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Der eheangemessene Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen

Urteilsbesprechung: Bei der Berechnung des Unterhaltsbedarfs sind weder berufsbedingte Aufwendungen noch ein Erwerbstätigenbonus zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltspflichtige längerfristig Krankengeld bezieht.

In diesen Fällen ist der Unterhaltspflichtige bei der Überprüfung seiner Leistungsfähigkeit einem Nichterwerbstätigen gleich zu setzen. Auch beim eheangemessenen Selbstbehalt ist zwischen einem Erwerbstätigen und einem Nichterwerbstätigen zu unterscheiden.

Die Entscheidung: BGH, Urt. v. 19.11.2008 – XII ZR 129/06, DRsp Nr. 2009/2822

Darum geht es:

Der Selbstbehalt oder auch Eigenbedarf stellt den Mindestbedarf eines Unterhaltspflichtigen dar. Die gesetzliche Unterhaltspflicht beginnt erst, wenn dem Pflichtigen trotz Zahlung des geforderten Unterhalts ausreichende Geldmittel zur Sicherung seiner eigenen Existenz zur Verfügung stehen. Da insoweit aber auch eine Wechselwirkung zum Grund des Unterhaltsanspruchs besteht, wurde zwischen dem notwendigen (gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern – z.Zt. 770,00 € für Nichterwerbstätige bzw. 900,00 € für Erwerbstätige) und dem angemessenen (Unterhaltspflicht gegenüber nicht privilegierten Kindern – z.Zt. 1.100,00 €) Selbstbehalt unterschieden (im Bereich des Elternunterhalts gelten noch höhere Selbstbehaltssätze).

Nach der Entscheidung des BGH vom 15.03.2006 –XII ZR 30/04 (FamRZ 2006, 683 ff.) wurde neben dem notwendigen und dem angemessenen Selbstbehalt, der eheangemessene Selbstbehalt in allen Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte mit z. Zt. 1.000,00 € eingeführt (vgl. Ziffer 21 der jeweiligen Unterhaltsrichtlinien, bei den meisten Ziffer 21.4). Wenn bei den Selbstbehaltssätzen zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen differenziert wurde, dann fast ausschließlich im Bereich des notwendigen Selbstbehalts. Nur in den Leitlinien der Familiensenate des Thüringer Oberlandesgerichts ist auch eine Differenzierung beim eheangemessenen (900,00 € für Nichterwerbstätige und 1.000,00 € für Erwerbstätige) und beim angemessenen Selbstbehalt (1.000,00 € / 1.100,00 €) vorgesehen. Alle anderen Oberlandesgerichte unterscheiden in ihren Leitlinien beim angemessenen und beim eheangemessenen Selbstbehalt nicht zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen.

Nachdem der BGH mit Urteil vom 09.01.2008 –XII ZR 170/05- (FamRZ 2008, 594 ff.) eine Differenzierung beim notwendigen Selbstbehalt zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen für notwendig erachtet hat, wird nach der Entscheidung des BGH vom 19.11.2008 nun auch beim eheangemessenen Selbstbehalt zwischen Erwerbstätigen und einem Nichterwerbstätigen zu unterscheiden sein.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Zunächst stellt der BGH klar, dass bei einem längerfristigen Bezug von Krankengeld wie auch beim Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente kein Erwerbseinkommen vorliegt. Dies hat zur Folge, dass weder eine Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen noch ein Erwerbstätigenbonus bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen sind. Ferner führt der BGH aus, dass das nach § 47 SGB V am früheren Einkommen orientierte Krankengeld keine Sozialleistung im Sinne des § 1610a BGB ist. Die Vermutung, wonach die Kosten der Aufwendungen in der Regel nicht geringer sind als die Sozialleistungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens, gilt somit nicht, so dass krankheitsbedingte Mehrkosten konkret darzulegen sind.

Insoweit sind die Ausführungen des BGH ohne weiteres nachvollziehbar. Soweit er nun auch beim eheangemessenen Selbstbehalt eine Differenzierung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen fordert, wird die Entscheidung aber wohl nicht unwidersprochen bleiben. Ohne diese erneute Möglichkeit zu nutzen, sich mit den Gegenargumenten auseinanderzusetzen (vgl. z.B. OLG Celle, Urt. v. 01.02.2008, 21 UF 195/07 = DRsp Nr. 2008/17840 = OLGR Celle 2008, 691 f. sowie die Besprechung dieses Urteils im Rechtsportal), führt der BGH lediglich aus, dass der „erhöhte“ Selbstbehalt eines Erwerbstätigen im Rahmen der Leistungsfähigkeit wie der Erwerbstätigenbonus im Rahmen der Bedarfsberechnung einen Anreiz für den Unterhaltspflichtigen schaffen soll, seine Erwerbstätigkeit nicht aufzugeben. Sind diese Argumente im Rahmen der Bedarfsberechnung durchaus berechtigt, um den im Ehegattenunterhaltsrecht geltenden Halbteilungsgrundsatz einzuschränken, stellt sich die Frage, ob im Rahmen der Überprüfung der Leistungsfähigkeit diese Überlegungen wirklich zwingend sind? Welchen Erwerbsanreiz benötigt z.B. ein Unterhaltspflichtiger, der längerfristig Krankengeld oder auf Dauer eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht? Hat ein Arbeitsloser, der seiner Bewerbungspflicht nachkommt, nicht höhere Aufwendungen wie ein Erwerbstätiger, dessen berufsbedingte Aufwendungen ja bereits bei der Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens berücksichtigt werden?

Hält man eine Berücksichtigung des Arbeitsanreizes bei der Festsetzung des Selbstbehaltes für zulässig, dann bedeutet dies dogmatisch, dass der Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen den jeweiligen Mindestbedarf eines Unterhaltspflichtigen darstellt und dieser Mindestbedarf um einen „Arbeitsanreiz“ bei Erwerbstätigen zu erhöhen wäre. Dies ist jedoch mit der Verpflichtung gegenüber minderjährigen Kindern, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB) nicht vereinbar.

Nach wie vor stellt sich auch die Frage, warum ein Unterhaltsschuldner dafür „belohnt“ werden soll, wenn er das tut, zu dem er verpflichtet ist? Wie bei der Differenzierung beim notwendigen Selbstbehalt besteht auch bei der Differenzierung beim eheangemessenen Selbstbehalt die Gefahr, dass ein Unterhaltsberechtigter gegenüber einem Nichterwerbstätigen einen höheren Unterhaltsanspruch hat als gegenüber einem Erwerbstätigen. Soll in derartigen Fällen der Erwerbstätige etwa verpflichtet sein, seine Arbeitstätigkeit einzustellen?

Weiterführende Informationen unter rechtsportal.de/familienrecht:

•Familienrecht, Lexikon des Unterhaltsrechts, „Selbstbehalt“, „eheangemessener Selbstbehalt“ und „notwendiger Selbstbehalt“