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BGH - Entscheidung vom 23.03.2016

IV ZR 329/15

Normen:
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
BGB § 818 Abs. 1 Alt. 1
VVG § 5a Abs. 2 S. 1, 4

BGH, Beschluss vom 23.03.2016 - Aktenzeichen IV ZR 329/15

DRsp Nr. 2016/13509

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages; Rückzahlungsbegehren bzgl. geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Lebensversicherung; Ordnungsgemäße Belehrung des Versicherungsnehmers über das Widerspruchsrecht

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagtenseite gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. Juni 2015 auf deren Kosten zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Normenkette:

BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; BGB § 818 Abs. 1 Alt. 1; VVG § 5a Abs. 2 S. 1, 4;

Gründe

I. Der Kläger (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) - von Beruf Versicherungsmakler - begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Lebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN, der sich den Vertrag selbst vermittelt und dafür eine Courtage erhalten hatte, mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2004 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN im Versicherungsschein eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. Mit Schreiben vom 3. August 2010 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. und hilfsweise die Kündigung. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert unter Berücksichtigung eines Policendarlehens und unter Abzug der Kapitalertragssteuer aus. Einen Stornoabzug erstattete der Versicherer d. VN.

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung d. VN teilweise stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Versicherer auch insoweit Klageabweisung.

II. Das Berufungsgericht hat d. VN einen Bereicherungsanspruch auf Erstattung der von ihm geleisteten Prämien abzüglich des darauf entfallenden Risikoanteils und der Abschlusscourtage und auf die vom Versicherer gezogenen Nutzungen zuerkannt. In Abzug gebracht hat es das gewährte Policendarlehen, den ausgekehrten Rückkaufswert und den nachregulierten Stornoabzug nebst Zinsen.

Es hat die Widerspruchserklärung des Klägers als rechtzeitig angesehen. Die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. sei nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Die im Versicherungsschein enthaltene Widerspruchsbelehrung sei inhaltlich fehlerhaft, weil der zwingend notwendige Hinweis darauf fehle, dass der Widerspruch in Textform zu erheben sei. Dieser Hinweis sei nicht deshalb entbehrlich, weil in der Belehrung von der "Absendung" des Widerspruchs die Rede sei. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., der ein Erlöschen des Widerspruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie vorgesehen habe, sei auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar.

D. VN habe das Widerspruchsrecht nicht verwirkt und mit der Erklärung des Widerspruchs im Jahr 2010 nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Allein die langjährige Vertragsdurchführung mit der Inanspruchnahme eines Policendarlehens reiche für eine Verwirkung nicht. Dem stehe entgegen, dass der Versicherer es versäumt habe, d. VN ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht zu belehren. Daran ändere auch nichts, dass d. VN sich den Versicherungsvertrag als Versicherungsmakler selbst vermittelt habe. D. VN habe bei seiner Anhörung angegeben, ihm sei zwar bei Vertragsabschluss grundsätzlich bekannt gewesen, dass es ein Widerspruchsrecht von 14 Tagen gebe, bei den Schulungen, an denen er teilgenommen habe, sei aber das Vertragswerk nicht angesprochen worden. Er könne deshalb nicht mehr genau sagen, ob er damals gewusst habe, wann die Frist von 14 Tagen beginne. Könne danach nicht davon ausgegangen werden, dass d. VN konkrete Kenntnis insbesondere vom Formerfordernis des Widerspruchs gehabt habe, könne ihm nicht entgegengehalten werden, er sei als Versicherungsmakler in Bezug auf die geschuldete ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung weniger schutzwürdig.

III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO ).

1. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil bislang nicht in allen Einzelheiten geklärt sei, wie die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages nach wirksamem Widerspruch erfolge. Der Senat hat zwischenzeitlich die - auch hier relevanten - Einzelheiten der Rückabwicklung in den Senatsurteilen vom 29. Juli 2015 ( IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 ( IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 32 ff.) geklärt. Weitere klärungsbedürftige Punkte, die im Streitfall von Bedeutung sein könnten, sind nicht ersichtlich, zumal der Versicherer mit der Revision die Berechnung des Bereicherungsanspruchs nicht angreift.

2. Die Revision hat keinen Erfolg.

a) Sie ist zulässig, insbesondere gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft. Dieses hat die Revision entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht nur beschränkt auf die Höhe der gegen den Versicherer bestehenden Zahlungsansprüche des Klägers zugelassen. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Anspruchshöhe lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Ausweislich seines Tenors wurde die Revision zugelassen, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, was ihre Verurteilung dem Grunde nach mitumfasst. Eine eindeutige Zulassungsbeschränkung auf die Frage der Anspruchshöhe ist auch den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.

b) Die Revision ist unbegründet.

aa) Das Berufungsgericht hat d. VN mit aus Rechtsgründen nicht zu beanstandender Begründung bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung der Prämien und auf Erstattung von gezogenen Nutzungen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB zuerkannt.

(1) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

(a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht.

(aa) Die Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits inso fern inhaltlich fehlerhaft, als sie keinen Hinweis darauf enthält, dass der Widerspruch in Textform zu erheben war. Die notwendige Belehrung über das gesetzliche Formerfordernis erfolgte nicht dadurch, dass d . VN weiterhin mitgeteilt wurde, zur Fristwahrung genüge die rechtzeitige "Absendung" der Widerspruchserklärung (Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 26; vom 17. Juni 2015 - IV ZR 426/13, [...] Rn. 12).

(bb) Anders als die Revision meint, war eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht hier nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil sich d. VN als Versicherungsmakler den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag selbst vermittelt hatte. Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung war nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gesetzlich vorgeschrieben. Darauf, ob d. VN im Einzelfall trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung von seinem Widerspruchsrecht gleichwohl zutreffend Kenntnis hatte, kommt es nicht an. Die Frage der Ordnungsm äßigkeit der Belehrung ist abstrakt zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 27. Januar 2015 - IV ZR 130/15 Rn. 15, zur Veröffentlichung in [...] vorgesehen; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - I ZR 73/91, BGHZ 121, 52 , 57; vgl. auch Senatsurteil vom 15. Juli 2015 - IV ZR 386/13, [...] Rn. 12 zur "Monatsfrist").

(b) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Berufungsgericht nicht als unstreitig zugrunde legen, dass d. VN die Modalitäten der Ausübung des Widerspruchsrechts bei Abschluss des Versicherungsvertrages bekannt waren. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, d. VN habe "die ihm bekannte Widerspruchsfrist" bei Vertragsschluss im Jahr 2004 verstreichen lassen, hat es nicht, wie die Revision meint, mit bindender Wirkung tatbestandlich festgestellt, dass d. VN wusste, wann die Widerspruchsfrist begann und wann sie ablief. Dazu genügt nicht die Vermutung des Landgerichts, da d. VN sich den Vertrag selbst vermittelt habe, sei davon auszugehen, dass ihm auch die Tatsache eines 14 -tägigen Widerspruchsrechts bekannt gewesen sei.

Auch ein bindendes Geständnis d. VN lag entgegen der Auffassung der Revision nicht vor. Soweit d. VN in der Berufungsbegründung vorgetragen hat, dass er als Versicherungsmakler sein Recht zum Widerspruch bei Abschluss des Versicherungsvertrages gekannt habe, und sich der Versicherer dieses Vorbringen zu eigen gemacht hat, ergibt sich daraus nicht, dass d. VN auch eingeräumt hat, die Voraussetzungen für den Beginn der Widerspruchsfrist und die Modalitäten des Widerspruchs, insbesondere das Formerfordernis, gekannt zu haben. Daher kommt es nicht darauf an, ob d. VN ein - von der Revision angenommenes - Geständnis in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht widerrufen hat. Jedenfalls hat er, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, bei seiner Anhörung angegeben, ihm sei bei Vertragsschluss grundsätzlich bekannt gewesen, dass es ein Widerspruchsrecht von 14 Tagen gebe, er könne aber nicht mehr genau sagen, ob er damals gewusst habe, wann die Frist von 14 Tagen beginne. Ein Bestreiten der Kenntnis dieses Details war d. VN nicht verwehrt, da er eine solche Kenntnis zuvor nicht zugestanden hatte. Sein Kenntnisdefizit wurde auch nicht durch die Belehrung ausgeglichen.

(2) Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

(a) Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grund sätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

(b) Entgegen der Ansicht der Revision hat d. VN das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer schon deshalb n icht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.).

Ob - wie die Revision meint - der Verwirkungseinwand möglich ist, wenn eine Widerspruchsbelehrung nur marginale Fehler aufweist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Der genannte Belehrungsmangel - der fehlende Hinweis auf die Textform - ist nicht belanglos, sondern betrifft einen für die Ausübung des Widerspruchsrechts wesentlichen Punkt (Senatsurteil vom 24. Februar 2015 - IV ZR 126/15, [...] Rn. 23 m.w.N.). Wie dargelegt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass d. VN das Formerfordernis kannte. Mit Blick darauf kann der Versicherer kein Vertrauen auf den Bestand des Vertrages unter dem Gesichtspunkt des Rechtsfriedens in Anspruch nehmen.

Der Umstand, dass sich d. VN als Versicherungsmakler den Versicherungsvertrag vermittelt hatte, konnte mit Blick auf die jedenfalls unvollständige Kenntnis des VN kein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers begründen.

Auch die Inanspruchnahme eines Policendarlehens fünf Jahre nach Vertragsschluss musste das Berufungsgericht nicht als besonders gravierenden Umstand werten, der d. VN die Ausübung des Widerspruchsrechts verwehrt. Dies folgt im Streitfall schon daraus, dass es sich um eine Vorauszahlung auf die künftige Versicherungsleistung handelte, die der Versicherer entsprechend nach der Kündigung des Versicherungsvertrages mit dem Rückkaufswert verrechnet hat. Mit Rücksicht darauf, dass d. VN nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden war, ließ die Inanspruchnahme dieser Vorauszahlung keinen Schluss darauf zu, d. VN hätte auch bei Kenntnis des Widerspruchsrechts an dem Versicherungsvertrag festgehalten und werde von dem ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen.

bb) Gegen die Berechnung des Anspruchs auf Rückgewähr der Prämien und des Anspruchs auf Herausgabe der tatsächlich gezogenen Nutzungen wendet sich die Revision - zu Recht - nicht.

Vorinstanz: LG Köln, vom 21.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 26 O 177/14
Vorinstanz: OLG Köln, vom 12.06.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 25/15