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BGH - Entscheidung vom 24.03.2015

5 StR 6/15

Normen:
StGB § 213 2. Alt.
StGB § 213 Alt. 2

BGH, Urteil vom 24.03.2015 - Aktenzeichen 5 StR 6/15

DRsp Nr. 2015/6868

Rechtsfehlerhafte Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts.2. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgerichts eingeräumten Spielraums liegt.3. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen.4. Das gilt auch insoweit, als die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. September 2014 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 213 2. Alt.; StGB § 213 Alt. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht insbesondere geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen. Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der zur Tatzeit 24-jährige Angeklagte und das spätere Tatopfer K. waren seit gemeinsamer Grundschulzeit miteinander befreundet. Beide trafen sich am Abend des 18. März 2014 mit dem gemeinsamen Bekannten T. , um dessen Geburtstag mit ihm und seinem Freund, dem Zeugen Y. , zu feiern. Zu ihnen stießen auch eine Bekannte des K. und deren Freundin. Die Gruppe, die zuvor andernorts Getränke zu sich genommen hatte, begab sich gegen Mitternacht in die Wohnung K. s, um dort gemeinsam weiter zu feiern. Nachdem sich die jungen Frauen von Anzüglichkeiten K. s und T. s, die beide angetrunken waren, belästigt gefühlt hatten und T. die Party zu langweilig geworden war, forderte K. alle zum Gehen auf; er hatte sich geärgert, dass der Angeklagte sich mit seiner Bekannten in die Küche zurückgezogen hatte. K. , T. und Y. stiegen in ein Auto und fuhren grußlos davon. Der Angeklagte und die beiden jungen Frauen waren empört und enttäuscht darüber, auf der Straße stehen gelassen worden zu sein. Sie riefen K. an, um ihn zur Rede zu stellen. In der unter wechselseitigem Gebrauch vulgärer Ausdrücke und Beleidigungen zunehmend erregter geführten Unterhaltung warf K. dem Angeklagten vor, den Abend kaputt gemacht und ihm und T. die Frauen ausgespannt zu haben. Der Angeklagte forderte K. schließlich auf, ihm in Zukunft grußlos zu begegnen; auch er werde ihn nicht mehr grüßen, wenn man sich zufällig über den Weg laufe. Anschließend ging der Angeklagte, der noch im elterlichen Haushalt lebte, nach Hause.

Gegen 3:00 Uhr waren K. , T. und Y. zu der Straße gefahren, in der außer dem Angeklagten auch T. wohnte. Nachdem K. mehrfach vergeblich versucht hatte, bei dem Angeklagten anzurufen, der das Gespräch jedoch nicht annahm, kam es zu einem Telefonat zwischen beiden, bei dem K. ankündigte, dass sie bald bei dem Angeklagten vor der Tür wären. Er forderte den Angeklagten auf, herunter zu kommen, damit man die Sache klären könne. Der Angeklagte schlug daraufhin vor, später auf seiner Arbeitsstelle miteinander zu reden. K. erwiderte sinngemäß, dass der Angeklagte feige sei, wenn er nicht herunter käme (UA S. 6, 16), und äußerte: "Wir ficken dich". Außerdem bezeichnete er den Angeklagten und dessen Familie als ehrlos und warf ihm vor, nicht einmal auf seine Schwester aufpassen zu können. Als der mit maximal 1,27 ‰ alkoholisierte Angeklagte mitbekam, dass K. und seine beiden Begleiter vor der Haustür angelangt waren, entschied er sich, hinunter zu gehen und zog sich wieder an. Um sie einzuschüchtern und von Angriffen abzuhalten, nahm er spontan ein Küchenmesser mit. Als der Angeklagte mit dem Messer in der Hand aus dem Haus trat, hatten sich K. , T. und Y. halbkreisförmig in geringer Entfernung von einem halben Meter bis zu zwei Metern um die Haustür herum formiert (UA S. 6, 17). Als K. sich zu ihm hindrehte, stach der Angeklagte ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz wuchtig in die Brust und traf ihn ins Herz. Mit dem Ausruf "Ihr sollt richtig mit mir reden" ging er wieder zurück ins Haus. K. verblutete an der Stichverletzung noch am Tatort.

b) Die Schwurgerichtskammer hat einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung hat sie strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bislang unbestraft, "insofern" auch durch die lang andauernde Untersuchungshaft belastet sei. Er habe die Tat mit ernsthaftem Bedauern eingeräumt und sich in seinem letzten Wort gegenüber der Familie des Opfers entschuldigt. Auch hätten seine alkoholbedingte Enthemmung und die Umstände für ihn gesprochen, dass der Tat - wenngleich nicht den in § 213 Alt. 1 StGB bezeichneten Schweregrad erreichende - Beleidigungen und Provokationen seitens des Opfers vorausgegangen seien, er zunächst versucht habe, der Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen und die Situation, als er sich allein drei streitlustigen Männern gegenüber gesehen habe, für ihn bedrohlich und einer Notwehrsituation nahe erschienen sei.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt letztlich keinen durchgreifenden Rechtsfehler bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung auf.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgerichts eingeräumten Spielraums liegt. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345 , 349). Das gilt auch insoweit, als die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Juli 2006 - 1 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 339 , 340; vom 12. Januar 2011 - 5 StR 403/10, NStZ-RR 2011, 141 , und vom 31. Juli 2014 - 4 StR 216/14 mwN).

b) Daran gemessen ist die Entscheidung des Landgerichts revisionsrechtlich noch hinzunehmen. Die Beschwerdeführerin, die sich gegen die Wertung des Landgerichts wendet, es lägen erhebliche Strafmilderungsgründe, aber kein gewichtiger Straferschwerungsgrund vor, zeigt einen Rechtsfehler nicht auf. Dass das Landgericht eine durch den Generalbundesanwalt angesprochene "Heimtückenähe" aus dem Blick verloren haben könnte, schließt der Senat angesichts der unmittelbar zuvor erfolgten Erörterung dieses Mordmerkmals und der Bezugnahme auf das Tatbild aus. Auch hat das Landgericht entgegen den Ausführungen der Revision den als strafmildernd herangezogenen Gesichtspunkt längerer Untersuchungshaft, die zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bereits sechs Monate angedauert hatte, ausdrücklich in Bezug gesetzt zur bisherigen Unbestraftheit des Angeklagten. Damit hat es eine besondere Haftempfindlichkeit des zuvor noch nie inhaftierten Angeklagten zum Ausdruck gebracht und nicht lediglich den Vollzug von Untersuchungshaft an sich strafmildernd berücksichtigt (BGH, Urteile vom 21. Dezember 1993 - 5 StR 683/93, NStZ 1994, 198 ; vom 14. Juni 2006 - 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645 , und vom 19. Januar 2012 - 3 StR 413/11, NStZ-RR 2012, 168 , 169).

Auch die Einschätzung des Landgerichts, der Angeklagte habe zunächst versucht, der nächtlichen Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, findet entgegen dem Vorbringen der Staatsanwaltschaft in den Feststellungen ihre Bestätigung. Danach hatte der Angeklagte zunächst vorgeschlagen, die Klärung "der Sache" auf den nächsten Tag zu verschieben und an einem anderen Ort durchzuführen (UA S. 6).

Die von der Revision angegriffene Bewertung des Landgerichts, dass der Angeklagte sich bei Tatbegehung einer Situation gegenüber sah, die "für ihn bedrohlich und einer Notwehrsituation nahe schien", stellt keinen Rechtsfehler dar, der sich auf die Strafrahmenwahl oder konkrete Strafzumessung ausgewirkt haben könnte. Denn das Landgericht hat die relevanten Umstände zutreffend zugrunde gelegt (das Tatopfer hatte gegenüber dem zuvor provozierten Angeklagten seine Aufforderung, auf die Straße herunter zu kommen, mit der Ankündigung, "wir ficken dich", begleitet; der Angeklagte stand alleine drei streitlustigen jungen Männern gegenüber, die sich in kurzem Abstand halbkreisförmig und damit für den Angeklagten bedrohlich um den Hauseingang herum postiert hatten).

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Berlin, vom 17.09.2014