Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 22.07.2015

IV ZR 398/13

Normen:
VVG § 5a Abs. 2 S. 4
VVG § 8

BGH, Urteil vom 22.07.2015 - Aktenzeichen IV ZR 398/13

DRsp Nr. 2015/14328

Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge von vier Lebensversicherungen

Tenor

Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 9. Zivilsenat - vom 29. Oktober 2013 wird als unzulässig verworfen, soweit ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bezüglich des 1993 abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages Nr. LV ... weiterverfolgt wird.

Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsurteil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 9.669,34 € festgesetzt.

Normenkette:

VVG § 5a Abs. 2 S. 4; VVG § 8 ;

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge von vier Lebensversicherungen.

Der erste dieser Verträge (Nr. LV ... ) wurde im Jahr 1993 mit Versicherungsbeginn zum 1. März 1993 abgeschlossen. Die weiteren drei Verträge - davon zwei mit Versicherungsbeginn zum 1. März 1996 und einer mit Versicherungsbeginn zum 1. März 2004 wurden jeweils aufgrund eines Antrags d. VN nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. D. VN kündigte sämtliche Verträge und erhielt die Rückkaufswerte aus den ersten drei Verträgen. Mit Schreiben vom 14. Juli 2011 erklärte d. VN den "Widerspruch gegen das Zustandekommen der Vertragsverhältnisse nach den §§ 5a und 8 VVG 1994".

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf die Verträge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Rückkaufswerte, insgesamt 9.669,34 €.

Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, soweit der Bereicherungsanspruch bezüglich des 1993 abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages weiterverfolgt wird. Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat Prämienrückerstattungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Hinsichtlich des 1993 abgeschlossenen Vertrages habe d. VN ein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. schon deshalb nicht zugestanden, weil die Norm erst ab dem 29. Juli 1994 gegolten habe. Es sei davon auszugehen, dass d. VN bei den we iteren drei Verträgen nicht in hinreichender Weise über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a VVG a.F. belehrt worden sei. Der Versicherer habe d en genauen Inhalt der angeblich erteilten (nicht vorgelegten) Widerspruchsbelehrungen nicht angegeben. Es sei deshalb nicht möglich, die Einhaltung der Formerfordernisse zu überprüfen. Die pauschale Erklärung, die Widerspruchsbelehrungen seien ordnungsgemäß gewesen, reiche nicht aus. Die Verträge seien aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. jeweils ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend en dgültig wirksam geworden.

II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des auf den 1993 abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag bezogenen Anspruchs unzulässig. Das Berufungsgericht hat die Revision beschränkt im Hinblick auf die streitige Frage einer Europarechtswidrigkeit des - erst am 29. Juli 1994 in Kraft getretenen und für den 1993 geschlos senen Vertrag nicht einschlägigen - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zugelassen. Diese in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der Revisionszulassung auf die aus dem Widerspruch gegen das Zustandekommen der drei weiteren Verträge abgeleiteten Bereicherungsansprüche ist wirksam. Der diesen Forderungen zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für d en ersten Vertrag maßgeblichen Prozessstoff beurteilt werden (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 11).

III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.

1. Ansprüche auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB können d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Widerspruch - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen die zwischen den Parteien ab 1994 geschlossenen Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen sind.

aa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Versicherer d. VN bei diesen Verträgen nicht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht belehrt habe.

bb) Wenn d. VN - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - nicht über das Widerspruchsrecht belehrt wurde, bestand dieses nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier zu unterstellen - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

b) Die Kündigung der Versicherungsverträge steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach be iderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Die Rückgewähransprüche waren bei Erhebung der Klage im Juni 2012 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2011 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, WM 2015, 865 Rn. 19 ff.).

3. Der Höhe nach umfassen die Rückgewähransprüche nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation b emessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Verkündet am: 22. Juli 2015

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 03.05.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 332 O 32/12
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 29.10.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 77/13