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BGH - Entscheidung vom 20.07.2016

IV ZB 39/15

Normen:
ZPO § 574 Abs. 2
VVG a.F. § 5a
VVG § 8

Fundstellen:
NJW-RR 2016, 1125
r+s 2016, 557

BGH, Beschluss vom 20.07.2016 - Aktenzeichen IV ZB 39/15

DRsp Nr. 2016/13504

Rückzahlungsbegehren des Versicherungsnehmers bzgl. geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung nach Widerruf; Anforderungen an die Darlegung der Rechtsverletzung und ihrer Entscheidungserheblichkeit

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 11. Zivilkammer - vom 9. November 2015 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 2.029,75 €

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 2 ; VVG a.F. § 5a; VVG § 8 ;

Gründe

I. Die Klägerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig.

Sie nimmt die Beklagte auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung in Anspruch. Diese wurde aufgrund eines Antrags der Klägerin mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2004 nach dem sogenannten Antragsmodell des § 8 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung vom 21. Juli 1994 (im Folgenden VVG a.F.) abgeschlossen.

Die Klägerin erklärte unter dem 29. August 2012 den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und mit Schreiben vom 12. September 2012 unter anderem den "Widerruf nach § 8 VVG ", hilfsweise die Kündigung. Die Beklagte akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ausübung eines möglicherweise noch bestehenden Widerrufs- oder Rücktrittsrechts sei aufgrund von Verwirkung ausgeschlossen. Die Klägerin sei ordnungsgemäß über ihr Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. belehrt worden. Sie habe über acht Jahre und vier Monate den Versicherungsschutz der Beklagten genossen und in Kenntnis ihres ursprünglichen Rücktrittsrechts dynamisierte Prämien bezahlt. Zudem habe sie nach der Abrechnung aufgrund der Kündigung ein Jahr und elf Monate zugewartet und dann ohne weitere Ankündigung Klage erhoben. Die Beklagte habe aufgrund des Verhaltens der Klägerin darauf vertrauen dürfen, dass der Vertrag akzeptiert und gewünscht und die Abrechnung im Jahr 2013 anerkannt werde.

Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil es die Berufungsbegründung als unzureichend angesehen hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, jedoch im Übrigen nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung beachtet und das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) nicht verletzt.

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Berufung nicht ordnungsgemäß begründet. Aus der Berufungsbegründung lasse sich nicht entnehmen, warum die Argumentation des Amtsgerichts unrichtig sein solle. In der Berufungsbegründung heiße es einleitend, dass das Amtsgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen habe, dass § 5a VVG europarechtskonform sei. Ausgehend von dieser falschen Prämisse folgten zunächst Ausführungen zur Europarechtswidrigkeit des § 5a VVG . Weiter heiße es, dass das Amtsgericht unzutreffend von einer ausreichenden Widerrufsbelehrung ausgehe. Das Amtsgericht habe sich jedoch nicht mit einer Widerrufs- und auch nicht mit einer Widerspruchsbelehrung auseinandergesetzt, sondern nur mit einer Rücktrittsbelehrung. Ausführungen dazu, warum die streitgegenständliche Rücktrittsbelehrung nicht den Anforderungen des § 8 VVG a.F. entsprechen solle, fänden sich in der Berufungsbegründung nicht. Auch auf die Ausführungen des Amtsgerichts zur Verwirkung werde nicht konkret eingegangen, sondern lediglich auf eine angeblich nicht ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung verwiesen, die eine Verwirkung ausschließe.

2. Damit hat das Landgericht die Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung nicht überspannt. Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass sich die Klägerin in der Begründung ih rer Berufung nicht mit dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts befasst hat.

a) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dies bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, dass die Berufungsbegründung erkennen lassen muss, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Daher hat er diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus Sicht des Berufungsklägers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Damit wird weitgehend an den früheren Rechtszustand (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F.) angeknüpft, wobei die Anforderungen an die Darlegung der Rechtsverletzung und ihrer Entscheidungserheblichkeit nach der Vorstellung des Gesetzgebers sogar noch etwas herabgesetzt worden sind (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580 unter II 3 b aa m.w.N.; Urteil vom 18. September 2001 - X ZR 196/99, NJW-RR 2002, 209 unter 1 m.w.N.). Auch unter Geltung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2001 aaO; vom 24. Januar 2000 - II ZR 172/98, NJW 2000, 1576 unter II; jeweils m.w.N.).

b) Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin nicht dargetan, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sie das Urteil des Amtsgerichts für unrichtig hält. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend sieht, handelt die Berufungsbegründung das Policenmodell gemäß § 5a VVG a.F. und ein "Widerspruchsrecht" ab. Hingegen befasst sie sich nicht mit dem vom Amtsgericht zugrunde gelegten Vertragsschluss im Antragsmodell, von dem auch die Rechtsbeschwerde ausgeht. Dass sich bei einem Vertragsschluss im Antragsmodell und einem hiernach möglichen Rücktritt gemäß § 8 Abs. 5 VVG a.F. vielfach gleichgelagerte Rechtsfragen wie bei einem Zustandekommen des Versicherungsvertrages nach dem Policenmodell und einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. stellen, entband die Klägerin entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht davon, sich mit den Ausführungen des Amtsgerichts zu dem ihr konkret zustehenden Rücktrittsrecht zu befassen. Dazu genügte nicht der pauschale, vom Streitfall unabhängige Hinweis in der Berufungsbegründung, dass die Rechtsprechung zu § 5a VVG a.F. auch auf das Antragsmodell anzuwenden sei.

Mit den Ausführungen des Amtsgerichts zur ordnungsgemäßen Belehrung der Klägerin über ihr Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. setzt sich die Berufungsbegründung nicht konkret auseinander . Sie verweist allgemein darauf, dass bereits die formalen Voraussetzungen an eine wirksame Widerspruchsbelehrung wie die drucktechnisch deutliche Form der Widerspruchsbelehrung nicht gegeben seien. Damit greift sie nicht die Auffassung des Amtsgerichts an, dass die drucktechnische Hervorhebung der nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. zu erteilenden Belehrung ebenso wie bei der Widerrufsbelehrung nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. entbehrlich sei. Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung auch nicht dargelegt, dass die ihr in dem Antragsformular erteilte Belehrung über das Rücktrittsrecht die Anforderungen an eine formal ordnungsgemäße Gestaltung (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 Rn. 16 m.w.N.) nicht erfüllt. Nach einem Zitat aus dem Senatsurteil vom 28. Januar 2004 ( IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 d) führt die Berufungsbegründung aus, demnach müsse die Widerspruchsbelehrung dem Versicherungsnehmer gesondert präsentiert oder drucktechnisch so stark hervorgehoben werden, dass sie d em Versicherungsnehmer beim Durchblättern der sonstigen Vertragsunterlagen nicht entgehen könne. Diesen Anforderungen genüge die Belehrung im Antrag nicht. Die Hervorhebung hätte durch größeren Zeilenabstand von anderen Absätzen, Fettdruck, Farbdruck, die Benutzung von Großbuchstaben, Einrahmung oder andere Schriftart geschehen müssen, damit sich die Belehrung vom übrigen Text deutlich abhebe und dem Versicherungsnehmer ins Auge springe. Auf die erwähnten Gestaltungsmittel habe die Beklagte gänzlich verzichtet und damit die Klagepartei nicht in deutlicher Form auf das Widerspruchsrecht hingewiesen.

Auch wenn die "Belehrung im Antrag" erwähnt wird, geht die Berufungsbegründung mit der allgemeinen Aufzählung möglicher Gestaltungsmittel nicht auf die Würdigung des Amtsgerichts ein, dass die streitgegenständliche Rücktrittsbelehrung durch Fettdruck, Blocksatz und eine Trennlinie ohnehin zumindest hervorgehoben und von der Positionierung her geeignet sei, den Angesprochenen auf die Belehrung aufmerksam zu machen. Die Ansicht des Amtsgerichts, der notwendige Inhalt der Belehrung werde ausreichend vermittelt, hat die Klägerin in der Berufungsbegründung nicht angegriffen. Das ergibt sich nicht aus der Rüge, sie sei nicht darauf hingewiesen worden, dass sie ohne Angabe von Gründen "widersprechen" könne, wem gegenüber der "Widerspruch" zu erklären sei, und dass eine Höchstfrist von einem Jahr bestehe. Diese Beanstandungen beziehen sich wiederum nicht auf die der Klägerin erteilte Belehrung über das Rücktrittsrecht, sondern auf eine Widerspruchsbelehrung, die hier nicht in Rede steht.

Schließlich hat die Klägerin in der Berufungsbegründung die Ausführungen des Amtsgerichts zur Verwirkung des Rücktrittsrechts nicht konkret angegriffen. Sie hat nur gerügt, der "Widerspruch" sei nicht verfristet, nachdem insbesondere die Höchstfrist von einem Jahr gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Dezember 2013 gegen europarechtliche Vorgaben verstoße. Da die Klagepartei nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sei, könne sie den geltend gemachten Anspruch auch entgegen der Darstellung des erstinstanzlichen Gerichts nicht verwirkt haben. Aus diesem wiederum das Widerspruchsrecht betreffenden Einwand ergibt sich kein Bezug zu der vom Amtsgericht bejahten Verwirkung des Rücktrittsrechts.

Vorinstanz: AG Nürnberg, vom 23.06.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 22 C 9973/14
Vorinstanz: LG Nürnberg-Fürth, vom 09.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 11 S 5293/15
Fundstellen
NJW-RR 2016, 1125
r+s 2016, 557