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BGH - Entscheidung vom 19.05.2015

X ARZ 61/15

Normen:
ZPO § 145
GVG § 17a
ZPO § 145
GVG § 17a
GVG § 17a
ZPO § 145
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6

Fundstellen:
FamRZ 2015, 1389
MDR 2015, 909
NJW 2015, 3174
NJW 2015, 8
NJW-RR 2015, 957

BGH, Beschluss vom 19.05.2015 - Aktenzeichen X ARZ 61/15

DRsp Nr. 2015/10642

Ausnahme von der bindenden Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden Vorschriften; Beschluss zur Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht eines anderen Rechtswegs unter Erklärung der Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs

a) Eine Verfahrenstrennung gemäß § 145 Abs. 1 ZPO ist nicht zulässig, wenn der Gegenstand des abgetrennten Verfahrens in einem zulässigen Eventualverhältnis zu dem im ursprünglichen Verfahren verbliebenen Gegenstand steht.b) Hat ein Gericht entgegen diesem Grundsatz eine Verfahrenstrennung ausgesprochen und das abgetrennte Verfahren an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen, ist die Verweisung dennoch wirksam, sofern sie nicht mit den in § 17a Abs. 4 GVG vorgesehenen Rechtsmitteln angegriffen wird.

Tenor

Zuständiges Gericht für den abgetrennten Teil des Klagebegehrens ist das Arbeitsgericht Berlin.

Normenkette:

GVG § 17a; ZPO § 145 ; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 ;

Gründe

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von 5.001 € nebst Zinsen aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 18. Februar 2013, mit dem zu seinen Gunsten Ansprüche des Immobilienberaters C. L. gegen die Beklagte gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurden. L. und die Beklagte hatten am 13. September 2011 einen Vertrag geschlossen, der für von L. zu erbringende Beratungsleistungen in der Zeit vom 1. August 2011 bis 31. Dezember 2013 unter anderem ein monatlich von der Beklagten zu zahlendes Honorar in Höhe von 4.000 € nebst Umsatzsteuer vorsah. Der Kläger stützt die Klage in erster Linie auf die Nettobeträge dieser Honoraransprüche für die Monate November und Dezember 2012.

Hilfsweise stützt der Kläger die Klage auf Vergütungsansprüche aus einem von der Beklagten behaupteten Arbeitsvertrag, der zwischen ihr und L. am 1. Juni 2012 geschlossen worden sei und ab diesem Datum ein monatliches Bruttogehalt von 4.240 € für die Tätigkeit von L. als Vertriebsleiter vorgesehen habe.

Das Landgericht hat die Klage durch Teilurteil abgewiesen, soweit der Kläger Ansprüche aus einem Beratervertrag geltend macht. Mit gleichzeitig verkündeten Beschluss hat es den Rechtsstreit im Übrigen zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung durch Beschluss abgetrennt und sogleich insoweit den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und die Sache an das Arbeitsgericht verwiesen. Das Arbeitsgericht hat sich durch Beschluss für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 4 f. mwN).

So liegt der Fall hier. Sowohl das Landgericht als auch das Arbeitsgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, MDR 2013, 1242 Rn. 7 mwN).

3. Zuständiges Gericht ist das Arbeitsgericht Berlin.

a) Ein Beschluss zur Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht eines anderen Rechtswegs unter Erklärung der Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Sofern das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt oder zurückgenommen worden oder erfolglos geblieben ist, wird die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs im Grundsatz gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (BGH, MDR 2013, 1242 Rn. 9). Diese Bindungswirkung entfällt - anders bei Verweisungsbeschlüssen gemäß § 281 ZPO - auch nicht ohne weiteres, wenn sich die Verweisung als objektiv willkürlich erweist (BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125 Rn. 12).

b) Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung zu verneinen ist. Diese Frage bedarf auch im vorliegenden Zusammenhang keiner Klärung.

Nach der Rechtsprechung des Senats kommt eine Ausnahme von der Bindungswirkung allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH, NJW 2014, 2125 Rn. 13). Ein solcher Verstoß liegt im Streitfall nicht vor.

aa) Allerdings war die Abtrennung des Verfahrens hinsichtlich des auf einen Arbeitsvertrag gestützten Teils des Klagebegehrens weder zweckmäßig noch zulässig.

Eine Abtrennung gemäß § 145 ZPO setzt voraus, dass die einzelnen Verfahrensteile Ansprüche betreffen, über die unabhängig voneinander entschieden werden kann. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Gegenstand des abgetrennten Verfahrens in einem zulässigen Eventualverhältnis zum Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens steht (vgl. BGH Beschluss vom 8. November 1978 - IV ARZ 73/78, NJW 1979, 426 unter II 3; für den Fall eines unzulässigen Eventualverhältnisses vgl. BGH Beschluss vom 6. Dezember 2006 - XII ZR 97/04, BGHZ 170, 152 Rn. 29). Mit der Abtrennung entstünde nämlich ein neues Verfahren, dessen Hauptantrag unter einer Bedingung steht. Eine Klage dieses Inhalts müsste als unzulässig abgewiesen werden, und zwar auch dann, wenn die Bedingung später eintritt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2006 - XII ZR 190/06, BGHZ 170, 176 Rn. 9). Eine Verfahrenstrennung mit dieser Folge ist mit § 145 ZPO nicht vereinbar.

bb) Dieser Verfahrensfehler ist aber nicht so schwerwiegend, dass er der Bindungswirkung des vom Kläger nicht angefochtenen Verweisungsbeschlusses entgegensteht.

Eine fehlerhafte Verfahrenstrennung ist zwar nicht selbständig mit Rechtsmitteln angreifbar. Als dem Endurteil vorausgegangene Entscheidung unterliegt sie aber der Nachprüfung im Verfahren über ein Rechtsmittel gegen die Endentscheidung (BGH Urteil vom 6. Juli 1995 - I ZR 20/93, NJW 1995, 3120 ). Im Streitfall hätte der Kläger mit einer sofortigen Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss des Landgerichts mithin die Rüge erheben können, dass eine Verweisung schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Verfahrenstrennung zu Unrecht erfolgt ist.

Wenn der Kläger von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch gemacht hat, besteht kein Anlass, die rechtskräftig gewordene Verweisung als unwirksam anzusehen. Dem Kläger entsteht dadurch auch dann kein unzumutbarer Nachteil, wenn er die möglichen Konsequenzen der vom Landgericht gewählten Verfahrensweise - insbesondere den Umstand, dass seine Klage vor dem Arbeitsgericht schon deshalb abzuweisen sein wird, weil sie unter einer Bedingung steht - bei der Entscheidung über die Einlegung von Rechtsmitteln nicht überblickt hat. Er kann die genannte Konsequenz vermeiden, indem er sein Begehren auch vor dem Arbeitsgericht mit einem unbedingten Klageantrag geltend macht. Eine hierin liegende Klageänderung ist schon im Hinblick auf die besondere Verfahrenssituation als sachdienlich anzusehen.

Dem beim Arbeitsgericht anhängigen Begehren steht auch nicht der Einwand der anderweitigen Rechtskraft entgegen. Selbst wenn der Streitgegenstand der beiden Verfahren identisch sein sollte, stünde die vom Kläger nicht angefochtene Entscheidung des Landgerichts der Geltendmachung und inhaltlichen Überprüfung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil das Landgericht diese vom Gegenstand seiner Entscheidung ausgenommen hat. Wird in den Entscheidungsgründen eines die Leistungsklage abweisenden Urteils ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch ausdrücklich als nicht beschieden bezeichnet, kann es dem Kläger nicht verwehrt werden, diesen Anspruch in einem weiteren Verfahren geltend zu machen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2002 - X ZR 144/00, GRUR 2002, 787 , 788).

Vorinstanz: ArbG Berlin, vom 27.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 57 Ca 1013/15
Vorinstanz: LG Berlin, vom 05.11.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 33 O 165/13
Fundstellen
FamRZ 2015, 1389
MDR 2015, 909
NJW 2015, 3174
NJW 2015, 8
NJW-RR 2015, 957