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Keine Unterhaltsbefristung, wenn Erwerbsobliegenheiten im Vergleich festgelegt wurden

Genügt der Unterhaltsberechtigte seiner Erwerbsobliegenheit in dem gerichtlich durch Vergleich festgelegten Umfang, kann ihm im Rahmen eines Abänderungsverfahrens nicht vorgehalten werden, er hätte konkrete Bewerbungsbemühungen entfalten müssen, um den ehebedingten Nachteil zu kompensieren. Die gerichtliche Festlegung, von welchen Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsberechtigten die Beteiligten ausgehen, ist also nicht nur für die Frage der Bedürftigkeit von Bedeutung, sondern mittelbar auch für die Befristungsentscheidung nach § 1578b Abs. 2 BGB.

Darum geht es

Im Jahr 2004 hatte sich der Antragsteller in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Anfang 2008 vereinbarten die Ehegatten außergerichtlich eine Herabsetzung des Unterhalts ab März 2008. Der Unterhalt sollte bis zum 14. Geburtstag des gemeinsamen Sohns im März 2010 gezahlt werden. Danach sollten sich die Unterhaltsansprüche nach den gesetzlichen Vorschriften richten.

Im vorliegenden Abänderungsverfahren will der Antragsteller die Befristung des Unterhaltsanspruchs durchsetzen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH bejaht die Zulässigkeit des Abänderungsantrags nach § 239 FamFG und beanstandet nicht, dass das OLG eine Präklusion des Befristungseinwands ausgeschlossen hat. Zwar wurde der ursprüngliche Vergleich von 2004 im Jahr 2008 abgeändert, also zu einem Zeitpunkt, als das neue Unterhaltsrecht bereits in Kraft war. Jedoch war Gegenstand der modifizierenden Vereinbarung von 2008 ausschließlich der Betreuungsunterhaltsanspruch. Im Übrigen haben die Beteiligten mit Auslauf dieses Anspruchs ausdrücklich auf die gesetzlichen Bestimmungen – und damit auch auf § 1578b BGB – Bezug genommen.

Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs

Der ehebedingte Nachteil besteht in der Differenz zwischen dem Einkommen, das die Ehefrau bei einer fortgesetzten vollschichtigen Erwerbstätigkeit als Sachbearbeiterin in der Versicherungswirtschaft erzielen würde (ca. 2.640 € netto) und dem von ihr tatsächlich erzielten Einkommen in ihrer ausgeübten Tätigkeit als Schulsekretärin (ca. 1.460 €).

Vorwurf fehlender Bemühungen unbeachtlich

Der BGH folgt aber nicht der Ansicht des OLG, das meinte, die Antragsgegnerin hätte diesen ehebedingten Nachteil durch entsprechende Bemühungen vermeiden können, weshalb er einer Befristung nicht entgegenstehe. Denn die Frage der Erwerbsobliegenheit wurde bereits in dem Vergleich 2004 entschieden als der Unterhalt festgesetzt wurde und kann nun nicht erneut als Argument herangezogen werden.

Erwerbsobliegenheit reduziert (nur) den Unterhaltsanspruch

Der BGH stellt in den Entscheidungsgründen den Zusammenhang zwischen ehebedingtem Nachteil und angemessener Erwerbstätigkeit heraus.

Kann man dem Berechtigten unterhaltsrechtlich vorwerfen, dass er nicht wieder in seinem früheren Beruf arbeitet, ist ihm fiktiv das dort erzielbare Einkommen (anhand der Steuerklasse I ohne Kinderfreibetrag) zuzurechnen. Diese Bewertung erfolgt bereits bei der Feststellung seines Unterhaltsanspruchs, denn in Höhe dieses Einkommens wäre er überhaupt nicht unterhaltsbedürftig. Ist ein solcher Vorwurf hingegen nicht gerechtfertigt, kann er durch das geringere Einkommen, das er tatsächlich erzielt, seinen aktuellen Bedarf nur teilweise decken. In Höhe des Restbetrags bleibt er unterhaltsbedürftig. Hierfür trägt der Unterhaltsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast.

Keine weitere Obliegenheit, ehebedingte Nachteile auszugleichen

Wurde Frage der Unterhaltsbedürftigkeit aber bereits in einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren entschieden oder wurde der frühere Unterhalt in einem Vergleich festgesetzt, kann der Unterhaltspflichtige im Rahmen des § 1578b BGB nicht mehr einwenden, der Unterhaltsberechtigte könne ein höheres Einkommen erzielen und habe daher keinen ehebedingten Nachteil erlitten (BGH, Urt. v. 27.01.2010 – XII ZR 100/08, DRsp-Nr. 2010/3515 = FamRZ 2010, 538). Haben die Beteiligten – wie hier – eine vorbehaltlose Vereinbarung geschlossen, darf der Unterhaltsberechtigte regelmäßig darauf vertrauen, gegenwärtig seiner Erwerbsobliegenheit zu genügen.

Angemessene Erwerbstätigkeit = unvermeidbarer Nachteil

Wegen widersprüchlicher Ausführungen verwirft der BGH die Auffassung des OLG, die Antragsgegnerin hätte den ehebedingten Nachteil vermeiden können. Ihr kann nicht vorgeworfen werden, dass sie nicht ihre frühere – besser bezahlte – Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen hat, wenn ihre tatsächlich ausgeübte – schlechter bezahlte – Tätigkeit als angemessen bewertet worden ist. Zudem hat der Antragsteller diese Sachlage bei Abschluss des letzten Vergleichs akzeptiert.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Entscheidung macht deutlich, dass besonders beim Abschluss von Vergleichen eine besondere Sorgfalt an den Tag gelegt werden muss. Die Festlegung, von welchen Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsberechtigten die Beteiligten ausgehen, ist nicht nur für die Frage der Bedürftigkeit von Bedeutung, sondern mittelbar auch für die Befristungsentscheidung nach § 1578b Abs. 2 BGB, und zwar nicht nur zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses, sondern auch in der Zukunft (zur Anwaltshaftung bei Vergleichen Offermann-Burckart, FPR 2012, 550; zur Notarhaftung bei fehlerhaften Eheverträgen Mayer, FPR 2012, 563).

Für die Praxis wichtig ist noch der – erneute – Hinweis des BGH, dass bei Vorliegen eines ehebedingten Nachteils eine Befristung zwar grundsätzlich, aber nicht in jedem Fall ausgeschlossen ist (so schon BGH, Urt. v. 04.08.2010 – XII ZR 7/09, DRsp-Nr. 2010/15084 = FamRZ 2010, 1633), sodass Ausnahmen denkbar sind.

Praxishinweis

Soll ein Vergleich abgeändert werden, ist zu prüfen, ob die Beteiligten die Abänderbarkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen oder individuell besonders geregelt haben (BGH, Urt. v. 11.07.2012 – XII ZR 72/10 und Urt. v. 26.05.2010 – XII ZR 143/08, DRsp-Nr. 2010/11978). Denn die Beteiligten können nicht nur die Abänderung erleichtern oder erschweren, sondern auch bestimmte Fragen offenlassen. Dann ist gewollt, den Vergleich nach Ablauf einer nach Treu und Glauben bemessenen oder ausdrücklich vereinbarten Stillhaltefrist auch ohne zwischenzeitliche Änderung der Verhältnisse zur Überprüfung in einem Abänderungsverfahren stellen zu können (BGH, Urt. v. 11.07.2012 – XII ZR 72/10).

In Ausnahmefällen kann davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten den Unterhaltsanspruch auf eine völlig vom Unterhaltsrecht losgelöste, rein vertragliche Grundlage stellen wollten (BGH, Urt. v. 21.09.2011 – XII ZR 173/09, DRsp-Nr. 2012/6197) – sogenannte novierende Unterhaltsvereinbarung.

Sind ehebedingte Nachteile eingetreten, ist immer auch an einen möglichen Ausgleich zu denken, denn eine Rechtfertigung für einen fortbestehenden Unterhaltsanspruch besteht nur, wenn dieser Nachteil nicht inzwischen entfallen oder durch anderweitige Vorteile kompensiert worden ist (BGH, Urt. v. 07.03.2012 – XII ZR 145/09, DRsp-Nr. 2012/8315 und Urt. v. 08.06.2011 – XII ZR 17/09, DRsp-Nr. 2011/13135).

Denkbar sind sogar ehebedingte Vorteile, wenn der Unterhaltsberechtigte z.B. durch den Versorgungsausgleich höhere Altersanrechte erlangt, als er bei eigener ununterbrochener Erwerbstätigkeit während der Ehe hätte erarbeiten können (BGH, Urt. v. 07.03.2012 – XII ZR 145/09, DRsp-Nr. 2012/8315 und Urt. v. 26.11.2008 – XII ZR 131/07, DRsp-Nr. 2009/1894).

>> zum Volltext BGH, Beschl. v. 05.12.2012 – XII ZB 670/10, DRsp Nr. 2013/352