Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 04.02.2015

2 StR 241/14

Normen:
StGB § 21
StPO § 244 Abs. 4 S. 2

BGH, Urteil vom 04.02.2015 - Aktenzeichen 2 StR 241/14

DRsp Nr. 2015/5113

Abgrenzung einer Vergewaltigung von einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit der Ehefrau

1. Die beiden Alternativen des § 21 StGB - Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit - können nicht gleichzeitig angewendet werden.2. Auch aufgrund eines Zusammenspiels der Affektivität des Handelns des Angeklagten mit einer vorbestehenden psychopathologischen Disposition im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung und seiner abhängigen Persönlichkeit muss der in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Angeklagte nicht geglaubt haben, das Opfer sei mit der Ausübung des Geschlechtsverkehrs einverstanden.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 17. März 2014 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 21 ; StPO § 244 Abs. 4 S. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen ist der Angeklagte seit 1983 mit der Nebenklägerin K. verheiratet und hat mit dieser zwei Söhne im Alter von 16 und 22 Jahren. Er arbeitete als Lokführer, bis sich im Sommer 2009 eine junge Mutter mit ihrem sechsjährigen Kind vor den von ihm geführten Zug warf. Seitdem ist er nicht mehr in der Lage, seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Zudem leidet er infolge dieses Ereignisses unter chronischen posttraumatischen Belastungsstörungen, die auch die bis dahin harmonische Ehe des Angeklagten belasteten. Eine psychologische Behandlung verbunden mit einem Reha-Aufenthalt bewirkte keine Verbesserung seines psychischen Zustands.

2. Auch seine Ehefrau, die ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt hatte, litt in psychischer und physischer Hinsicht unter der Situation, weshalb sie im Herbst 2013 an einer sechswöchigen Reha-Maßnahme teilnahm. Durch die Therapiegespräche gelangte sie zu dem Entschluss, sich von dem Angeklagten zu trennen, was sie diesem am 14. September 2013 bei einer kurzzeitigen Therapieunterbrechung mitteilte. Der daraufhin verzweifelte Angeklagte rief, nachdem sich die Geschädigte wieder in die Einrichtung begeben hatte, in der Reha-Klinik an, beklagte sich, dass man seiner Frau in der Kur den Kopf verdreht habe, verlangte deren Rückkehr und drohte, im Falle seines Erscheinens vor Ort alle "umzuhauen".

3. Nach Beendigung der Reha-Maßnahme am 27. September 2013 kehrte die Nebenklägerin nach Hause zurück, wo sie sich weder zu einem klärenden Gespräch noch zu einer Fortführung der Ehe bereit fand. Dies führte bei dem Angeklagten zu einer Entladung all seiner Spannungen. Als seine Ehefrau sich bückte, um ihre Reisetasche auszuräumen, näherte er sich unbemerkt von hinten und schlang ihr - ein normalerweise in der Garage aufbewahrtes - Abschleppseil um den Hals und zog es so kräftig zusammen, bis die Nebenklägerin vorübergehend das Bewusstsein verlor. Dabei schleuderte er sie durch den Flur, wobei sie immer wieder zu Boden fiel und dadurch zahlreiche Hämatome erlitt. Nach Lockerung des Seils äußerte der Angeklagte "ich fick Dich nochmal und dann bist Du mich los". Aus Angst vor einer weiteren - gegebenenfalls für sie tödlich endenden - Eskalation entkleidete sich die Geschädigte selbst in der Hoffnung, bei Unterlassen jeglicher Gegenwehr die Situation alsbald durchlebt zu haben. Der Angeklagte, der erkannte, dass sich seine Ehefrau dem bevorstehenden Geschlechtsverkehr allein aus Angst nicht widersetzte, zitterte stark, da er die Situation aufgrund des vorangegangenen Geschehens selbst als "unschön" empfand. Gleichwohl warf er die Nebenklägerin auf die Couch und führte seine Faust in deren Vagina ein, was ihr Schmerzen in bis dahin unbekannter Intensität verursachte. Anschließend vollzog er den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss, wobei er der vor Schmerzen schreienden Nebenklägerin in Bauch und Brustwarzen kniff. Um den Geschlechtsakt möglichst schnell hinter sich zu bringen, hatte die Geschädigte den Angeklagten mehrfach aufgefordert "weiter" zu machen und zum Ende zu kommen, wobei dem Angeklagten die Beweggründe für diese Äußerungen aus dem vorangegangenen Geschehen bewusst waren.

4. Als die Nebenklägerin nach vollzogenem Geschlechtsverkehr aufstehen wollte, erklärte der Angeklagte: "Wenn du meinst, dass es vorbei ist, hast du Pech gehabt - jetzt kommt Plan B, ich hänge Dich im Flur auf." Einen Fluchtversuch nach gegenseitigem Gerangel unterband der Angeklagte, indem er die Geschädigte in den Schwitzkasten nahm, was dieser erhebliche Schmerzen, Panik und Atemnot bereitete. Erst als die Nebenklägerin aus Angst und um den Angeklagten zu besänftigen vorschlug, es noch einmal miteinander zu versuchen, ließ dieser von ihr ab. In einem unbeobachteten Moment gelang ihr dann die Flucht.

II.

1. Die von dem Angeklagten erhobene Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg. Dem Hilfsbeweisantrag des Angeklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist die Strafkammer im Ergebnis zu Recht nicht nachgegangen. Nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten gerichtsmedizinischen Sachverständigen muss ein Eindringen mit der Faust in die Vagina einer Frau nicht zwangsläufig zu Verletzungen führen. Damit war das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen, so dass es der Anhörung eines weiteren Sachverständigen gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht bedurfte.

2. Auch die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

a) Aus den Urteilsgründen wird noch hinreichend deutlich erkennbar, dass das Landgericht von einer erheblichen Verminderung der Steuerungs-, nicht aber der Einsichtsfähigkeit ausgegangen ist. Insoweit zutreffend führt der Generalbundesanwalt aus, dass die beiden Alternativen des § 21 StGB - Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit - nicht gleichzeitig angewendet werden können. Auch wenn das Landgericht an zwei Stellen des Urteils in Obersätzen nicht trennscharf zwischen diesen beiden Alternativen unterschieden hat, ergibt sich aus den referierten Ausführungen der Sachverständigen, die sich das Landgericht zu eigen gemacht hat, dass die Strafkammer - allein - von einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgeht. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, für die das Tatgeschehen keine Anhaltspunkte bietet, hat das Landgericht in Übereinstimmung mit der Sachverständigen rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

b) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist das Urteil weder widersprüchlich noch lückenhaft, soweit das Landgericht davon ausgeht, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass die Geschädigte den Geschlechtsverkehr mit ihm nicht freiwillig ausgeübt habe. So hat die sachverständig beratene Strafkammer durchaus bedacht, "dass aufgrund des Zusammenspiels der Affektivität des Handelns des Angeklagten mit der vorbestehenden psychopathologischen Disposition im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung und seiner abhängigen Persönlichkeit seine Steuerungsfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich herabgesetzt war" (UA S. 18). Dafür, dass der so in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Angeklagte geglaubt haben könnte, die Nebenklägerin sei mit der Ausübung des Geschlechtsverkehrs in der vorgeschilderten Weise einverstanden, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. So hat der Angeklagte die Nebenklägerin, die sich endgültig von ihm trennen wollte, hinterrücks angegriffen, mit einem Seil bis zur Bewusstlosigkeit stranguliert, sie auf das Sofa geworfen, und ihr in äußerst schmerzhafter Weise die Faust in die Vagina eingeführt. Während des Geschlechtsverkehrs hat er die vor Schmerzen schreiende Frau weiter misshandelt und sie anschließend mit dem Tode bedroht. Angesichts dieses Geschehens war ein Einverständnis der Geschädigten - auch aus Sicht des Angeklagten - so fernliegend, dass es dazu keiner vertieften Ausführungen in den Urteilsgründen bedurfte.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Aachen, vom 17.03.2014