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BGH - Entscheidung vom 03.06.2015

2 StR 430/14

Normen:
StPO § 261

Fundstellen:
NStZ-RR 2015, 315
StV 2015, 757

BGH, Urteil vom 03.06.2015 - Aktenzeichen 2 StR 430/14

DRsp Nr. 2015/14305

Anforderungen an die strafgerichtliche Überzeugungsbildung im Bereich einer Zeugenvernehmung

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

1. Der Angeklagte, der als Kundenbetreuer bei verschiedenen Banken arbeitete, war im Rahmen dieser beruflichen Tätigkeit seit den frühen 90iger Jahren für die Vermögensberatung des Zeugen Bu. zuständig. Dieser war schon damals schwer an multipler Sklerose erkrankt, konnte lediglich noch den Kopf bewegen und hatte Probleme beim Sprechen. Aus diesem Grund fanden die Beratungsgespräche in der Wohnung des Zeugen und nach seinem Umzug in ein Pflegeheim dort statt.

Am 14. Juni 2005 erteilte er dem Angeklagten, auf dessen Redlichkeit er vertraute, eine allgemeine notarielle Vollmacht. Sie beinhaltete unter anderem die Vertretung in persönlichen und Vermögensangelegenheiten und berechtigte ausdrücklich zur Verfügung über das Vermögen des Zeugen. Die Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten sollte unentgeltlich erfolgen. Am 16. März 2010 erteilte der Zeuge auch der Ehefrau des Angeklagten eine entsprechende Vollmacht.

Im Jahre 2008 wechselte der Angeklagte zu einem anderen Arbeitgeber, bei dem er nicht mehr im Privatkundengeschäft tätig war. Aufgrund dessen wurde das Privatkonto und das Wertpapierdepot des Zeugen Bu. zur F. S. übertragen. Der Angeklagte war weder berechtigt, eigenmächtig Bargeldabhebungen vorzunehmen, noch sich Geld anzueignen.

In der Zeit vom 30. März 2009 bis zum 27. Januar 2012 vereinnahmte er in 82 Fällen Gelder in Höhe von 109.540,- € für sich selbst, indem er 80 Bargeldabhebungen mittels der in seinem Besitz befindlichen EC-Karte des Zeugen Bu. vornahm und in zwei Fällen Überweisungen von dessen Konto auf sein eigenes Konto veranlasste. Als Verwendungszweck war auf den Überweisungen "Gemäß Vereinbarung" bzw. "Vorschuss gemäß Vereinbarung" angegeben.

Keinem dieser Zahlungsvorgänge lag ein Auftrag oder das Einverständnis des Zeugen Bu. zugrunde. Dieser erhielt hiervon erst im Jahre 2012 - nach Bestellung des Zeugen W. zum Betreuer - Kenntnis.

2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat sich auf der Grundlage der Angaben des kommissarisch vernommenen Zeugen Bu. davon überzeugt, dass der Angeklagte unentgeltlich für ihn tätig gewesen sei und es für keinen der Zahlungsvorgänge einen "Grund" gegeben habe.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit einer die Verletzung des § 261 StPO geltend machenden Verfahrensrüge Erfolg.

1. § 261 StPO verpflichtet das Tatgericht, sein Urteil aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen. Es muss alle wesentlichen Tatsachen und Beweisergebnisse, die dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu entnehmen sind, erschöpfend in einer Gesamtschau würdigen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. sich die Erörterung aufdrängt. Daran fehlt es hier.

Der Angeklagte beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer die in der Hauptverhandlung verlesene kommissarische Vernehmung des Zeugen Bu. nicht vollständig ausgeschöpft und deshalb den durch Verlesung zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Aussagegehalt der Zeugenangaben bei ihrer Überzeugungsbildung teilweise unberücksichtigt gelassen hat. Dies kann der Senat hier mit den Mitteln des Revisionsrechts rekonstruieren (vgl. BGHSt 43, 212 , 214).

Das Landgericht hat den die Tat bestreitenden Angeklagten als überführt angesehen und dies vor allem auf die Aussage des kommissarisch vernommenen Zeugen Bu. gestützt. Dessen Angaben, der Angeklagte habe unentgeltlich für ihn gearbeitet, ihm habe kein Auslagenersatz zugestanden, es habe keinen Grund für die Abhebungen und auch keine Zustimmung zu den Überweisungen gegeben, hat die Strafkammer als glaubhaft angesehen. Sie ist dabei davon ausgegangen, dass der seit vielen Jahren schwer an multipler Sklerose erkrankte, gelähmte und chronisch bettlägerige Zeuge geistig durch seine Erkrankung nicht beeinträchtigt sei. Eine darüber hinausgehende Würdigung von Einzelheiten seiner verlesenen Aussage hat es nicht vorgenommen, obwohl einzelne Angaben, die im Widerspruch zu an anderer Stelle getroffenen Feststellungen stehen oder aus sich heraus nicht verständlich sind, Anlass gegeben hätten, sich mit ihnen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit bzw. Aussagetüchtigkeit des Zeugen auseinander zu setzen. Beispielhaft wird auf folgende Umstände hingewiesen:

So hat der Zeuge Bu. etwa bei seiner kommissarischen Vernehmung am 30. April 2014 angegeben, er habe den Angeklagten zuletzt vor drei Jahren gesehen, er sei sein Betreuer gewesen. Tatsächlich besuchte der Angeklagte den Zeugen, von dem er zur Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten notarielle Vollmacht erhalten hatte, bis ins Jahr 2012. Von einer Betreuerbestellung lässt sich den Urteilsgründen nichts entnehmen. Der Zeuge Bu. hat auf die Frage, wie viele Konten er habe, ausgesagt, er habe (lediglich) ein Konto, und dies bei der Be. -Bank. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieses Konto im Jahr 2002 aufgelöst worden war und neue Konten mit Einverständnis des Zeugen bei der C. S. im Jahr 2002 und später im Jahr 2008 bei der F. S. geführt wurden.

Auf die Frage, ob er seinen Kontostand kenne, hat der Zeuge Bu. diesen mit 456.000,- € beziffert und auf Nachfrage erklärt, dies wisse er durch einen Kontoauszug, den er bekommen habe, als er in Rente gegangen sei. Wann er in Rente gegangen sei, hat der Zeuge nicht angeben können. Nach diesen Angaben entstehen Zweifel, ob der Zeuge den offensichtlichen Sinn der an ihn gerichteten Frage, welchen Stand sein Konto (heute) habe, überhaupt verstanden hatte, wenn er die Kenntnisnahme mit dem Eintritt in sein Rentenalter verband, an dessen Zeitpunkt er sich aber nicht zu erinnern vermochte. Diese Zweifel werden verstärkt, wenn man berücksichtigt, dass der Zeuge an anderer Stelle der Vernehmung mitgeteilt hat, der Angeklagte habe ihn - vor einigen Monaten - angerufen und erklärt, "dass nichts mehr da sei". Dies deutet nicht nur darauf hin, der Zeuge gehe davon aus, dass kein Geld mehr auf seinem Konto sei, was jedenfalls nach den übrigen Feststellungen des Landgerichts, die das nicht aufgreifen, fern liegt. Es steht auch in deutlichem Widerspruch zu der vorangegangenen Bezifferung des Kontostandes und hätte insoweit jedenfalls einer Erläuterung seitens des Landgerichts bedurft. Im Übrigen hätte es der Erörterung seitens des Landgerichts bedurft, soweit der Zeuge angegeben hat, der Angeklagte habe ihn mit der Information, es sei nichts mehr da, vor einigen Monaten angerufen. Vor dem Hintergrund, dass der Zeuge Bu. durch seinen Betreuer jedenfalls vor Anzeigenerstattung im Juni 2012 über die Vermögensverhältnisse und die von dem Angeklagten veranlassten Vermögensabflüsse informiert gewesen ist, macht der Hinweis des Zeugen auf das besagte Telefonat keinen Sinn. Mit diesen Widersprüchen der Zeugenangaben hätten sich die Urteilsgründe auseinandersetzen müssen; soweit diese sich nicht auflösen ließen, hätte dies für den Tatrichter Anlass sein müssen, sich mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen auseinander zu setzen.

2. Auf der Verletzung des § 261 StPO beruht das Urteil auch. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfänglicher Auseinandersetzung mit den Angaben des Zeugen Bu. in dessen kommissarischer Vernehmung dessen Glaubwürdigkeit bzw. Aussagetüchtigkeit anders beurteilt und den Angeklagten freigesprochen hätte.

3. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass sich der neue Tatrichter eingehender als bisher geschehen auch mit der Frage auseinander zu setzen hat, ob im Hinblick auf die von dem Angeklagten vorgelegten vier Quittungen, aus denen sich Einzahlungen auf das Taschengeldkonto des Zeugen Bu. bzw. seiner Mutter ergeben, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang damit stehenden Untreuevorwürfe zu entfallen haben. Das Argument der Strafkammer, ein Zusammenhang mit den hiesigen Abhebungen sei nicht ausgemacht, es erscheine nahe liegend, dass der Angeklagte diese Einzahlungen aus eigenen Mitteln vorgenommen habe, um sich weiterhin des Wohlwollens des künftigen Erblassers zu versichern, ist eine Behauptung, die bisher einer tragfähigen Grundlage entbehrt. Als zirkelschlüssig erweist sich zudem der Hinweis der Strafkammer, einem behaupteten Zusammenhang zwischen Abhebung und Einzahlung auf dem Heimkonto stehe die Aussage des Zeugen Bu. entgegen, wonach es für sämtliche Abhebungen weder einen Grund noch einen Auftrag gegeben habe; denn die Einlassung, dass Einzahlungen im Interesse des Zeugen und seiner Mutter seitens des Angeklagten vorgenommen worden seien, sollte die Aussage des Zeugen Bu. gerade widerlegen.

Vorinstanz: LG Frankfurt am Main, vom 13.06.2014
Fundstellen
NStZ-RR 2015, 315
StV 2015, 757