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Erhöhte Haftungsquote bei hoher Geschwindigkeit

Wer in einem Verkehrsunfall verwickelt wird, nachdem er die Richtgeschwindigkeit deutlich überschritten hat (200 km/h), dem ist eine höhere Betriebsgefahr zuzuschreiben.

Darum geht es

Auf einer zweispurigen Autobahn fahren rechts ein VW Golf und ein Nissan Micra. Der Nissanfahrer überholt den Golf und sieht den auf der linken Spur mit mindestens 200 km/h heranrauschenden Aston Martin nicht. Dieser sieht sich außer Stande abzubremsen. Ein Unfall geschieht bei dem der Nissan und der Aston Martin beschädigt werden. Schuld kann auf keiner Seite festgestellt werden.

Wer haftet mit welcher Quote?

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das OLG Oldenburg rechnet dem Fahrer des Aston Martin wegen der hohen Geschwindigkeit von mindestens 200 km/h eine höhere Betriebsgefahr zu und bestätigt die bereits vom Landgericht ausgeurteilte Quote von 2/3 (Aston Martin) zu 1/3 VW Golf.

Der Anspruch ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1 , 17 Abs. 1 , Abs. 2 StVG i. V. m. § 115 VVG.

Keiner der am Unfall Beteiligten konnte den Unabwendbarkeitsbeweis gem. § 17 Abs. 3 StVG führen, der eine Haftung ausgeschlossen hätte.

Als unabwendbar in diesem Sinne gilt ein Unfallereignis nur dann, wenn der Kraftfahrzeugführer jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Abzustellen ist auf den sogenannten "Idealfahrer", der in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen von vorneherein zu vermeiden.

Aston Martin

Zwar begründet eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h keinen Schuldvorwurf. Wer schneller fährt, verhält sich aber nicht wie ein Idealfahrer, weil er in haftungsrelevanter Weise insbesondere die Gefahr vergrößert, dass andere Verkehrsteilnehmer seine Geschwindigkeit unterschätzen. Nur wenn nachgewiesen wird, dass es auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zum Unfall gekommen wäre, ist die Haftung ausgeschlossen. Diesen Beweis konnte der Fahrer des Aston Martin nach einer Sachverständigenbefragung aber gerade nicht führen.

VW Golf

Auch der Fahrer und der Halter des VW Golf konnten eine Unabwendbarkeit des Unfalls nicht beweisen. Es ist nicht sicher, dass er die ihn nach der Straßenverkehrsordnung treffenden Sorgfaltspflichten (blinken und fahren mit entsprechend höherer Geschwindigkeit als das zu überholende Fahrzeug) eingehalten hat.

Auf beiden Seiten kein Anscheinsbeweis

Es spricht auch kein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden eines Unfallbeteiligten.

Zwar wird bei einem typischen Auffahrunfall angenommen, dass den Fahrer des auffahrenden Fahrzeugs ein Verschulden trifft. Aber im vorliegenden Fall liegt der Schluss, dass der Überholende (VW Golf) die Vorfahrt des von hinten heranfahrenden Aston Martin missachtet hat, genauso nahe.

Der erste Anschein kann auch für ein Verschulden des Überholenden sprechen, wenn der Fahrstreifenwechsel in nahem Zusammenhang mit der Kollision steht. Dieser Zusammenhang kann aber erst dann bejaht werden, wenn für den Überholenden das von hinten heranfahrende Fahrzeug erkennbar ist und wann das vorliegend war, kann vorliegend aufgrund der hohen Geschwindigkeit des Aston Martin gerade nicht bewiesen werden.

Quotelung folgt der Betriebsgefahr

Bei der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG ist auf beiden Seiten daher lediglich die Betriebsgefahr zu berücksichtigen.

Die Betriebsgefahr ist auf Seiten des Aston Martin deutlich erhöht, da dieser die Richtgeschwindigkeit in ganz erheblichem Maße, um unstreitig mindestens 70 km/h, überschritten hat und aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen feststeht, dass der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermieden worden wäre.

Diese Situation ist nach Ansicht des OLG Oldenburg auch nicht mit anderen Sachverhaltsgestaltungen OLG Düsseldorf, Schadenpraxis 2003, 335. OLG Nürnberg, NJW 2011,1155. OLG Hamm v. 25.11.2010  I-6 U 71/10, NJW-RR 2011, 464) vergleichbar, in denen bei Nichtbeachtung der Richtgeschwindigkeit die Betriebsgefahr des schnell auf der linken Spur fahrenden Fahrzeugs nur mit 20% bewertet wurde, da dort dem Unfallgegner ein Verschulden nachgewiesen werden konnte. Hier geht es hingegen um den Fall, dass allein die jeweilige Betriebsgefahr abgewägt wird, ohne dass auf einer der beiden Seiten ein Verschulden vorliegt.

OLG Oldenburg, Urt. v. 21.03.2012 – 3 U 69/11