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Der vorfahrtsberechtigte Raser

Die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch einen vorfahrtberechtigten Motorradfahrer vor dem Zusammenstoß mit einem aus einer untergeordneten Autobahnabfahrt nach links abbiegenden Pkw-Fahrer kann eine Haftungsverteilung von 30 % zu 70 % zu Lasten des Motoradfahrers rechtfertigen. Diese Haftungsquote hat das OLG Hamm zuletzt zugrunde gelegt.

Darum geht es

Es passiert immer wieder. Der Fahrzeugführer auf einer bevorrechtigten Straße hat es eilig, fährt erheblich schneller als es eine Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt und meint, hierauf würden sich wartepflichtige Verkehrsteilnehmer untergeordneter Straßen schon einstellen. Diese wiederum schätzen die Geschwindigkeit falsch ein, wollen nicht warten und meinen, es noch vor dem Vorfahrtsberechtigten über die Straße zu schaffen. Kommt es dann zum Unfall, ist häufig unklar und umstritten, wer was zu zahlen hat. Eine Quote liegt da nahe. Gilt das auch dann, wenn der Bevorrechtigte gerast ist, also z.B. mit mehr als der doppelten als der erlaubten Geschwindigkeit unterwegs war? Mit einem solchen Fall hat sich das OLG Hamm befasst.

Klägerin ist die Krankenkasse des im September Jahre 2011 28 Jahre alten Motorradfahrers aus Hamm. Sie nimmt den seinerzeit 58 Jahre alten Pkw-Fahrer aus Arnsberg und dessen Haftpflichtversicherung auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr aufgrund eines Unfalls des Motorradfahrers entstanden sind. Im September 2011 befuhr der Motorradfahrer den Haarweg in Werl. Im Bereich der von rechts einmündenden Autobahnabfahrt ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem Haarweg auf 50 km/h begrenzt.

Diese Begrenzung ließ der Motorradfahrer außer Acht, sein Motorrad Yamaha war mindestens 121 km/h schnell. Der beklagte Pkw-Fahrer bog mit seinem Pkw VW Touran langsam nach links ab, als das Motorrad noch ca. 250 m entfernt war. Aufgrund des Abbiegemanövers leitete der Motorradfahrer eine Bremsung ein und wich nach links aus, kollidierte jedoch mit dem abbiegenden Pkw. Bei dem Unfall zog sich der Motoradfahrer schwere Verletzungen zu. Im vorliegenden Zivilprozess haben die Parteien im Wege der Feststellungsklage darüber gestritten, ob der beklagte Pkw-Fahrer für den Unfall mitverantwortlich ist und die Beklagten der Klägerin deswegen 1/3 der unfallbedingten Aufwendungen zu ersetzen haben.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Im Unterschied zum Landgericht, das die Klage in der Annahme eines die Verantwortung der Beklagten ausschließenden, überwiegenden Verschuldens des Motorradfahrers abgewiesen hatte, hat das OLG Hamm eine 30 %ige Haftung der Beklagten für das Unfallgeschehen bejaht.

Auf Seiten des Motorradfahrers sei zunächst die unfallursächliche, massive Tempoüberschreitung zu berücksichtigen, von der die Klägerin selbst ausgehe.

Allerdings liege auch auf Seiten des Pkw-Fahrers ein schuldhaftes Verhalten vor. Beim Beginn seines Abbiegevorgangs sei das mit eingeschaltetem Fahrlicht herannahende Motorrad für den Pkw-Fahrer zu sehen gewesen. Wenn er dieses – seinen Angaben vor Gericht entsprechend – erst nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen habe, habe er den Verkehr auf der bevorrechtigten Straße nicht ausreichend beachtet.

Bei ausreichender Ausschau habe er die erhebliche Geschwindigkeit des Motorrads erkennen können und dann zuwarten müssen.

Keinesfalls habe er in der tatsächlich erfolgten langsamen Weise mit nur geringer Beschleunigung abbiegen dürfen, sondern – wenn überhaupt – zügig anfahren müssen. Beim Zuwarten und – nach den Angaben des vom Senat befragten Sachverständigen – auch beim zügigen Abbiegen wäre der Zusammenstoß zu vermeiden gewesen. Die damit ebenfalls unfallursächliche Vorfahrtsverletzung des Pkw-Fahrers rechtfertige eine Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Lasten der Beklagten.

OLG Hamm, Urt. v. 23.02.2016 – 9 U 43/15