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Nächtliche Fixierung eines Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung

Die nächtliche Fixierung eines Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung ist keine genehmigungsbedürftige Unterbringungsmaßnahme i.S.d. § 1631b BGB. Der § 1906 Abs. 4 BGB gilt nur für volljährige Betreute und kann im Kindschaftsrecht nicht analog angewendet werden.

Darum geht es

Die Eltern eines am 01.04.1999 geborenen Kindes üben das Sorgerecht gemeinsam aus. Das Kind leidet an frühkindlichem Autismus mit geistiger Behinderung sowie einem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom. Es zeigt krankheitsbedingt ausgeprägte Unruhezustände und extreme Weglauftendenzen. Seit 2008 lebt es in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung mit Einzelbetreuung.

Aus psychiatrischer Sicht war es zum Schutz des Kindes und seiner Mitbewohner indiziert, es nachts durch eine Fixierung mit einem Bauch- oder Fußgurt bzw. entsprechenden Schlafsack zu sichern. Die Eltern erteilten ihre Zustimmung, die das AG in entsprechender Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB für die Dauer von längstens zwei Jahren genehmigte.

Auf Nachfrage des AG haben die Eltern beantragt, die Genehmigung der nächtlichen Fixierung des Kindes zu verlängern. Das Familiengericht hat dem Kind einen Verfahrensbeistand bestellt sowie die Eltern und das Kind in der Einrichtung angehört. Es hat den Antrag zurückgewiesen, da die Maßnahme nicht genehmigungsbedürftig sei. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Verfahrensbeistands blieb ohne Erfolg. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte er weiter die gerichtliche Genehmigung der Fixierung erreichen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Aber auch die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die Zustimmung der Eltern zur nächtlichen Fixierung ihres Kindes unterliegt keinem förmlichen Genehmigungsverfahren wie die freiheitsentziehende Unterbringung eines Minderjährigen nach § 1631b BGB. Die Erforderlichkeit eines solchen Verfahrens ergibt sich weder unmittelbar aus § 1631b BGB noch aus einer entsprechenden Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB.

Die Eltern können die Fixierungsmaßnahme in Ausübung ihrer elterlichen Sorge selbst genehmigen. Denn in der Fixierung eines in einer offenen Einrichtung lebenden Kindes liegt keine Unterbringung. Eine freiheitsentziehende Unterbringung in diesem Sinn ist gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich einer geschlossenen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb dieses Bereichs eingeschränkt wird (BGH, Beschl. v. 11.10.2000 – XII ZB 69/00, DRsp-Nr. 2000/9685). Dabei verwenden Betreuungsrecht und Kindschaftsrecht einen einheitlichen Unterbringungsbegriff.

Durch die Schaffung des § 1631b BGB wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass Eltern ein Kind in eine geschlossene Einrichtung einliefern, wenn eine Problemlösung auf weniger schwerwiegende Weise erreicht werden kann. Dabei geht es anders als bei § 1906 BGB primär um die Gewährleistung einer sinnvollen Ausübung des Sorgerechts. § 1631b BGB und die mit dem Betreuungsgesetz eingeführten besonderen Verfahrensvorschriften sollen sicherstellen, dass niemand „unbemerkt in einer geschlossenen Anstalt verschwinden kann“ (Salgo in Staudinger, BGB, 2007, § 1631b Rdnr. 4).

Ob § 1906 Abs. 4 BGB im Kindschaftsrecht analog anzuwenden ist, ist umstritten. Der BGH lehnt dies ab. Seiner Auffassung nach fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Bei Kindern stellt sich die Unterbringung als Teil der Ausübung elterlicher Sorge oder im Fall der Vormundschaft oder Pflegschaft als Ersatz für die Ausübung der elterlichen Sorge dar. Die dafür geltende Regelung soll sich auf eine allgemeine Prüfung beschränken, ob diese Form der Ausübung der elterlichen Sorge dem Wohl des Kindes entspricht. Soweit die Eltern unterbringungsähnliche Maßnahmen wie etwa das Verschließen der Wohnungstür, Anbringen von Gittern am Bett eines Kleinkindes u.Ä. missbräuchlich durchführen, bieten die bestehenden Vorschriften (insbesondere §§ 1666, 1837, 1886 und 1915 BGB) hinreichende Möglichkeiten, dagegen einzuschreiten.

Bei den weiteren Genehmigungserfordernissen im Betreuungsrecht hat der Gesetzgeber klargestellt, dass sie nur volljährige Betreute betreffen und keine vergleichbaren Vorschriften für Minderjährige enthalten. Angesichts dieser klaren Aussagen kann von einer planwidrigen Regelungslücke nicht ausgegangen werden.

Überdies ist die Situation eines Minderjährigen im Kindschaftsrecht nicht vergleichbar mit der eines Betroffenen im Betreuungsrecht. Ein Betreuer hat lediglich die rechtliche Verantwortung für seinen Betroffenen, die ihm vom Staat verliehen wird. Die Genehmigungserfordernisse des Betreuungsrechts entspringen dem staatlichen Wächteramt.

Eltern tragen hingegen nicht nur die rechtliche, sondern auch die persönliche Verantwortung für ihre Kinder. Sie üben ihr Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG aus und können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten wollen (BVerfG, Beschl. v. 17.02.1982 – 1 BvR 188/80, DRsp-Nr. 1994/2637). Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass ein Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben getroffenen Erziehungsentscheidung vielleicht vermieden werden könnten (BVerfG, Beschl. v. 29.01.2010 – 1 BvR 374/09, DRsp-Nr. 2010/3999).

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Eltern haben die Entscheidung, die Fixierung ihres Kindes zu genehmigen, in Ausübung ihrer elterlichen Sorge getroffen. Es ist davon auszugehen, dass sie diese Entscheidung nach ausführlicher Rücksprache mit den Betreuern und Psychologen getroffen haben. Ferner ist zu unterstellen, dass sie dabei in erster Linie das Wohl ihres Kindes im Blick gehabt haben. An zweiter Stelle haben sie sich aber auch für die Mitbewohner des Kindes verantwortlich gezeigt, die durch dessen Verhalten gefährdet werden könnten. Die Eltern haben also ihr Elternrecht gewissenhaft wahrgenommen, sodass ein staatlicher Eingriff nicht erforderlich war.

Praxishinweis

Liegt die Zustimmung der Eltern zu einer nächtlichen Fixierung vor, ist allenfalls zu prüfen, ob diese Entscheidung der Eltern dem Wohl des Kindes entspricht. Sprechen keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls, hat der Staat die Entscheidung der Eltern zu akzeptieren.

Weiter zum Volltext: BGH, Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 559/11, DRsp-Nr. 2013/19935

Lesen Sie hierzu auch: Prüfschema: Ist § 1631b BGB begrifflich anwendbar?