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Kontinuitätsgrundsatz bestimmt alleiniges Sorgerecht

Welchem Elternteil das Sorgerecht zugesprochen wird, hängt maßgeblich von der Kontinuität, der Förderung und Bindung des Kindes an seine Eltern und Geschwister ab.

Gerade an Kontinuität mangelt es jedoch häufig in den zunehmenden Scheidungsprozessen, deren Leidtragende besonders die Kinder sind. Etwa jede zweite Ehe in Deutschland endet vor dem Scheidungsrichter. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2005 von den ca. 201.700 Scheidungen fast 156.400 minderjährige Kinder betroffen.

Nicht selten werden die Mütter und Väter dieser Kinder infolge der Scheidung zu Alleinerziehenden. Bis zur endgültigen Entscheidung um das alleinige Sorgerecht erlebt das Kind nach der konfliktträchtigen Zeit bis zur Scheidung häufig einem Streit um die eigene Person wie der nachfolgend geschilderte Fall des OLG Brandenburg beispielhaft zeigt.

Nach acht Jahren ließen sich die Parteien im März 2005 scheiden. In dem im August desselben Jahres eingeleiteten Sorgerechtsstreit wurde zunächst der Mutter, bei der das Kind auch während des Trennungsjahrs gelebt hatte, das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen. Bereits Anfang des darauffolgenden Jahres übertrug das Amtsgericht Oranienburg das Aufenthaltsbestimmungsrecht jedoch dem Vater, bei dem das Kind fortan lebte und wo es auch die Schule besuchte. Dies sollte nicht lange andauern, denn auf die Beschwerde der Mutter hin übertrug das OLG Brandenburg unter dem 29.08.2006 im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für K vorläufig wiederum allein der Kindesmutter. Das Kind musste wieder umziehen und die Schule wechseln. Zwischenzeitlich wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, das zu der Feststellung gelangt, dass grundsätzlich beide Eltern erziehungsgeeignet seien, wenngleich die Konfliktträchtigkeit der elterlichen Beziehung das Kindeswohl stark belaste.

Zwei Jahre nach der Scheidung schließlich hat das OLG Brandenburg mit Beschluss v. 14.05.2007 der Kindsmutter die elterliche Sorge für das Kind übertragen. Seine Entscheidung begründet es wie folgt:

Bei Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei zu berücksichtigen, dass kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne bestehe, dass eine Priorität zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen in Betracht käme. Es komme vielmehr darauf an, inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet seien, ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation bestehe und ob keine sonstigen Gründe vorlägen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen. 

Für die Übertragung der Personensorge auf die Kindesmutter spreche insbesondere der Grundsatz der Kontinuität , da diese im vorliegenden Fall in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteile inne hatte. Der Kontinuitätsgrundsatz beruhe auf der Erfahrung, dass die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen wichtig für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des heranwachsenden Menschen sei. Ein häufiger Wechsel der Bezugs- und Betreuungsperson insbesondere bei jüngeren Kindern gelte als schädlich, stellt auch das OLG Brandenburg fest.

Auch eine zumindest gewisse Bindungstoleranz der Kindesmutter sei vorhanden. Darunter versteht man die Fähigkeit der Eltern, trotz eines Streites um das Sorgerecht den spannungsfreien Kontakt zum anderen Elternteil zuzulassen. Die Kindesmutter bemühe sich darum, Umgänge möglich zu machen. Auch habe das inzwischen neun Jahre alte Kind gegenüber dem Senat wiederholt den Wunsch geäußert, bei der Mutter zu leben. Der zeitweilige Aufenthalt in der Familie des Vaters habe den Jungen zu der Überzeugung gebracht, diesen zwar gerne regelmäßig sehen zu wollen, jedoch lieber bei der Mutter zu leben.

OLG Brandenburg - Beschluss vom 14.05.2007 (9 UF 55/06)