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BGH - Entscheidung vom 21.10.2015

2 StR 337/15

Normen:
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4

BGH, Beschluss vom 21.10.2015 - Aktenzeichen 2 StR 337/15

DRsp Nr. 2016/483

Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen aufgrund eines Rechtsfehlers im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung; Berücksichtigung der festgestellten "antisozialen Persönlichkeitsstörung" des Angeklagten für die Schuldfähigkeitsbeurteilung

Eine "antisoziale Persönlichkeitsstörung" kann im Zusammenwirken mit einer Abhängigkeitserkrankung dessen Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße eingeschränkt haben.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 27. April 2015 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ; StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in 22 Fällen, in 16 Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, und wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

Die Annahme voller Schuldfähigkeit begegnet rechtlichen Bedenken.

Die sachverständig beratene Strafkammer hat zwar nachvollziehbar eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei ihm allein wegen der festgestellten Abhängigkeit von psychotropen Substanzen abgelehnt. Die Ausführungen des Landgerichts halten indes rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Gericht der festgestellten "antisozialen Persönlichkeitsstörung" des Angeklagten für die Schuldfähigkeitsbeurteilung keine Bedeutung beigemessen hat. Das Landgericht hat im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht erkennbar geprüft, ob die festgestellte Persönlichkeitsstörung, die nach Überzeugung der Strafkammer für sich betrachtet noch keine erhebliche Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit herbeiführte, möglicherweise im Zusammenwirken mit der Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten dessen Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2008 - 3 StR 232/08, NStZ-RR 2008, 335 mwN). Die Behauptung der Strafkammer, "auch aus dem Zusammenspiel von Abhängigkeitserkrankung und antisozialer Persönlichkeitsstörung" ergäbe sich "keine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit", ist inhaltsleer und ersetzt eine solche Prüfung nicht.

Der Rechtsfehler im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung führt zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen; damit kann auch die Gesamtstrafe nicht bestehen bleiben. Der Schuldspruch wird hingegen von dem Rechtsfehler nicht berührt, da auszuschließen ist, dass der Angeklagte bei einer der Taten schuldunfähig war.

Vorinstanz: LG Gießen, vom 27.04.2015