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BVerwG - Entscheidung vom 10.02.2016

4 BN 37.15

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
ROG § 7 Abs. 2 S. 1

Fundstellen:
BauR 2016, 1004

BVerwG, Beschluss vom 10.02.2016 - Aktenzeichen 4 BN 37.15

DRsp Nr. 2016/5659

Normenkontrollantrag gegen die als Ziel der Raumordnung erfolgte Ausweisung des Eignungsgebiets für Windenergieanlagen Milow in der Landesverordnung; Geltendmachung einer prinzipalen Normenkontrolle eines Raumordnungsplans; Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange auf der jeweiligen Planungsebene

1. Wer eine Zielfestlegung in einem Regionalplan als mittelbar Betroffener angreift, kann sich für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO (nur) auf das planungsrechtliche Abwägungsgebot des § 7 Abs. 2 S. 1 ROG berufen. Es gelten im Grundsatz dieselben Anforderungen wie im Falle eines Normenkontrollantrages gegen einen Bebauungsplan. Der Antragsteller muss deshalb hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch bestimmte Regelungen des raumordnungsrechtlichen Plans oder deren Anwendung in seinem Recht auf ordnungsgemäße Abwägung seiner Belange verletzt wird.2. Die Normenkontrolle eines Raumordnungsplans kann deshalb nur erreichen, wer ein subjektives Recht darauf geltend machen kann, dass der Plangeber sein "negatives Betroffensein" in einem privaten Interesse zu berücksichtigen hat. Das bedeutet: Wenn und soweit das Interesse des Antragstellers an der Abwehr planbedingter Folgemaßnahmen zum notwendigen Abwägungsmaterial gehört, wird es von dem durch § 7 Abs. 2 S. 1 ROG vermittelten Recht auf gerechte Abwägung erfasst, dessen mögliche Verletzung die Antragsbefugnis begründet.3. Die Antragsbefugnis ist hingegen nicht gegeben, wenn eine Verletzung des durch § 7 Abs. 2 S. 1 ROG vermittelten Abwägungsgebots offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen und sie darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt. Das Normenkontrollgericht ist insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Es kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers geben kann.4. Abwägungsrelevant sind alle Belange, die mehr als geringwertig, schutzwürdig, nicht mit einem Makel behaftet und für den Planer erkennbar sind. In dem vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass bei einer pauschalierenden Berücksichtigung der Belange der benachbarten Wohnbebauung auf Schutz vor Immissionen (Lärm, Licht) auf der Ebene der Raumordnungsplanung mit der Vorgabe eines 1.000-Meter-(Vorsorge-)Abstandes zum Windenergiegebiet schutzwürdige Interessen des Antragstellers nicht beeinträchtigt sein können.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 ; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; ROG § 7 Abs. 2 S. 1;

Gründe

I

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die als Ziel der Raumordnung erfolgte Ausweisung des Eignungsgebiets für Windenergieanlagen Milow in der Landesverordnung über das Regionale Raumentwicklungsprogramm Westmecklenburg vom 31. August 2011. Das in seinem hälftigen Miteigentum stehende und im Innenbereich gelegene Wohngrundstück liegt etwas mehr als 1000 m von der Grenze des Eignungsgebiets entfernt. Der Antragsteller befürchtet insbesondere unzumutbare Immissionen im Falle der Errichtung von Windenergieanlagen, auch wegen der schon bestehenden Vorbelastung durch den Windpark Pröttlin in Brandenburg.

Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag mangels Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ) als unzulässig abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ob sich der Antragsteller auf einen eigenen abwägungserheblichen Belang berufen kann, könne offen bleiben. Nach den maßgeblichen Darlegungen zur Begründung des Normenkontrollantrages scheide jedenfalls eine fehlerhafte Behandlung solcher Belange offensichtlich aus.

Die Revision gegen sein Urteil hat das Normenkontrollgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützt wird.

II

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.

Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Fragen,

ob der Grundsatz, dass die Abwägungsprozesse bei raumordnerischen Zielen regelmäßig grobmaschiger und die Ermittlung der berührten Belange pauschaler sind, insbesondere weil es sich um private Belange handelt, auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes im Jahr 2008 gilt, mit der Folge, dass eine Besserstellung der privaten Belange nicht erfolgt und private Belange somit nicht gleichrangig und im Ergebnis weniger stringent zu prüfen sind,

ob der pauschalierte Prüfungsabstand, welcher noch vor der Neufassung des Raumordnungsgesetzes im Jahr 2008 galt, auch nach derselben Anwendung findet, wenn neben einem bestehenden Windpark ein weiteres Eignungsgebiet für Windkraftanlagen - in einem anderen Bundesland - hinzukommt bzw. festgesetzt wird, und

ob - den alten Prüfungsmaßstab anlegend - das pauschale Festsetzen des 1 000 m Vorsorgeabstandes der grobmaschigen Pauschalabwägung gerecht wird, wenn das festgesetzte Windeignungsgebiet dadurch vorbelastet ist, dass direkt daneben - sogar in einem anderen Bundesland - bereits ein Windpark vorhanden ist, von dem bereits erhebliche Auswirkungen ausgehen,

führen nicht zur Zulassung der Revision. In dieser Form würden sich die Fragen in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, sondern nur im Zusammenhang mit der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO . Selbst dann wäre ein Grund für die Zulassung der Revision nicht gegeben.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO setzt die Antragsbefugnis die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch die angegriffene Norm oder deren Anwendung voraus. Wer eine Zielfestlegung in einem Regionalplan als mittelbar Betroffener angreift, kann sich für die Antragsbefugnis (nur) auf das planungsrechtliche Abwägungsgebot des § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG berufen. Insofern gelten im Grundsatz dieselben Anforderungen wie etwa im Falle eines Normenkontrollantrages gegen einen Bebauungsplan (BVerwG, Beschluss vom 13. November 2006 - 4 BN 18.06 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 172 = [...] Rn. 6). Danach muss der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch bestimmte Regelungen des raumordnungsrechtlichen Plans oder deren Anwendung in seinem Recht auf ordnungsgemäße Abwägung seiner Belange verletzt wird (BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2014 - 4 BN 1.14 - [...] Rn. 23). Eine prinzipale Normenkontrolle eines Raumordnungsplans kann mithin nur erreichen, wer ein subjektives Recht darauf geltend machen kann, dass der Plangeber sein "negatives Betroffensein" in einem privaten Interesse zu berücksichtigen hat (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 4 CN 10.02 - BVerwGE 119, 312 <320>; Beschluss vom 14. Mai 2014 - 4 BN 10.14 - BRS 82, Nr. 56 Rn. 7). Das bedeutet: Wenn und soweit das Interesse des Antragstellers an der Abwehr planbedingter Folgemaßnahmen zum notwendigen Abwägungsmaterial gehört, wird es von dem durch § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG vermittelten Recht auf gerechte Abwägung erfasst, dessen mögliche Verletzung die Antragsbefugnis begründet (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 4 CN 10.02 - BVerwGE 119, 312 <322>).

Die Antragsbefugnis ist dagegen nicht gegeben, wenn eine Verletzung des durch § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG vermittelten Abwägungsgebots offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet (vgl. auch BVerwG, Urteile vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <217> und vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209 <211>). Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 a.a.O. S. 218), und sie darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2013 - 4 BN 13.13 - ZfBR 2014, 159 Rn. 4). Das Normenkontrollgericht ist daher insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Deswegen vermag die im Laufe des Verfahrens fortschreitende Sachverhaltsaufklärung durch das Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis eines Antragstellers nicht nachträglich in Frage zu stellen. Andererseits muss es widerstreitendes Vorbringen des Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht ausblenden, sondern kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers geben kann (BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2012 - 4 BN 16.12 - UPR 2013, 31 Rn. 3).

In die Abwägung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG sind alle öffentlichen und privaten Belange einzustellen, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene (Landesoder Regionalplan) erkennbar und von Bedeutung sind. Abwägungsrelevant sind alle Belange, die mehr als geringwertig, schutzwürdig, nicht mit einem Makel behaftet und für den Planer erkennbar sind (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <219>, Beschlüsse vom 9. November 1979 - 4 N 1.78 - BVerwGE 59, 87 <102 f.> und vom 14. Mai 2014 - 4 BN 10.14 - BRS 82, Nr. 56 Rn. 8). Der Senat hat in diesem Zusammenhang aus den Aufgaben der Raumordnung als einer zusammenfassenden, übergeordneten Planung, ihrer weiträumigen Sichtweise und ihrem Rahmencharakter die Befugnis des Planungsträgers zur Typisierung abgeleitet (BVerwG, Urteil vom 13. März 2003 - 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <44>). Das Abwägungsmaterial braucht mithin nicht so kleinteilig zusammengestellt zu werden wie auf den nachgeordneten Planungsebenen (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2014 - 4 B 56.13 - ZfBR 2014, 583 Rn. 8), es sei denn, kleinteilige private Belange wären dann auch auf der nachfolgenden Planungs- oder Zulassungsebene nicht mehr zu prüfen (vgl. Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG , 1. Aufl. 2010, § 7 Rn. 33).

Das Oberverwaltungsgericht ist der Sache nach von diesen - höchstrichterlich nicht weiter klärungsbedürftigen - Grundsätzen ausgegangen und hat angenommen, dass nach den maßgeblichen Darlegungen zur Begründung des Normenkontrollantrages eine fehlerhafte Behandlung abwägungserheblicher Belange des Antragstellers im Rahmen der Zielfestlegung in Kapitel 6.5 Energie Absatz 2 i.V.m. der Anlage zu Kapitel 6.5 hier offensichtlich ausscheide. Weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Soweit sie in der Sache geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe einen zu engen Prüfungsmaßstab angelegt, wendet sie sich gegen die Rechtsanwendung im Einzelfall. Mit einer solchen Kritik kann die Zulassung einer Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden.

2. Der Senat geht zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass er sich auch auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO berufen will. Denn er macht geltend, dass das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an den Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Betroffenseins privater Belange überspannt habe (Beschwerdebegründung S. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt es einen Verfahrensverstoß dar, wenn das Gericht eine Klage fehlerhaft als unzulässig abweist und sich dadurch der gebotenen Entscheidung zur Sache entzieht (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1994 - 5 B 79.94 - NJW 1995, 2121 m.w.N.). Das ist hier aber nicht der Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis zutreffend beurteilt. Es ist nicht zu beanstanden, dass es davon ausgegangen ist, ein etwaiger und zu Gunsten des Antragstellers in der Abwägung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG zu berücksichtigender abwägungserheblicher Belang sei offensichtlich nicht verletzt. Das Normenkontrollgericht ist in der Sache davon ausgegangen, dass bei einer pauschalierenden Berücksichtigung der Belange der benachbarten Wohnbebauung auf Schutz vor Immissionen (Lärm, Licht) auf der Ebene der Raumordnungsplanung mit der Vorgabe eines 1000-Meter-(Vorsorge-)Abstandes schutzwürdige Interessen des Antragstellers nicht beeinträchtigt sein können. Angesichts der geltenden landesrechtlichen Abstandsempfehlungen für die Regionalplanung zur Ausweisung von Windenergiegebieten, die vielfach Abstände von 1000 m zu Wohngebieten vorsähen, sei ferner nicht erkennbar, dass dieser Ansatz auf raumordnerischer Ebene den Belangen Privater nicht hinreichend Rechnung trage (UA S. 12). Das gelte auch unter Berücksichtigung der geltend gemachten Vorbelastung durch den Windpark Pröttlin (UA S. 13). Dem tritt der Antragsteller nicht substantiiert entgegen. Er beschränkt sich auf die schlichte Behauptung, das Windenergieeignungsgebiet könne nicht umfassend umgesetzt werden, weil der 1000-Meter-Abstand nicht ausreiche, um auch mit Blick auf die Vorbelastung durch den Windpark Pröttlin eine Überschreitung der nach der TA Lärm maßgeblichen Immissionsrichtwerte auszuschließen. Die weiteren Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts, wonach der Antragsteller keine weitergehenden individuellen Belange geltend gemacht habe, die bereits auf der Ebene der Regionalplanung hätten berücksichtigt werden müssen (UA S. 13), er sich auf eine planbedingte Wertminderung ebenso wenig berufen könne wie auf eine planbedingte Verschlechterung der Aussicht (UA S. 11) oder auf seinen persönlichen Gesundheitszustand (UA S. 13), ferner, dass die Vorgabe eines Mindestabstandes von 5 km zwischen mehreren Eignungsgebieten nicht dem Schutz von Wohnbebauung diene (UA S. 12, 13), und schließlich, dass auch der Belang der Erhaltung der schützenswerten Landschaft und die Belange des Naturschutzes keinen Drittschutz vermittelten (UA S. 14), nimmt der Antragsteller hin.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Mecklenburg-Vorpommern, vom 20.05.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 18/12
Fundstellen
BauR 2016, 1004