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BGH - Entscheidung vom 07.07.2015

X ZR 64/13

Normen:
PatG § 119 Abs. 3, Abs. 5
PatG § 119 Abs. 2
PatG § 119 Abs. 3
PatG § 119 Abs. 5

Fundstellen:
CR 2015, 716
GRUR 2015, 1095
GRUR 2015, 6
MDR 2015, 1320

BGH, Urteil vom 07.07.2015 - Aktenzeichen X ZR 64/13

DRsp Nr. 2015/16248

Zurückweisung einer Sache an das Patentgericht im Falle der Aufhebung des patentgerichtlichen Urteils durch den Bundesgerichtshof; Fehlen der Erstbewertung des Standes der Technik unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit

Im Patentnichtigkeitsverfahren ist die Sache im Falle der Aufhebung des patentgerichtlichen Urteils durch den Bundesgerichtshof regelmäßig zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen, wenn dieses eine Erstbewertung des Standes der Technik unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit noch nicht vorgenommen hat.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. März 2013 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

PatG § 119 Abs. 2 ; PatG § 119 Abs. 3 ; PatG § 119 Abs. 5 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 10. September 1987 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und vor Klageerhebung durch Zeitablauf erloschenen europäischen Patents 260 748 (Streitpatents). Es nimmt Prioritäten vom 13. September 1986, 8. November 1986 und 23. Mai 1987 in Anspruch und umfasst 17 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:

"Verfahren zur Bitratenreduktion bei der Codierung eines Signals mit einer Folge von Signalwerten, das einen am häufigsten, in ununterbrochenen Teilfolgen vorkommenden, bestimmten Signalwert (A) enthält und aus denen eine Folge von Huffman-Codeworten gebildet wird, dadurch gekennzeichnet,

dass wenigstens ein Huffman-Codewort

- entweder aus einem anderen Signalwert und aus einer nachfolgenden, ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist,

- oder aus einem anderen Signalwert und aus einer vorangehenden, ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist,

gebildet wird und

dass bei der Bildung der Folge der Codeworte nur die vorangehenden oder nur die nachfolgenden Teilfolgen des bestimmten Signalwertes (A) mit dem anderen Signalwert verwendet werden."

Die Klägerinnen, die sich Ansprüchen aus dem Streitpatent ausgesetzt sehen, machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei darüber hinaus nicht patentfähig.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung von neun Hilfsanträgen. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht zur Prüfung der Patentfähigkeit.

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Bitratenreduktion für die Codierung von Bild- oder Videodaten.

1. Nach dem im Streitpatent referierten Stand der Technik werden Videosignale so codiert, dass Videobilder mit möglichst geringer Bitrate in ausreichender Qualität übertragen werden können. Die Codierung erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden gleichgroße Blöcke von Abtastwerten der Bildpunkte einer diskreten Cosinus-Transformation unterworfen, so dass ein neuer Block von Zahlenwerten (Koeffizienten) entsteht. In diesem Block hat in der Regel der überwiegende Teil der Koeffizienten den Wert 0 oder nahezu 0. Wegen dieser Häufigkeit des Werts 0 werden die Koeffizienten Huffman-codiert und dabei ununterbrochene Teilfolgen des Werts 0 als ein einziges "Ereignis" für die Bildung von Huffman-Codeworten verwendet. Bei der Huffman-Codierung werden häufig auftretende Ereignisse mit kurzen und weniger häufig auftretende Ereignisse mit längeren Codeworten codiert. Unter den Codeworten ist keines der Beginn eines anderen, so dass es trotz unterschiedlicher Länge keines Präfixes bedarf, das den Beginn eines neuen Codeworts signalisierte. Insgesamt ergibt sich daraus eine Bitratenreduktion.

2. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Codierverfahren anzugeben, das zu einer weiteren Bitratenreduktion für Bilddaten führt.

3. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Verfahren zur Bitratenreduktion mit folgenden Merkmalen vor [in eckigen Klammern die Gliederung des Patentgerichts]:

1.

Es wird ein Signal mit einer Folge von Signalwerten codiert [1.1, 1.2 a].

2.

In dieser Folge von Signalwerten gibt es einen bestimmten Signalwert A, der am häufigsten und in ununterbrochenen Teilfolgen vorkommt [1.2 b].

3.

Aus den Signalwerten wird eine Folge von HuffmanCodeworten wie folgt gebildet [1.3]:

3.1

Es wird wenigstens ein Huffman-Codewort gebildet [1.4]

3.1.1

entweder aus einem anderen Signalwert und aus einer nachfolgenden ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist, [1.4 a]

3.1.2

oder aus einem anderen Signalwert und aus einer vorangehenden ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist. [1.4 b]

3.2

Bei der Bildung der Folge der Codeworte werden [1.5]

3.2.1

nur die vorangehenden Teilfolgen [1.5 a] oder

3.2.2

nur die nachfolgenden Teilfolgen [1.5 b]

des bestimmten Signalwertes (A) mit dem anderen Signalwert verwendet.

4. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erläuterung:

a) Die Merkmalsgruppe 3.1 hat nicht die ihr vom Patentgericht zugemessene Bedeutung.

aa) Im Zusammenhang mit der Prüfung einer unzulässigen Erweiterung hat das Patentgericht angenommen, da der am häufigsten vorkommende Signalwert A in ununterbrochenen Teilfolgen vorkomme ("vgl. Merkmal 2"), sei deren Länge zwangsläufig größer Null. Nach den Merkmalen 3.1.1 und 3.1.2 sollten jedoch nur andere Signalwerte zusammen mit vorhandenen, ununterbrochenen Teilfolgen des bestimmten Signalwerts A codiert werden. Die Merkmalsgruppe 3.1 lasse mithin offen, wie Ereignisse codiert würden, bei denen einem solchen anderen Signalwert kein Signalwert A vorausgehe beziehungsweise nachfolge. Auch den weiteren Merkmalen des Patentanspruchs 1 sei hierzu keine Definition zu entnehmen. Die Codierung von Ereignissen, bei denen die Teilfolge des Signalwerts A die Länge 0 aufweise, sei vielmehr in das Belieben des Fachmanns gestellt. Der Beschreibung sei zwar zu entnehmen, dass auch solche Ereignisse als zu codierende Ereignisse behandelt werden. Indessen habe diese Vorschrift keinen Eingang in den Patentanspruch gefunden. Aus fachmännischer Sicht erscheine es nicht abwegig, nicht alle HuffmanCodeworte gemäß der Bildungsregel der Merkmalsgruppe 3.1 zu bilden, sondern eine Teilmenge der Codeworte nach einer hiervon abweichenden Bildungsregel zu generieren.

bb) Dies rügt die Berufung zu Recht als rechtsfehlerhaft.

Der Sinngehalt eines Merkmals ist mit Blick darauf zu ermitteln, was mit dem Merkmal aus der Sicht des Fachmanns im Hinblick auf die Erfindung erreicht werden soll. Dabei können der allgemeine wie auch der übliche fachliche Sprachgebrauch Anhaltspunkte für das Verständnis des Fachmanns geben. Mit Rücksicht darauf, dass Begriffe in einer Patentbeschreibung abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch benutzt werden können, ist letztlich aber der sich aus dem Gesamtzusammenhang der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgeblich. Für einen Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch ist umso weniger Raum, je mehr der Inhalt der Patentschrift auf ein abweichendes Verständnis hindeutet. Die Beschreibung des Patents kann Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein "patenteigenes Lexikon" darstellen. Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt, schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt. Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass aus Teilen der Beschreibung keine Schlussfolgerungen in Bezug auf den geschützten Gegenstand gezogen werden dürfen (BGH, Urteile vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13, juris Rn. 16 - Rotorelemente; vom 9. Juni 2015 - X ZR 101/13, juris Rn. 26 - Polymerschaum II, jeweils mwN).

Das Streitpatent erzielt die angestrebte weitere Bitratenreduktion dadurch, dass als zu codierendes Ereignis nicht die ununterbrochene Folge von Signalwerten A (im Folgenden auch: Signalwerten 0, denn dies ist der häufigste Fall, Sp. 3 Z. 33 bis 36), sondern diese Folge und zusätzlich der nachfolgende (alternativ der vorangehende, wobei diese Alternative im Folgenden zur Vereinfachung außer Betracht bleibt) andere Signalwert behandelt werden. Denn hierfür ergeben sich andere, der Bitratenreduktion günstige Wahrscheinlichkeiten (Sp. 4 Z. 30 bis 43).

Die Beschreibung fasst dies, bevor sie auf Einzelheiten des Ausführungsbeispiels eingeht, dahin zusammen, dass das Auftreten einer ununterbrochenen Teilfolge von Nullen und des sich dieser Teilfolge anschließenden Koeffizienten als ein zu codierendes Ereignis angesehen werde, wie der erfindungsgemäßen Lehre zu entnehmen sei. Unmittelbar im Anschluss hieran fügt sie hinzu, wichtig sei, dass auch das Auftreten keiner Null vor einem von Null verschiedenen Koeffizienten - also das Auftreten einer Teilfolge der Länge 0 - als zu codierendes Ereignis behandelt werde (Sp. 3 Z. 37 bis 45). So verfährt auch das Ausführungsbeispiel; das häufigste Ereignis in der Tabelle der Figur 3, das demgemäß das kürzeste Codewort erhält, wird durch eine Teilfolge der Länge 0 und den Koeffizienten 1 gebildet.

Eine Lesart des Merkmals 3.1, wonach - entsprechend den Ausführungen des Patentgerichts - eine Behandlung von Koeffizienten mit einer vorangehenden Teilfolge der Länge 0 im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden habe, vernachlässigt, dass es bei der Merkmalsgruppe 3 nicht nur darum geht, wie (mindestens) ein Codewort gebildet wird, sondern wie die "Folge von Huffman-Codeworten" gebildet wird (Merkmal 3 ["Oberbegriff"]). Dies wird durch Merkmal 3.2 weiter verdeutlicht, nach dem bei der Bildung der Folge der Codeworte nur die vorangehenden Teilfolgen des Signalwerts 0 mit dem anderen Signalwert verwendet werden. Demnach ist es nicht nur "wichtig", wie die Beschreibung hervorhebt, sondern unumgänglich, dass auch der Fall berücksichtigt wird, in dem die Teilfolge die Länge 0 hat. Die Formulierung "wenn diese vorhanden ist" in Merkmal 3.1.2 besagt somit nur, dass in das Codewort der Wert des "anderen" Signalwerts und die Länge > 0 der ununterbrochenen Teilfolge mit Nullwerten eingeht und lediglich der Wert des "anderen" Signalwerts, wenn keine solche Folge vorausgeht. Dies bedeutet zugleich, dass das Codewort in diesem Fall für den "anderen" Signalwert steht, dem keine Teilfolge mit Nullwerten (oder eine solche mit der Länge 0) vorangeht.

Dabei handelt es sich nicht um eine Spezialität des Ausführungsbeispiels, sondern um ein generelles Problem, für das an dieser Stelle der Beschreibung die erfindungsgemäße Lösung gezeigt wird. Diese Lösung betrifft deshalb den Patentanspruch insgesamt und ist für seine Auslegung mit zu berücksichtigen.

Die Vorgabe, mindestens ein Huffman-Codewort nach dieser Vorschrift zu bilden, erklärt sich daraus, dass nach Patentanspruch 2 dem HuffmanCodewort ein Zusatzcodewort angehängt werden kann, wenn die Teilfolge eine vorgegebene Länge oder der zugeordnete andere Signalwert einen vorgegebenen Betrag überschreitet, und es nach Patentanspruch 3 möglich ist, eine Wertefolge in Abschnitte zu zerlegen und jedem Abschnitt ein Huffman-Codewort zuzuordnen.

b) In der Merkmalsgruppe 3.2 stehen die Merkmale 3.2.1 und 3.2.2 in einer Entweder-oder-Beziehung zueinander. Das Wort "nur" jeweils zu Beginn der Merkmale bringt zum Ausdruck, dass in einem Verfahren nur das eine Merkmal oder nur das andere Merkmal zur Anwendung kommt, mithin nicht beide Varianten gemeinsam zur Anwendung kommen können.

c) Als ein Verfahren zur Bitratenreduktion ist der Gegenstand des Streitpatents auf digitale Werte beschränkt. Bitfolgen oder -ströme, die reduziert werden könnten, setzten digitale Daten voraus.

d) Merkmal 1 ist dahin zu verstehen, dass jeder Wert in einem Signal ein Signalwert ist. Welche inhaltliche Bedeutung diesem Wert zukommt, ist irrelevant.

II. Das Patentgericht hat angenommen, das Streitpatent gehe in der erteilten und allen weiteren verteidigten Fassungen über den Inhalt der Anmeldung hinaus.

1. Den ursprünglichen Unterlagen sei die Merkmalsgruppe 3.1 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Der Fall einer Teilfolge der Länge 0 sei dort - anders als in Patentanspruch 1 - nicht offen gelassen, vielmehr definiert geregelt, und es sei als wichtig hervorgehoben worden, dass auch eine ununterbrochene Teilfolge mit der Länge 0 zusammen mit einem davor oder dahinter liegenden, vom Signalwert (A) verschiedenen Koeffizienten als ein zu codierendes Ereignis behandelt werde.

2. Weiterhin sei die Merkmalsgruppe 3.2 den ursprünglichen Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Sie bestimme, dass für die Bildung der Huffman-Codeworte nur eine der beiden Varianten nach Merkmal 3.1 verwendet werden könne und daran für das komplette zu codierende Signal festgehalten werden müsse. Die ursprünglichen Unterlagen ließen hingegen beide Varianten nebeneinander zu. In dem für die Anmeldung formulierten Patentanspruch 1 sei am Ende lediglich formuliert worden:

"... dass jeder ununterbrochenen Teilfolge von Signalwerten A mit der Länge 0, 1, 2 usw. zusammen mit dem sich der Teilfolge anschließenden Signalwert oder zusammen mit dem der Teilfolge vorangehenden Signalwert ein Huffman-Codewort zugeordnet wird."

Die mit der Merkmalsgruppe 3.2 festgeschriebene Exklusivität der Verwendung von stets nur einer der beiden Varianten finde in diesen ursprünglichen Unterlagen weder eine wortgetreue noch eine sinngemäße Stütze. Für die ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele sei zwar nur eine solche exklusive Verwendung einer der beiden Varianten gezeigt worden. Gleichwohl sei dem Fachmann bewusst, dass er die Mannigfaltigkeit der zu codierenden Ereignisse auf die Menge der vorangehenden und der nachfolgenden Teilfolgen zusammen mit jeweils einem anderen Signalwert erweitern und die statistischen Signifikanzen dieser größeren Mannigfaltigkeit für die Bildung der HuffmanCodeworte heranziehen könne. Die ursprünglich offenbarten Beispiele würden das Verständnis des Fachmanns in keiner Weise beschränken.

III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

1. Patentanspruch 1 geht mit der Fassung der Merkmalsgruppe 3.1 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus. Die Auslegung ergibt, wie ausgeführt, dass auch von einem anderen Signalwert, dem keine Teilfolge des Signalwerts (A) vorangeht beziehungsweise nachfolgt, stets einzeln ein Huffman-Codewort zu bilden ist. Dies entspricht der erfindungsgemäßen Lehre, wie sie schon in der Patentanmeldung beschrieben wurde.

2. Patentanspruch 1 geht auch nicht mit der Merkmalsgruppe 3.2 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.

Das Ausführungsbeispiel in der Anmeldung des Streitpatents (Anl. K4) zeigt - wie das Patentgericht zutreffend feststellt - ausschließlich eine Codierung, bei der ununterbrochene Teilfolgen des Signalwerts 0 mit der Länge 0, 1, 2 ... zusammen mit sich daran anschließenden, also nachfolgenden anderen Signalwerten als ein Ereignis für die Bildung von Huffman-Codeworten zusammengefasst werden (K4, Sp. 3 Z. 15 bis 20). Dieses Ausführungsbeispiel offenbart damit das Merkmal 3.2.1 in Bezug auf eine Codierung gemäß Merkmal 3.1.2.

Eine Mischung der Codierung, bei der für einen Teil der anderen Signalwerte eine Kombination mit vorangehenden Teilfolgen und für den restlichen Teil eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) vorgenommen wird, wird in der Anmeldung nicht erörtert.

Der in der Anmeldung formulierte Patentanspruch 1 offenbarte mit seinem kennzeichnenden Teil dem Fachmann eindeutig und unmittelbar, dass nicht nur eine Kombination des anderen Signalwerts mit vorangehenden Teilfolgen, sondern auch eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) für die Bildung der Huffman-Codeworte als Ereignis zugrunde gelegt werden kann. Das Verfahren für eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) ist in der Anmeldung nicht anhand eines konkreten Ausführungsbeispiels erläutert. Die Alternative am Ende des in der Anmeldung formulierten Patentanspruchs 1, eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) vorzunehmen, war für den Fachmann somit dahin zu verstehen, hierfür ebenso vorzugehen wie in dem beschriebenen Verfahren für eine Kombination mit vorangehenden Teilfolgen mit der einzigen Abweichung, für diese Kombination die Reihenfolge der ununterbrochenen Teilfolge des Signalwerts (A) und des daran angrenzenden anderen Signalwerts zu vertauschen. Dieses sich aus dem in der Anmeldung formulierten Patentanspruch ergebende Verständnis bedurfte keiner weiteren Erläuterung durch ein weiteres Ausführungsbeispiel, sondern erschloss sich aus der Formulierung des Patentanspruchs in der Anmeldung unmittelbar.

Ob der Fachmann darüber hinaus der Angabe im beantragten Patentanspruch auch entnahm, beide Varianten mischen zu können, also HuffmanCodeworte zu bilden, denen sowohl Kombinationen anderer Signalwerte mit vorangehenden Teilfolgen als auch Kombinationen mit nachfolgenden Teilfolgen der Signalwerte (A) zugrunde liegen, und beides in einem Signalpaket zuverlässig decodierbar vereinen zu können, kann offen bleiben. Ein solches Verfahren wäre eine zusätzliche Variante, die die Beklagte im Prüfungsverfahren sodann nicht weiterverfolgte, indem sie sich mit der Merkmalsgruppe 3.2 auf eine ausschließliche Verwendung eine der beiden Alternativen ohne Mischformen beschränkte. Da diese beiden Alternativen als zur Erfindung gehörend in der Anmeldung offenbart waren, begründet eine solche Beschränkung keine unzulässige Erweiterung.

IV. Das Urteil des Patentgerichts ist auch nicht deshalb im Ergebnis zutreffend, weil Patentanspruch 1 in anderer Hinsicht eine unzulässige Erweiterung enthielte.

Merkmal 1 führt nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, indem das zu codierende Signal lediglich eine Folge von Signalwerten umfassen und nicht ausschließlich aus solchen Werten bestehen müsste.

In dem in der Anmeldung formulierten Patentanspruch 1 wird dieses Merkmal zwar dahin beschrieben, dass das Signal "aus einer Folge von digital dargestellten Signalwerten besteht".

Soweit darin die Signalwerte mit dem Adjektiv "digital" beschrieben werden, ist dies unschädlich. Auch wenn dieses Wort im erteilten Patentanspruch nicht vorkommt, ist das Verfahren aufgrund seiner Funktion zur Bitdatenreduktion auf digital dargestellte Werte beschränkt.

Soweit die Formulierung des Patentanspruchs 1 in der Anmeldung mit den Worten "besteht aus" eine abschließende Aufzählung beschreibt (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 37 - Reifenabdichtmittel; vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13, juris - Verdickerpolymer), ergibt sich daraus keine Diskrepanz zu Merkmal 1 von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung. Auch in der erteilten Fassung ist dieses Merkmal dahin zu verstehen, dass jeder Wert in einem Signal einen Signalwert darstellt.

V. Da das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht befasst hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG ).

Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den Bundesgerichtshof überprüft wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG ) ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unterblieben ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 60-62 - Polymerschaum I). Dafür, dass im Streitfall etwas anderes gälte, ist nichts erkennbar und wird auch von den Parteien nichts geltend gemacht.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 7. Juli 2015

Vorinstanz: BPatG, vom 12.03.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 5 Ni 58/11 (EP)
Fundstellen
CR 2015, 716
GRUR 2015, 1095
GRUR 2015, 6
MDR 2015, 1320