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BGH - Entscheidung vom 09.10.2013

5 StR 214/13

Normen:
StGB § 227 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ 2014, 398
NStZ 2014, 6

BGH, Urteil vom 09.10.2013 - Aktenzeichen 5 StR 214/13

DRsp Nr. 2013/22911

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Das Vorliegen von Tötungsvorsatz drängt sich auf, wenn der Angeklagte seinen Sexualpartner (hier: sadomasochistischer Handlungen) entsprechend dessen Willen sowie Verlangen und zuvor erfolgter gemeinsamer Planung tötet und an der Ernsthaftigkeit des zuvor mehrfach geäußerten Todeswillens und Todesverlangens des Getöteten kein Zweifel besteht.

Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Normenkette:

StGB § 227 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft sowie die Revisionen der Nebenkläger. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsmittel haben Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte lernte den später Getöteten S. über ein Internetportal kennen, das zur Anbahnung sexueller Kontakte zwischen homosexuellen Männern eingerichtet ist. Beide waren sadomasochistischen Praktiken verhaftet. Während der Angeklagte von dem Bedürfnis nach Dominanz und Erniedrigung des Sexualpartners bestimmt war, fand S. Gefallen daran, sich herabwürdigen und verletzen zu lassen. Im Lauf des Jahres 2011 trafen der Angeklagte und S. mehrfach zusammen und übten neben weiteren Methoden die von den Beteiligten so genannte "Atemkontrolle" aus, bei der die Atemwege des S. durch Knebelung oder Klebebänder verlegt wurden. Der Sauerstoffmangel hatte auf S. erregende Wirkung. Dessen Phantasien gingen aber noch darüber hinaus. Mehreren Personen hatte er gesagt, er wolle sich im Zuge einer "Atemkontrolle" töten lassen, um die "ultimative" sexuelle Befriedigung zu erlangen. Auch an den Angeklagten trug er diesen Wunsch Ende 2011 heran. Dieser ging jedoch nicht darauf ein. Möglicherweise wurde in diesem Zusammenhang auch über Geld gesprochen, wobei der Angeklagte eher scherzhaft zum Ausdruck brachte, dann Geldmittel für die "Entsorgung" des Leichnams zu benötigen.

Am 1. Januar 2012 traf sich S. mit dem Angeklagten in dessen Wohnung. S. hatte zuvor eigens 1.000 € abgehoben und verfügte bei seiner Ankunft über bis zu 1.600 €. Dem Angeklagten bot er das Geld dafür an, dass er ihn sterben lasse, was dieser jedoch ablehnte. S. legte das Geld auf den Wohnzimmertisch. Im Lauf der nächsten Tage übten beide verschiedenartige Sexualpraktiken aus und konsumierten dabei auch Drogen (Crystal, Speed). Am 2. Januar 2012 unterbrach der Angeklagte auf Wunsch des S. dessen Atemluftzufuhr mit einem Klebeband. S. sollte durch Handzeichen ein Stopp-Signal geben können. Sonstige Sicherungsmaßnahmen wurden nicht ergriffen. Als der Angeklagte bemerkte, dass S. einen Samenerguss gehabt hatte und bewusstlos geworden war, stellte er die Luftzufuhr wieder her. Ein Handzeichen war nicht gegeben worden. Nachdem S. aus der Bewusstlosigkeit erwacht war, beschwerte er sich, dass der Angeklagte ihn nicht hatte sterben lassen.

Am 5. Januar 2012 kam es ab ca. 20.00 Uhr abermals zu einvernehmlichen sadomasochistischen Handlungen. Der Angeklagte fesselte S. an ein Metallgestell. Dieser hatte zuvor Crystal inhaliert und sich vom Angeklagten das Beruhigungsmittel Ketamin in beide Hände spritzen lassen, um die Schmerzen besser ertragen zu können. Wie an den Tagen zuvor hatte auch der Angeklagte Crystal konsumiert und war deswegen nicht ausschließbar erheblich in seinem Steuerungsvermögen beeinträchtigt. Er verband S. die Augen und umwickelte dessen Kopf mit mehreren Lagen Klebeband, das er auch über Nase und Mund führte. Im Vergleich zum 2. Januar 2012 hatte er damit eine "etwas stärkere" (UA S. 8) Verklebung vorgenommen. Hierdurch wollte er störende mündliche Anweisungen des S. unterbinden, die diesem beim letzten Mal noch möglich gewesen waren. Aufgrund seiner Erfahrungen mit sadomasochistischen Praktiken und insbesondere wegen des Geschehens am 2. Januar 2012 glaubte er trotzdem, die Situation beherrschen zu können. Als S. Urin abging, entfernte er das Klebeband. Jedoch war S. bereits erstickt. Dies erkannte der Angeklagte, nachdem er erfolglos versucht hatte, ihn mit Mundbeatmung und Herzmassage zu reanimieren. Er hatte S. nicht töten wollen und mit einem tödlichen Ausgang auch nicht gerechnet. Jedoch war ihm bewusst, dass dessen Leben auf dem Spiel stehen könne. Das Geld wirkte sich nicht handlungsmotivierend aus. Vielmehr ging es dem Angeklagten um die Befriedigung der beiderseitigen sexuellen Gelüste.

Der Angeklagte machte sich an die Beseitigung der Leiche. Er ließ den Leichnam ausbluten, zerteilte ihn in sechs Teile, kochte den Kopf sowie einen Unterarm und verpackte die Leichenteile in Styroporkisten und Kartons, die er mit Plastikfolie umwickelte.

Auf eine Vermisstenanzeige des Lebensgefährten des S. vom 3. Januar 2012 hin wurde auch unter Einsatz der Medien nach diesem gesucht. Am 22. Januar 2012 meldete sich der Angeklagte bei der Polizei. Er gab an, S. sei noch am 2. und 3. Januar 2012 bei ihm gewesen, dann aber mit unbekanntem Ziel gegangen. Am 23. Januar 2012 kündigten Polizeibeamte dem Angeklagten und anderen Personen telefonisch an, mit Hunden nach dem Vermissten suchen zu wollen. Der Angeklagte erkannte, dass seine Verantwortlichkeit für dessen Tod entdeckt werden würde. Er übersandte einem früheren Lebensgefährten ein Buch, in das er einen Abschiedsbrief steckte. Darin führte er aus, er habe jemanden "auf sein Verlangen ermordet". Der Getötete sei im "Drogenrausch" gewesen, habe es gewollt und sie hätten es "schon lange geplant". Ferner steckte er 315 € aus dem Geld des Verstorbenen in das Buch. Er unternahm Selbstmordversuche, die aber fehlschlugen. Unter anderem brachte er sich an den Unterarmen und am Hals tiefe Messerschnitte bei. Als Polizeibeamte an seiner Wohnungstür klingelten, öffnete er blutüberströmt und rief, der Hundeeinsatz könne abgebrochen werden, "er habe ihn umgebracht". Der Angeklagte wurde ärztlich versorgt; seine Verletzungen verheilten folgenlos.

b) Die Schwurgerichtskammer vermochte sich nicht von einem Tötungsvorsatz des Angeklagten zu überzeugen. Zwar sei dem Angeklagten die Möglichkeit des Todeseintritts bewusst gewesen. Dies folge daraus, dass das Versterben von den Beteiligten ausdrücklich ins Kalkül gezogen und dafür Geld angeboten worden sei, sowie aus der jedem einleuchtenden hochgradigen Gefährlichkeit der Vorgehensweise. Jedoch sei der Angeklagte mit dem Tod des S. nicht einverstanden gewesen und habe "ausreichend ernsthaft" darauf vertraut, dass dieser nicht eintreten werde. Dies folgert die Schwurgerichtskammer aus dem Umstand, dass sich der Angeklagte den Sexualpartner habe erhalten wollen; zudem sei S. wenige Tage zuvor nach einer gleichartigen Behandlung wieder aus der Bewusstlosigkeit erwacht.

2. Die beweiswürdigenden Ausführungen, mit denen die Schwurgerichtskammer einen Tötungsvorsatz des Angeklagten ausgeschlossen hat, halten rechtlicher Prüfung auch eingedenk des insoweit beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 - 5 StR 124/13 Rn. 8 mwN) nicht stand.

a) Soweit die Schwurgerichtskammer den Inhalt des nach der Tat an einen früheren Lebensgefährten geschriebenen "Abschiedsbriefs" des Angeklagten lediglich als Ausdruck der Verantwortungsübernahme für eine leichtfertige Todesverursachung bei gleichzeitigem Versuch bewertet, die Tat durch den Hinweis auf das Verlangen des Getöteten als weniger strafwürdig erscheinen zu lassen, und ihm so jeglichen Beweiswert für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes abspricht, ist die Würdigung durchgreifend lückenhaft und insgesamt nicht nachvollziehbar. Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer stehen mit Ausnahme des Wortes "ermordet" nicht Wertungen eines juristischen Laien in Frage, die aufgrund dieses Umstandes verschiedene Interpretationen zulassen, sondern - unzweideutige - Tatsachenangaben. Danach hat der Angeklagte seinen Sexualpartner entsprechend dessen Willen sowie Verlangen und zuvor erfolgter gemeinsamer Planung getötet. Darüber hinaus hat das Landgericht an dieser Stelle mit dem zuvor mehrfach geäußerten Todeswillen und Todesverlangen des Getöteten, dessen Ernsthaftigkeit in dem Geldangebot vor und der "Beschwerde" nach dem ungewollten Überleben am 2. Januar 2012 sowie dem Umstand, dass der Getötete seinen Lebensgefährten nicht über die Absicht längeren Fortbleibens unterrichtet hatte, seinen Ausdruck fand, und der stärkeren Verklebung der Atemwege am Tattag wesentliche Gesichtspunkte des festgestellten Tatgeschehens nicht in seine Wertung einbezogen, die für den Tatsachen- und Wahrheitsgehalt der im "Abschiedsbrief" getroffenen Aussage sprechen. Schon aus diesem Grund kann das Urteil keinen Bestand haben.

b) Die Ausführungen zum Fehlen des voluntativen Vorsatzelements begegnen auch für sich genommen durchgreifenden Bedenken. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das angefochtene Urteil entsprechend den Beanstandungen der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts dahin zu verstehen ist, dass die Schwurgerichtskammer entgegen der ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 369) das ihrer Auffassung nach fehlende Erwünschtsein des Todeseintritts von Seiten des Angeklagten als Erfordernis der Vorsatzannahme angesehen oder diesen Gesichtspunkt - dann im Grundsatz rechtsfehlerfrei - lediglich im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung in Ansatz gebracht hat. Denn die vorgenommene Wertung beruht bereits ungeachtet dessen auf einer unzureichenden Würdigung des festgestellten Tatverlaufs. Danach war der Getötete schon am 2. Januar 2012 in eine hochgradig gefährliche Bewusstlosigkeit verfallen. Gleichwohl verstärkte der Angeklagte am Tattag die Knebelung nochmals, indem er dem Getöteten mehrere Lagen Klebeband um Mund und Nase wickelte, was deren Lösen - bei dem Angeklagten notwendig bewusstem Entscheiden von Sekunden "über Leben oder Tod" - naturgemäß schwieriger und zeitaufwendiger machen musste. Die Wertung der Schwurgerichtskammer, der Angeklagte habe unter diesen Vorzeichen und trotz völlig fehlender bzw. durch die stärkere Verklebung sogar bewusst unmöglich gemachter Sicherungsvorkehrungen auf einen guten Ausgang vertraut, entbehrt daher einer durch Tatsachen fundierten Grundlage.

3. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt mit auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende und in sich stimmige Tatsachenfeststellung zu ermöglichen. In der neuen Hauptverhandlung wird die Schuldfähigkeit eingehend zu überprüfen sein. Zur Frage, ob sich der Angeklagte - anders als von ihm recht detailreich gegenüber einem Zeugen zunächst dargestellt (UA S. 25) - bei der Tat jedenfalls nicht ausschließbar in einem schuldmindernden "Drogenrausch" nach Aufnahme von "Crystal" (UA S. 8) bzw. "Speed" (UA S. 24) befunden hat, verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Bei Annahme eines Drogenrausches wären die Grundsätze der actio libera in causa zu erörtern. Schließlich wird die Frage des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit angesichts der Begleitumstände der Tat und des in diesem Zusammenhang bislang nicht berücksichtigten leichenschänderischen Nachtatverhaltens zu prüfen sein (vgl. Basdorf/Mosbacher in: Lammel u.a., Forensische Begutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, 2007, S. 111, 121 ff., 131; Basdorf, HRRS 2008, 275, 276 f.).

Der Senat weist schließlich darauf hin, dass angesichts des hochgradigen Verschuldens und unter Berücksichtigung des genannten Nachtatverhaltens die Annahme eines minder schweren Falles der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 2 StGB ) und das niedrige Strafmaß trotz der berücksichtigten Milderungsgründe auch für sich genommen für den Senat kaum nachvollziehbar sind.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 07.12.2012
Fundstellen
NStZ 2014, 398
NStZ 2014, 6