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Kein Anspruch des Kindes auf Idealeltern

Im Rahmen der §§ 1666, 1666a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf „Idealeltern“ und optimale Förderung hat und sich die staatlichen Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränken. Für die Trennung der Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ist es daher nicht ausreichend, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Erziehung und Förderung besser geeignet sind. Vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftliche Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes.

Darum geht es

Die Antragstellerin zog mit ihren drei Kindern aus erster Ehe zum Antragsgegner. Nach ihrer Heirat im Jahr 2009 wurde ein gemeinsames Kind geboren. Das Jugendamt hatte bereits zu dieser Zeit Kenntnis von ständigen Streitigkeiten des Antragsgegners mit der Antragstellerin und seinen Stiefkindern. Das gemeinsame Kind lebte in diesem Spannungsfeld und wurde von den Eltern als Machtobjekt missbraucht. Im November 2010 trennten sich die Eltern. Im Wege der einstweiligen Anordnung übertrug das AG der Antragstellerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind und wies ihr die eheliche Wohnung zu. Später schlossen die Eltern eine Umgangsvereinbarung.

Auch nach ihrem Umzug in eine andere Stadt Mitte 2011 erhielt die Antragstellerin infolge des unsauberen Zustands der Wohnung und von Verwahrlosungstendenzen bei einem der Kinder eine sozialpädagogische Familienhilfe. Die Antragstellerin hat erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und dem Antragsgegner über die Erziehungsangelegenheiten behauptet und beantragt, ihr das alleinige Sorgerecht für das Kind zu übertragen. Der Antragsgegner beantragt dagegen, ihm das Sorgerecht zu übertragen, und hat behauptet, die Antragstellerin sei erziehungsungeeignet, was sich an gestörtem Sozialverhalten der älteren Kinder und erheblichen Versorgungsdefiziten zeige.

Das Jugendamt und der Verfahrensbeistand haben eine Übertragung des Sorgerechts auf die Antragstellerin befürwortet. Im Oktober 2012 hat das Familiengericht ihr die alleinige elterliche Sorge übertragen. Dagegen richtet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Nachdem das OLG ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt und die Sachverständige angehört hat, weist es die Beschwerde als unbegründet zurück.

Die elterliche Sorge wurde nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf die Antragstellerin übertragen. Die Eltern leben nicht nur vorübergehend getrennt. Zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.

Die gemeinsame Sorge ist nur dann möglich, wenn die Eltern dazu fähig und bereit sind, in Erziehungsfragen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren (BGH, Beschl. v. 15.11.2007 – XII ZB 136/04). Mithin muss ein Mindestmaß an Kommunikation vorhanden sein, das ein Funktionieren der elterlichen Sorge gewährleistet (BGH, Beschl. v. 11.05.2005 – XII ZB 33/04).

Jedenfalls dürfen die Zugangsvoraussetzungen für die gemeinsame Sorge nicht zu hoch angesetzt werden (OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.03.2011 – 10 UF 2/11). Mithin ist nicht jede Spannung oder Streitigkeit zwischen den Eltern geeignet, das gemeinsame Sorgerecht auszuschließen (OLG Hamm, Beschl. v. 01.02.2012 – II-2 UF 168/11).

Vorzuziehen ist die Alleinsorge allerdings in Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge nicht funktioniert, weil zwischen den Eltern keine Konsensmöglichkeit besteht und ein Mindestmaß an Übereinstimmung fehlt. Die mangelnde Kommunikationsfähigkeit bezieht sich vorliegend nicht nur auf die Ausgestaltung der Umgangskontakte, sondern gerade auch auf den Aufenthalt und wesentliche Fragen der Erziehung. Die Eltern konnten das Umgangsrecht nur mit gerichtlicher Hilfe ausgestalten. Auch darüber hinaus besteht keine Kommunikationsbereitschaft. Das gegenseitige Verhalten ist von Misstrauen und Vorwürfen geprägt. Offensichtlich sind die Eltern nicht in der Lage, in den für das Kind erheblichen Erziehungsfragen Einvernehmen zu erzielen. Überdies hat auch die Sachverständige die verhärteten Fronten bestätigt und als „Feindschaftssituation“ bezeichnet.

Aufgrund dieser mangelnden Kooperationsbereitschaft ist zu erwarten, dass sich diese Konflikte fortsetzen und weiterhin zum Nachteil des Kindes auswirken werden. Die Streitigkeiten der Eltern sind laut Sachverständiger eine Ursache für die gravierenden Entwicklungsverzögerungen. Die Sorgerechtsübertragung ist schon deswegen erforderlich, um das Konfliktpotenzial zu begrenzen und das Kind zur erforderlichen Stabilität und Ruhe kommen zu lassen.

Die Entscheidung, der Antragstellerin die elterliche Sorge zu übertragen, entspricht dem Wohl des Kindes unter Berücksichtigung der bestehenden Bindungen am besten. Das Kind lebt seit dem Auszug des Antragsgegners bei der Antragstellerin, wo die Fördermaßnahmen bisher reibungslos funktionieren. Ein erneuter Wechsel zum Antragsgegner würde dem Kind eine erhöhte Anpassungsleistung abverlangen. Hinsichtlich der Förderungskompetenz, das Kind bei dem Aufbau seiner Persönlichkeit zu unterstützen, ist nicht zwingend erkennbar, dass der Antragsgegner deutlich geeigneter wäre. Ein Wechsel des Kindes zum Antragsgegner würde nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen zu einem Bindungsabbruch im Verhältnis zur Antragstellerin und damit zu einer Traumatisierung des Kindes führen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Im vorliegenden Fall ist die Erziehungsfähigkeit beider Eltern eingeschränkt. Das OLG prüft, welche zukünftige familiäre Zuordnung dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Das staatliche Wächteramt hat somit die Funktion, die Entwicklung und das Wohl des Kindes zu überwachen, aber nicht, für eine dessen Fähigkeiten entsprechende bestmögliche Förderung zu sorgen. Denn Vorrang hat das Erziehungsrecht der Eltern. Die staatlichen Eingriffe beschränken sich auf die Abwehr von Gefahren. Keinesfalls kann es für eine Trennung der Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ausreichen, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Erziehung und Förderung eventuell besser geeignet wären.

Art. 8 EMRK garantiert das Recht auf Achtung des Familienlebens und lässt Eingriffe des Staates nur unter engen Voraussetzungen zu. Dann muss der Staat so handeln, dass sich die familiäre Erziehung fortentwickeln kann, und geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen, um die Eltern und die Kinder zusammenzulassen (EGMR, Urt. v. 26.02.2002 – 46544/99). Erziehungsdefizite reichen allein also nicht aus, um von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen, die dann zwangsläufig die Trennung der Kinder von den Eltern nach sich zieht.

Weiter zum Volltext: OLG Hamm, Beschl. v. 12.07.2013 – 2 UF 227/12