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BGH - Entscheidung vom 17.08.2015

IV ZR 83/13

Normen:
VVG a.F. § 5a Abs. 1 S. 1
VVG a.F. § 5a Abs. 2 S. 1

BGH, Beschluss vom 17.08.2015 - Aktenzeichen IV ZR 83/13

DRsp Nr. 2016/3304

Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung; Stützung einer Revision auf die Europarechtswidrigkeit eines Policenmodells; Ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht; Zustandekommen eines Versicherungsvertrages

1. Es ist geklärt, dass der Begriff der "Textform" in einer Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. nicht erläuterungsbedürftig und ein - wie hier - zur Erläuterung hinzugefügter Klammerzusatz "schriftlich oder in anderer lesbarer Form" nicht irreführend ist. 2. Haben jahrelange Prämienzahlungen eines bereits bei Vertragsschluss über die Möglichkeit, den Lebensversicherungsvertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten Versicherungsnehmers bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet und war diese vertrauensbegründende Wirkung für den Versicherungsnehmer auch erkennbar, ist es ihm nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Auf eine etwaige Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells kommt es dann nicht an.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 6. Februar 2013 gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf ihre Kosten zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Normenkette:

VVG a.F. § 5a Abs. 1 S. 1; VVG a.F. § 5a Abs. 2 S. 1;

Gründe

I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2006 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein, der eine drucktechnisch deutlich gestaltete Belehrung über das Widerspruchsrecht enthielt, die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes ( VAG ).

D. VN zahlte von Dezember 2006 bis März 2010 Prämien in Höhe von insgesamt 4.800 €. Im März 2010 kündigte d. VN den Vertrag; der Versicherer zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 2.107,82 €.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Die Widerspruchsbelehrung sei inhaltlich fehlerhaft, so dass die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Das Policenmodell sei mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

II. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Die Widerspruchsbelehrung sei drucktechnisch deutlich hervorgehoben und genüge auch inhaltlich den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. D. VN sei insbesondere über die erforderliche Form des Widerspruchs belehrt worden, indem darauf hingewiesen worden sei, dass der Widerspruch "in Textform (schriftlich oder in anderer lesbarer Form)" zu erfolgen habe. Der Versicherungsvertrag sei daher 30 Tage nach Übersendung des Versicherungsscheins und der weiteren Unterlagen wirksam zustande gekommen. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO ).

1. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe.

a) Diese ist nicht gegeben, soweit es um den Inhalt der Widerspruchsbelehrung geht. Die Revision beanstandet ohne Erfolg, der Begriff der "Textform" in der Widerspruchsbelehrung sei erläuterungsbedürftig. Mit Urteil vom 10. Juni 2015 ( IV ZR 105/13, VersR 2015, 876 Rn. 11) hat der Senat entschieden, dass der Begriff der "Textform" in einer Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. nicht erläuterungsbedürftig und ein - wie hier - zur Erläuterung hinzugefügter Klammerzusatz "schriftlich oder in anderer lesbarer Form" nicht irreführend ist. Wegen der Einzelheiten wird auf dieses Urteil verwiesen. Damit ist diese entscheidungserhebliche Frage geklärt.

b) Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht aus der Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Ob nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist ließ sie bei Vertragsschluss 2006 ungenutzt verstreichen. D. VN zahlte über mehrere Jahre die Versicherungsprämien, kündigte dann den Vertrag und ließ sich den Rückkaufswert auszahlen. Erst mehr als sechs Monate nach der Kündigung erklärte sie den Widerspruch. Die jahrelangen Prämienzahlungen der bereits im November 2006 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.

2. Aus den dargelegten Gründen hält das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.

Vorinstanz: AG Stuttgart-Canstatt, vom 17.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 8 C 2961/11
Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 06.02.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 4 S 151/12