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BGH - Entscheidung vom 24.02.2016

IV ZR 126/15

Normen:
VVG § 5a
BGB § 195
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt.

BGH, Urteil vom 24.02.2016 - Aktenzeichen IV ZR 126/15

DRsp Nr. 2016/4939

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages; Ordnungsgemäße Belehrung des Versicherungsnehmers durch den Versicherer

Tenor

Die Revision der Beklagtenseite gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Januar 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2.817,56 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Normenkette:

VVG § 5a; BGB § 195 ; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt.;

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier fondsgebundener Lebensversicherungen und Nutzungsersatz wegen ungerechtfertigter Bereicherung.

Diese wurden jeweils aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Oktober 2004 bzw. zum 1. November 2004 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Die d. VN übersandten Versicherungsscheine enthielten Belehrungen über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F.

Jeweils mit Schreiben vom 28. Mai 2013 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., mit Schreiben vom 25. Juni 2013 hilfsweise die Kündigung. Der Versicherer akzeptierte die Kündigungen und zahlte die Rückkaufswerte aus.

Mit der Klage hat d. VN Rückzahlung aller auf die Verträge geleisteten Beiträge (3.197,55 € bzw. 3.123,65 €) nebst Nutzungszinsen abzüglich der bereits gezahlten Rückkaufswerte verlangt.

Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 2.817,56 € nebst Zinsen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Versicherer auch insoweit Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat d. VN einen Anspruch auf Erstattung der von ihr auf die Versicherungsverträge geleisteten Prämien abzüglich der auf den Risikoschutz entfallenden Prämienanteile und auf die von dem Versicherer gezogenen Nutzungen zuerkannt und die Rückkaufswerte in Abzug gebracht. D. VN habe den Vertragsschlüssen noch widersprechen können. Die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. sei nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Die in den Versicherungsscheinen enthaltenen Widerspruchsbelehrungen seien inhaltlich fehlerhaft, weil der notwendige Hinweis darauf fehle, dass der Widerspruch in Textform zu erheben sei. Dieser Hinweis sei nicht deshalb entbehrlich, weil von der "Absendung" des Widerspruchs die Rede sei.

§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., der ein Erlöschen des Widerspruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie vorgesehen habe, sei auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar.

D. VN habe das Widerspruchsrecht nicht verwirkt und mit der Erklärung des Widerspruchs im Jahr 2013 nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, da die Beklagte es versäumt habe, d. VN ordnungsgemäß zu belehren.

D. VN könne somit aus ungerechtfertigter Bereicherung die gezahlten Versicherungsprämien zurückverlangen. Dabei müsse sie sich den darauf entfallenden reinen Risikoanteil für die Lebensversicherungen einschließlich der Todesfall-Zusatzversicherungen anrechnen lassen, um den während der Zeit der Prämienzahlung genossenen Versicherungsschutz als erlangten Vermögensvorteil auszugleichen. Es könne nicht darauf abgestellt werden, welche Kosten entstanden wären, wenn alternativ jeweils reine Risikolebensversicherungen abgeschlossen worde n wären. Die von dem Versicherer angeführten Beträge (104,42 € und 147,17 €) seien gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zugrunde zu legen. Demgegenüber komme eine Anrechnung des Prämienanteils, der auf Abschluss - und Verwaltungskosten entfallen sei, nicht in Betracht. Die Beklag te könne insoweit vor allem nicht den Einwand der Entreicherung erheben.

Nutzungen stünden d. VN nur in Höhe der von dem Versicherer angegebenen Beträge von 218,28 € bzw. 210,63 € zu, die sich aus einer positiven Fondsentwicklung ergäben. Weitergehende Nutzungen könne d. VN nicht beanspruchen. Der Anspruch beschränke sich auf die Erstattung der tatsächlich durch die Beklagte gezogenen Nutzungen. Der ihr insoweit obliegenden Darlegungs- und Beweislast habe d. VN nicht genügt.

Die Forderungen d. VN seien nicht verjährt, da sie erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts entstanden und die Verjährung rechtzeitig gehemmt worden sei.

II. Die hiergegen gerichtete Revision ist zulässig, insbesondere gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft. Dieses hat die Revision entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht nur beschränkt auf die Höhe der gegen die Beklagte bestehenden Zahlungsansprüche d. VN zugelassen. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Anspruchshöhe lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Ausweislich seines Tenors wurde die Revision zugelassen, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, was ihre Verurteilung dem Grunde nach mitumfasst. Eine eindeutige Zulassungsbeschränkung auf die Frage der Anspruchshöhe ist auch den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Zulassung damit begründet, dass die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, dem wirksam widersprochen worden sei, bislang in den Einzelheiten nicht geklärt sei.

III. Die Revision ist unbegründet.

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht d. VN Bereicherungsansprüche zuerkannt.

Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Sie sind infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - jeweils rechtzeitig.

a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die in den Versicherungsscheinen enthaltenen Widerspruchsbelehrungen sind bereits insofern inhaltlich fehlerhaft, als sie keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Widerspruch in Textform zu erheben war (Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 26 m.w.N.).

Ob - wie die Revision in Betracht zieht - eine Belehrung ausreichend ist, die d. VN weitergehend die Möglichkeit eines Widerspruchs auch in mündlicher Form einräumt, kann hier dahinstehen. Aus den in Rede stehenden Belehrungen lässt sich nicht entnehmen, dass auch ein mündlicher Widerspruch genügen sollte.

b) Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

aa) Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grund sätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat d. VN das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.).

Ob - wie die Revision meint - der Verwirkungseinwand möglich ist, wenn eine Widerspruchsbelehrung nur marginale Fehler aufweist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Der genannte Belehrungsmangel - der fehlende Hinweis auf die Textform - ist nicht belanglos, sondern betrifft einen für die Ausübung des Widerspruchsrechts wesentlichen Punkt (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 32; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 30).

2. Aus der Erklärung des Widerspruchs folgende bereicherungsrechtliche Ansprüche waren, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, bei Klageerhebung im Jahr 2013 nicht verjährt. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB konnte erst mit Schluss des Jahres 2013 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).

3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zum Widerspruch des Vertrages faktisch genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

a) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler die von dem Versicherer bezifferten Risikoanteile der streitgegenständlichen Lebensversicherungen zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung der Revision könne nicht Prämien in Ansatz gebracht werden, die d. VN hätte zahlen müssen, wenn sie selbständige Risikolebensversicherungen abgeschlossen hätte. Es geht um die rückwirkende Abwicklung der zwischen den Parteien abgeschlossenen Verträge, aufgrund derer d. VN bis zum Widerspruch zeitweilig Versicherungsschutz genossen hatte. Dafür sind die tatsächlich vom Versicherer kalkulierten Risikoanteile anzusetzen, nicht Prämien für den hypothetischen Fall, dass d. VN alternativ reine Risikolebensversicherungen abgeschlossen hätte.

b) Hinsichtlich der Abschluss- und Verwaltungskosten kann sich der Versicherer - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat auch nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Die Verwaltungskosten sind bereits deshalb nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie nicht adäquat -kausal durch die Prämienzahlungen entstanden, sondern unabhängig von dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag angefallen und beglichen worden sind. Auch die Verwendung der Verwaltungskostenanteile der gezahlten Prämien für die Bestreitung von Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb wirkt nicht bereicherungsreduzierend, da der Versicherer auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat (Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 42; IV ZR 448/14 Rn. 47).

Hinsichtlich der Abschlusskosten ist das Entreicherungsrisiko nach den maßgeblichen Wertungsgesichtspunkten der Beklagten zugewiesen. Der mit der richtlinienkonformen Auslegung bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers gebietet es, dass der Versicherer in Fällen des wirksamen Widerspruchs das Entreicherungsrisiko hinsichtlich der Abschlusskosten trägt (Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 43; IV ZR 448/14 aaO Rn. 48).

Verkündet am: 24. Februar 2016

Vorinstanz: LG Köln, vom 16.06.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 26 O 513/13
Vorinstanz: OLG Köln, vom 16.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 124/14