der Situation an die Qualifikation des Sachverständigen besondere Anforderungen zu stellen sind, hat zum einen der Sachverständige seine persönliche Eignung nachzuweisen und zum anderen das Gericht diese zur Sicherung einer rechtskonformen Entscheidung auch hinlänglich zu prüfen. Darüber hinaus muss das Gericht in seiner finalen Entscheidung das Vorliegen des Nachweises erläutern und insbesondere auch darlegen, dass es den erforderlichen Anforderungen genügt. Rechtsvertreter sollten darauf achten, dass diese Pflichten nicht versäumt werden.

OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.10.2018 – 6 UF 112/18