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BGH - Entscheidung vom 16.02.2017

V ZB 111/16

Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 4-5
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 4 S. 2

BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - Aktenzeichen V ZB 111/16

DRsp Nr. 2017/4502

Anordnung der Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung über sechs Monate hinaus; Verhinderung der Abschiebung durch den Ausländer; Vernichtung des Passes durch den Betroffenen vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland

Die Anordnung der Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung über sechs Monate hinaus setzt voraus, dass der Ausländer seine Abschiebung verhindert. Die Vernichtung des Passes durch den Betroffenen vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland weist nicht den erforderlichen Bezug zu einer konkret zu erwartenden und sich bereits abzeichnenden Abschiebung auf. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht festzustellen ist, dass die Ausländerbehörde den Betroffenen über seine Mitwirkungsrechte belehrt und der Betroffene deren Vornahme verweigert hat.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Traunstein - 4. Zivilkammer - vom 7. Juli 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Anträge des Betroffenen auf Feststellung der Verletzung seiner Rechte zurückgewiesen worden sind.

Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Sicherungshaft in den Beschlüssen des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 2., 13. und 27. Juni 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Weiter wird festgestellt, dass der Beschluss des Landgerichts Traunstein - 4. Zivilkammer - vom 7. Juli 2016 den Betroffenen insoweit in seinen Rechten verletzt hat, als dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 27. Juni 2016 zurückgewiesen worden ist.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 15.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 4 -5; AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 ; AufenthG § 62 Abs. 4 S. 2;

Gründe

I.

Der Betroffene reiste, nachdem er Ende November 2015 nach Österreich zurückgewiesen worden war, kurz darauf erneut unerlaubt nach Deutschland ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle wurde er ohne Ausweisdokumente angetroffen. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 ordnete das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Marokko bis längstens 3. Juni 2016 an. Das Landgericht wies dessen Beschwerde zurück. Seine gegen diesen Beschluss eingelegte Rechtsbeschwerde blieb erfolglos (Senat, Beschluss vom 2. Juni 2016 - V ZB 26/16, [...]).

Mit Beschlüssen vom 2., 13. und 27. Juni 2016 hat das Amtsgericht jeweils die Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Marokko angeordnet, zuletzt bis längstens 14. Juli 2016. Das Landgericht hat die gegen diese Beschlüsse gerichteten Beschwerden des Betroffenen zurückgewiesen, zuletzt mit der Maßgabe, dass die verlängerte Sicherungshaft spätestens am 10. Juli 2016 endet. Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der zwischenzeitlich nach Marokko abgeschobene Betroffene die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Feststellung, dass dieser Beschluss und die Verlängerungsbeschlüsse des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 4 und 5 AufenthG vor. Der mittellose Betroffene habe zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge aufgewandt; allein für die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland habe er nach eigenen Angaben an einen Schleuser 720 € gezahlt. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er zudem angegeben, dass er für den Fall einer Abschiebung nach Marokko nach Frankreich weiterreisen würde. Bei der richterlichen Anhörung habe er betont, dass er nicht in ein Flugzeug nach Marokko steigen werde.

Die Haft dürfe über sechs Monate hinaus verlängert werden. Der Betroffene habe zu vertreten, dass die Abschiebung aufgrund der Dauer der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht innerhalb dieses Zeitraums habe durchgeführt werden können. Er habe bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, seinen Pass dem Schleuser gegeben zu haben, nachdem dieser ihm gesagt habe, er solle den Pass wegwerfen, um bessere Chancen zu haben. Die dazu in Widerspruch stehende Angabe bei seiner richterlichen Anhörung, er habe den Pass dem Schleuser nur gegeben, weil dieser ihm gedroht habe, sei nicht glaubhaft. Trotz Belehrung durch die beteiligte Behörde habe der Betroffene keine Versuche unternommen, die Passbeschaffung durch eigene Anstrengungen zu beschleunigen. Er habe vielmehr von Anfang an deutlich gemacht, dass er an seiner Abschiebung nach Marokko nicht mitwirke.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Die Feststellungen des Beschwerdegerichts sind nicht geeignet, die Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus zu tragen. Dies setzt nach § 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG voraus, dass der Ausländer seine Abschiebung verhindert. Die Vernichtung des Passes durch den Betroffenen vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland weist nicht den erforderlichen Bezug zu einer konkret zu erwartenden und sich bereits abzeichnenden Abschiebung auf (vgl. näher Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 99/16, [...] Rn. 11). In Bezug auf die von dem Beschwerdegericht angenommene pflichtwidrige Verletzung von Mitwirkungspflichten (vgl. §§ 48 , 49 AufenthG , § 15 AsylG ) fehlt es an Feststellungen, dass die Ausländerbehörde den Betroffenen über diese belehrt, sie ihn zur Vornahme der im jeweiligen Einzelfall erforderlichen konkreten Mitwirkungshandlung aufgefordert und der Betroffene deren Vornahme verweigert hat (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 99/16, [...] Rn. 13 mwN).

2. Eine Zurückverweisung an das Beschwerdegericht zur Nachholung entsprechender Feststellungen kommt nicht in Betracht. Der Betroffene müsste dazu nach § 34 FamFG persönlich angehört werden; angesichts der erfolgten Abschiebung ist dies aber nicht mehr möglich (vgl. Senat, Beschluss vom 17. März 2016 - V ZB 39/15, [...] Rn. 10 mwN).

IV.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Mühldorf am Inn, vom 02.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 XIV 56/16
Vorinstanz: AG Mühldorf am Inn, vom 13.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 XIV 66/16
Vorinstanz: AG Mühldorf am Inn, vom 27.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 XIV 74/16
Vorinstanz: LG Traunstein, vom 07.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 1931/16
Vorinstanz: LG Traunstein, vom 07.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 2111/16
Vorinstanz: LG Traunstein, vom 07.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 2294/16