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BGH - Entscheidung vom 21.04.2016

2 StR 394/15

Normen:
StPO § 105 Abs. 1 S. 1
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4

Fundstellen:
NStZ-RR 2018, 131
StV 2016, 539

BGH, Beschluss vom 21.04.2016 - Aktenzeichen 2 StR 394/15

DRsp Nr. 2016/11112

Gemeinsames Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung der Körperverletzung; Begründung einer verstärkten Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer; Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel aufgrund des Fehlens einer richterlichen Durchsuchungsanordnung

1. Der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft voraus. Ausreichend ist bereits das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung der Körperverletzung. Eine gemeinschaftliche Begehung in dieser Beteiligungsform ist aber regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters physisch oder psychisch bewusst in einer Weise verstärkt, welche geeignet ist, die Lage des Verletzten zu verschlechtern.2. Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots unterlaufen werden.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten Y. E. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Februar 2015, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a)

im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat am Wendehammer) und

b)

im Gesamtstrafenausspruch.

2.

Auf die Revision des Angeklagten L. E. wird das vorgenannte Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a)

im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat am Wendehammer),

b)

im Fall II. 5. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen und

c)

im Gesamtstrafenausspruch.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4.

Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Normenkette:

StPO § 105 Abs. 1 S. 1; StPO § 349 Abs. 2 ; StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Y. E. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten und dessen Bruder, den Angeklagten L. E. , wegen gefährlicher Körperverletzung, Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen die Verurteilung richten sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Die von dem Angeklagten Y. E. erhobenen Verfahrensrügen und die von dem Angeklagten L. E. beanstandete Verlesung und Verwertung der Verteidigererklärung seines Bruders bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 19. Oktober 2015 ohne Erfolg. Auch die Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (hinsichtlich des Angeklagten Y. E. ) und wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (hinsichtlich des Angeklagten L. E. ) weisen keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf; entsprechendes gilt für die Tat im Einkaufszentrum bzw. auf der Brücke wegen der jeweils verhängten Einzelstrafen.

2. Die Einzelstrafaussprüche im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat am Wendehammer) haben hingegen keinen Bestand. Das Landgericht hat zu Lasten beider Angeklagter berücksichtigt, dass § 224 StGB "gleich in drei Tatbestandsvarianten" (scil. § 224 Abs. 1 Nr. 2 , Nr. 4 und Nr. 5 StGB ) verwirklicht worden sei. Soweit das Landgericht davon ausgeht, (auch) die Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB sei erfüllt, begegnet dieses durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht, wer die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft wird vorausgesetzt; ausreichend ist vielmehr schon das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung der Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383 , 386; Beschluss vom 8. März 2016 - 3 StR 524/15, NStZ-RR 2016, 139 ). Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Qualifikationstatbestandes des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB , wonach durch ein solches Zusammenwirken - nicht anders als durch mittäterschaftliche Begehung - eine verstärkte Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer begründet wird (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383 , 386).

Allerdings ist eine gemeinschaftliche Begehung in dieser Beteiligungsform regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters - physisch oder psychisch (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572 , 573) - bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Dies wird in der Regel vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der Verletzerseite insbesondere auch wegen des erwarteten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten.

b) Nach den Feststellungen stand der Angeklagte L. E. bei seinem am Wendehammer abgestellten Pkw und sah, dass sein Bruder den Geschädigten "durch hin und herschwingende Hiebe mit dem Schlachtermesser" bedrohte. Der Angeklagte L. E. forderte seinen Bruder auf, "schnell in das Auto einzusteigen und mit ihm zu fliehen. Sein Bruder kam der Aufforderung jedoch nicht nach, sondern fragte den Mitangeklagten L. E. lediglich, ob die Polizei schon da sei. Als der Angeklagte L. E. die Frage verneinte und zusätzlich von sich aus noch darauf hinwies, dass hier auch keine Kameras befindlich seien, schwang der Angeklagte Y. E. im Beisein seines Bruders das Schlachtermesser mit der scharfen Klinge voraus mehrfach" gegen den Geschädigten, dem er sodann u.a. eine Skalpierungsverletzung zufügte.

Unbeschadet des Umstandes, dass schon nicht erkennbar ist, ob sich das Landgericht des oben unter 2. a) dargelegten Maßstabes bewusst gewesen ist, ist den Feststellungen ein gemeinsames Einwirken auf das Opfer bei der Begehung der Körperverletzungshandlung nicht hinreichend zu entnehmen; insoweit erscheinen indes ergänzende Feststellungen möglich.

3. Die Verurteilung des Angeklagte L. E. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II. 5. der Urteilsgründe hat ebenfalls keinen Bestand. Insoweit rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei einer Durchsuchung gewonnen worden waren, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ) durchgeführt wurden und daher rechtswidrig waren.

a) Folgendes liegt zugrunde: Am 14. Oktober 2013 bewahrte der Angeklagte L. E. in seinem in der Nähe seiner Wohnung abgestellten Fahrzeug der Marke Ford Sierra in einer in der Mittelkonsole versteckten Plastiktüte 93,07g Kokain mit einem Kokainhydrochloridanteil von 79,5% auf, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war.

b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt trotz des Widerspruchs des Angeklagten gegen die Beweisverwertung in der Hauptverhandlung im Wesentlichen auf die bei der Durchsuchung des genannten Pkw erlangten Erkenntnisse und auf die Aussage der Ermittlungsbeamten gestützt. Zu dieser Durchsuchung kam es wie folgt:

Nachdem der Angeklagte L. E. am 4. Oktober 2013 vorläufig festgenommen worden war und sich sodann in Untersuchungshaft befand, stießen die Ermittlungsbeamten im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen wegen der am selben Tag begangenen gefährlichen Körperverletzung am 14. Oktober 2013 (Montag) zufällig auf einen weiteren, auf den Angeklagten L. E. zugelassenen und in dessen Wohnortnähe abgestellten Pkw, zu dem die passenden Fahrzeugschlüssel zuvor sichergestellt worden waren. Da die Ermittlungsbeamten vermuteten, dass sich in diesem Fahrzeug insbesondere die bei der Straftat verwendeten Tatwaffen befinden, informierten sie Oberstaatsanwalt , der als Vertreter der an sich zuständigen Dezernentin zuständig war. Oberstaatsanwalt , dem nicht bewusst war, dass die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag, ordnete wegen Gefahr in Verzug die sofortige Durchsuchung des Pkw des Angeklagten L. E. an, ohne zuvor zu versuchen, eine richterliche Anordnung zu erlangen; die Anordnung des Oberstaatsanwalts ist zudem weder schriftlich dokumentiert noch sind die die Dringlichkeit rechtfertigenden Tatsachen (schriftlich) begründet. Um 13.35 Uhr durchsuchten Ermittlungsbeamte den Pkw des Angeklagten L. E. und fanden dabei zufällig das versteckte Kokain; Tatwaffen fanden sie nicht.

c) Vor diesem Hintergrund unterliegen die aus der Durchsuchung erlangten Erkenntnisse - entgegen der Ansicht des Landgerichts - einem Beweisverwertungsverbot.

aa) Die montags am 14. Oktober 2013 um 13.35 Uhr durchgeführte Durchsuchung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 19. Oktober 2015 zutreffend ausgeführt hat, rügt die Revision zu Recht, dass die Anordnung des Oberstaatsanwalts nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz beruhte, weil Gefahr im Verzug objektiv nicht vorlag.

bb) Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.

Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29 , 61; Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684 , 2686; Beschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783 , 2784). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Gesichtspunkt, wonach dem anordnenden Oberstaatsanwalt nicht bewusst gewesen sei, dass die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag, ändert an dieser Bewertung nichts. Unbeschadet dessen, dass eine solche Fehlvorstellung auf - nicht nachzuvollziehender - nicht vollständiger Information beruht hat, die der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, kann dieser Umstand es nicht rechtfertigen, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen, zumal der Angeklagte sich in Untersuchungshaft befunden hatte.

cc) Anders als der Generalbundesanwalt meint, kann dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) bei - wie hier - solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 , 295 f.; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 , 296; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8).

d) Die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kann danach keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat nicht möglich. Er kann den Angeklagten nicht vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freisprechen, denn es ist nicht völlig auszuschließen, dass in der neuen Hauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse noch Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch tragen.

4. Die Aufhebung der Einzelstrafen im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat am Wendehammer) und - soweit es den Angeklagten L. E. betrifft die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 5. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Gesamtstrafen nach sich.

5. Ein die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründender Tatvorwurf steht nicht mehr in Frage; der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO deshalb an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2015 - 2 StR 488/14).

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 16.02.2015
Fundstellen
NStZ-RR 2018, 131
StV 2016, 539