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BGH - Entscheidung vom 06.12.2017

AK 64/17

Normen:
StPO § 121 Abs. 1
StGB § 129a Abs. 1
StGB § 129b Abs. 1 S. 1-2

BGH, Beschluss vom 06.12.2017 - Aktenzeichen AK 64/17

DRsp Nr. 2018/257

Verdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Fortdauer der Untersuchungshaft

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus sind gegeben, wenn die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang des Verfahrens wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben.

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.

Normenkette:

StPO § 121 Abs. 1 ; StGB § 129a Abs. 1 ; StGB § 129b Abs. 1 S. 1-2;

Gründe

I.

Der Angeschuldigte ist am 24. Januar 2017 festgenommen worden und befindet sich seither auf Grund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. Dezember 2016 ( 2 BGs 973/16) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Der Haftbefehl erhebt den Vorwurf, der Angeschuldigte habe im Zeitraum von Mitte Februar bis mindestens Ende 2013 in Syrien sich nacheinander mitgliedschaftlich für die ausländischen terroristischen Vereinigungen "Jabhat al-Nusra" und - ab Anfang Mai 2013 - "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) betätigt und dabei jeweils auch die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt. Während der Mitgliedschaft in der Jabhat al-Nusra habe er, gemeinschaftlich handelnd, einen Gefangenen länger als eine Woche eingesperrt.

Der Generalbundesanwalt hat das gegen den Angeschuldigten sowie den Mitangeschuldigten K. B. geführte Ermittlungsverfahren am 10. August 2017 wegen minderer Bedeutung gemäß § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben.

Der Senat hat mit Beschluss vom selben Tag ( AK 35 u. 36/17) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Während des Haftprüfungsverfahrens hat die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf am 22. November 2017 Anklage gegen den Angeschuldigten und den Mitangeschuldigten erhoben. Mit Anklageschrift vom 20. November 2017 legt sie dem Angeschuldigten über den im Haftbefehl geschilderten Vorwurf hinaus weitere mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen an der Jabhat al-Nusra ab Ende Mai oder Anfang Juni 2013 zur Last. Abweichend vom Haftbefehl sei der Angeschuldigte ab Anfang Mai 2013 nur zirka drei Wochen Mitglied des ISIG gewesen und anschließend wieder zur Jabhat al-Nusra zurückgekehrt, für die er sich erneut bis zum 26. Juli 2014 durch regelmäßige Wachdienste und - bis November 2013 - auch durch Teilnahme an Kampfeinsätzen betätigte.

II.

Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft auch über neun Monate hinaus liegen vor.

1. Hinsichtlich der Einzelheiten der für die Entscheidung maßgeblichen Tatvorwürfe, der den jeweiligen dringenden Tatverdacht begründenden Umstände sowie der Haftgründe verweist der Senat vorab auf die Gründe seiner Haftfortdauerentscheidung vom 10. August 2017, die für die Zeit bis zu der - dem Angeschuldigten nunmehr angelasteten - Rückkehr zur Jabhat al-Nusra ab Ende Mai oder Anfang Juni 2013 fortgelten. Die seitdem geführten weiteren Ermittlungen haben den dringenden Tatverdacht insoweit weiter verfestigt. Insbesondere die Auswertung der am 24. August 2017 vom Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen (Abteilung 6/Verfassungsschutz) übersandten umfangreichen Quellenberichte der ehemaligen Vertrauensperson L. hat aufschlussreiche tatrelevante Erkenntnisse erbracht; diesbezüglich wird auf den Abschlussbericht des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 2017 Bezug genommen (Vorläufige Sachakten, Band 4 Bl. 404 ff.).

Eine zweite Mitgliedschaft in der Jabhat al-Nusra ab Ende Mai oder Anfang Juni 2013 ist nicht Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens. Der dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift angelastete erneute Anschluss an diese terroristische Vereinigung nach vorausgegangener Beendigung der ersten Mitgliedschaft umschreibt einen weiteren Lebenssachverhalt, der vom vorgelegten Haftbefehl nicht umfasst ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, [...] Rn. 8 f.; vom 20. Oktober 2016 - AK 53/16, [...] Rn. 8; vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, [...] Rn. 22; BeckOK StPO/Krauß, § 122 Rn. 6; KK-Schultheis, StPO , 7. Aufl., § 121 Rn. 24a). Über den von der Generalstaatsanwaltschaft mit Erhebung der Anklage gestellten Antrag, den Haftbefehl "an die aus der Anklageschrift ersichtlichen Vorwürfe anzupassen", hat das Oberlandesgericht bislang nicht entschieden. Darüber, ob es nach Aktenvorlage im Sinne des § 122 Abs. 1 StPO überhaupt noch zu einer Erweiterung des Haftbefehls in tatsächlicher Hinsicht befugt war (zur Frage einer fortbestehenden Entscheidungskompetenz des Haftgerichts s. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juni 2016 - 1 Ws 257/16 H, StV 2017, 457 , 458; LR/Hilger, StPO , 26. Aufl., § 122 Rn. 28; BeckOK StPO/Krauß, § 122 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 60. Aufl., § 122 Rn. 6; KK-Schultheis, StPO , 7. Aufl., § 122 Rn. 2), braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.

Für die Haftfrage kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft weiterhin auf - vom Haftbefehl umfasste - mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen am ISIG erstreckt, die nicht zugleich den Tatbestand des § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KWKG erfüllen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. August 2017 - AK 35 u. 36/17, [...] Rn. 39). Zwar erhebt die Anklage in rechtlicher Hinsicht diesen Vorwurf, weil sie für den Zeitraum des Anschlusses an diese terroristische Vereinigung von zwei realkonkurrierenden Taten der § 129a Abs. 1 , § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB ausgeht. Da der Anklagesatz jedoch keine weiteren Betätigungsakte schildert, die allein nach diesen Vorschriften strafbar wären, könnte eine Einbeziehung dennoch zweifelhaft sein. Die anderen vier haftbefehlsgegenständlichen Taten, derer der Angeschuldigte dringend verdächtig ist, tragen indes den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

2. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:

Die Akten umfassen mittlerweile 40 Stehordner (ohne Kostenakte). Seit der Senatsentscheidung vom 10. August 2017 wurde - neben der Sichtung und Aufbereitung der Quellenberichte - die Auswertung der sichergestellten Datenträger fortgesetzt und beendet. Ein von der ehemaligen Vertrauensperson L. im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung am 30. Juni 2017 übergebener USB-Stick mit einem Dateivolumen von 1,67 Gigabyte wurde ebenfalls ausgewertet. Außerdem übersandten die US-amerikanischen Behörden am 13. Oktober 2017 in Erledigung eines Rechtshilfeersuchens des Generalbundesanwalts Verkehrsdaten zu einem dem Mitangeschuldigten zuzuordnenden E-Mail-Konto und kündigten an, dass weitere Informationen zu einem vom Angeschuldigten genutzten E-Mail-Konto demnächst nachgereicht würden. Ohne den Eingang dieser Informationen abzuwarten, hat die Generalstaatsanwaltschaft aus Gründen der Beschleunigung bereits am 22. November 2017 die Anklage erhoben.

Danach ist das Verfahren auch nach der letzten Haftprüfung durch den Senat mit der gebotenen besonderen Zügigkeit betrieben worden.

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht weiterhin nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).