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BGH - Entscheidung vom 17.06.2015

4 StR 196/15

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 63

Fundstellen:
NStZ-RR 2015, 275

BGH, Beschluss vom 17.06.2015 - Aktenzeichen 4 StR 196/15

DRsp Nr. 2015/11508

Anordnung der Unterbringung eines Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Schuldunfähigkeit bzgl. der Anlasstaten

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt unter anderem die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat.2. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20 , 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind.3. Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist.4. Maßgebend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist die "Begehung der Tat", bei aktivem Tun mithin die Zeit, zu welcher der Täter gehandelt hat.5. Daher findet § 20 StGB jedenfalls dann keine Anwendung, wenn der Täter bei allen für die Verwirklichung des Tatbestands erforderlichen Handlungen - wenn auch vermindert - schuldfähig war.

Tenor

1.

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 26. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, ein vollendeter und ein versuchter Wohnungseinbruchdiebstahl sowie ein vollendeter und vier versuchte Diebstähle - jeweils im besonders schweren Fall - zugrunde, die der Beschuldigte zwischen dem 3. April und dem 11. Juni 2014 begangen hat. Opfer der räuberischen Erpressung war die Schwägerin des damals in einer Obdachlosenunterkunft wohnenden Beschuldigten, der diese - um "Geld zum Bestreiten seines Lebensunterhalts" zu erlangen - mittels einer konkludenten Drohung zur Herausgabe von 30 € veranlasste. Den vollendeten Wohnungseinbruchdiebstahl beging er in Ausführung eines zuvor mit einem Mittäter gefassten Tatplans; bei dem versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl ließ er nach dem Einschlagen der Glasscheibe einer Außentür von der weiteren Tatbegehung ab, nachdem er von einer "weiblichen Person gestört" worden war. Bei den weiteren vollendeten und versuchten Diebstählen handelte es sich um einen versuchten Einbruchdiebstahl in ein Mehrfamilienhaus sowie - teilweise ebenfalls nur versuchte - Diebstähle aus Handtaschen, die der Beschuldigte "im allgemeinen Gedränge" beim Einsteigen in eine Stadtbahn bzw. auf Rolltreppen im Hauptbahnhof und in einem Kaufhaus sowie vor einem Modegeschäft beging. Bei all diesen Taten handelte der Beschuldigte mit dem Willen, sich durch die wiederholte Begehung gleichgelagerter Diebstähle eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen. Ferner stellte das Landgericht einen von der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellten versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl vom 24. März 2014 fest, der daran scheiterte, dass es dem Beschuldigten nicht gelang, die Terrassentür aufzuhebeln.

Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer leidet der Beschuldigte nach einem im Jahr 1992 bei einem Verkehrsunfall erlittenen Schädelhirntrauma an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom, welches als organische Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehender Impulskontrollstörung das Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erfülle. Aufgrund der im Vordergrund stehenden schweren Impulskontrollstörung sei eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sicher feststellbar; "der Akzent" sei - wie die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung mitteilt und der Entscheidung zugrunde legt - aber nicht so sehr auf die Tatausführung, sondern auf die Tatentscheidung zu legen, die der Beschuldigte in allen Fällen im Zustand nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit getroffen habe (UA S. 35).

2. Diese Feststellungen und Wertungen des Landgerichts sind nicht geeignet, die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB zu rechtfertigen.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt unter anderem die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen hat. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20 , 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306 , 307; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 mwN). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1997 - 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383 ; Beschlüsse vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14).

Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Es hat zwar eingehend dargelegt, dass der Beschuldigte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Die Strafkammer hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass zwischen diesem Zustand und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte jedenfalls angesichts der Besonderheiten des Falles nicht verzichtet werden. Denn die von dem Beschuldigten begangenen Taten dienten dem damals in einer Obdachlosenunterkunft wohnenden, seinen Lebensunterhalt von Sozialhilfe und "fortlaufender Begehung von Vermögensdelikten" bestreitenden (UA S. 8 f.) Beschuldigten dazu, "Geld zum Bestreiten seines Lebensunterhalts" bzw. sich eine dauerhafte Einkommensquelle zu verschaffen. Belege dafür, dass den abgeurteilten Taten ein durchgreifender Mangel der Impulskontrolle zugrunde gelegen hat, finden sich in der landgerichtlichen Entscheidung nicht. Vielmehr spricht gegen die Annahme einer gestörten Impulskontrolle etwa bei der Tat 2 auch, dass diese nach gemeinsamer Planung mit einem Mittäter begangen wurde und Umstände nicht erkennbar sind, zu welchem Zeitpunkt und wodurch der Beschuldigte hierbei in einem die Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich beeinträchtigenden Zustand einer gestörten Impulskontrolle geraten sein soll (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall auch BGH, Beschluss vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14).

3. Ergänzend weist der Senat ferner auf Folgendes hin:

Maßgebend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist die "Begehung der Tat" (§ 20 StGB ), bei aktivem Tun mithin die Zeit, zu welcher der Täter gehandelt hat (§ 8 Satz 1 StGB ; vgl. auch Fischer, StGB , 62. Aufl., § 20 Rn. 2a mwN). Daher findet § 20 StGB jedenfalls dann keine Anwendung, wenn der Täter bei allen für die Verwirklichung des Tatbestands erforderlichen Handlungen - wenn auch vermindert - schuldfähig war (vgl. für Dauerdelikte auch BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - 4 StR 176/04; Urteil vom 28. September 2011 - 1 StR 129/11, NStZ-RR 2012, 6 , 7). Deshalb begegnet die Anwendung von § 20 StGB durch die Strafkammer Bedenken, wenn deren Ausführungen, wonach "der Akzent" nicht so sehr auf die Tatausführung, sondern auf die Tatentscheidung zu legen sei, die der Beschuldigte in allen Fällen im Zustand nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit getroffen habe, dahin zu verstehen sein sollten, dass bei der Tatausführung seine Steuerungsfähigkeit - wenn auch vermindert - vorhanden war.

Auch vermag die im Rahmen der Feststellungen zum Tatgeschehen allein mitgeteilte Erwägung, "die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht der Taten einzusehen ...[sei] in nicht ausschließbarer Weise aufgehoben" gewesen (UA S. 17), die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu rechtfertigen. Denn diese darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - 2 StR 37/15 mwN; zur - nicht festgestellten - verminderten Einsichtsfähigkeit und § 63 StGB : BGH, Beschluss vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 ; siehe ferner - auch zum Verhältnis Einsichts-/Steuerungsvermögen Beschluss vom 2. August 2012 - 3 StR 259/12; sowie Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, BGHR StGB § 20 Steuerungsfähigkeit 2).

Vorinstanz: LG Bielefeld, vom 26.01.2015
Fundstellen
NStZ-RR 2015, 275