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BGH - Entscheidung vom 09.04.2013

XI ZR 337/10

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2

BGH, Beschluss vom 09.04.2013 - Aktenzeichen XI ZR 337/10

DRsp Nr. 2013/13785

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Zusammenhang mit Schadensersatz aus einer Anlageberatung

1. Wer vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. 2. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. September 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 30.000 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V. 3 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 3) in Anspruch.

Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch einen Mitarbeiter der Beklagten am 23. September 2003 eine Beteiligung an V 3 im Nennwert von 25.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 1.250 €.

Nach dem Inhalt der Verkaufsprospekte sollten 8,9% der Zeichnungssumme sowie das Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von 8,25% der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Kläger im Beratungsgespräch offengelegt wurde.

Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals nebst Zinsen seit Zeichnung der Anlage Zug um Zug gegen Abtretung der Beteiligungen. Weiter begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle weiteren aus der Beteiligung erwachsenden Schäden zu ersetzen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist bis auf einen Teil der Zinsen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten konkludent ein Beratungsvertrag zustande gekommen sei, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens habe die Beklagte nicht widerlegt.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135 , 139 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Kläger über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 24 f. mwN).

2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).

3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser Beweislastumkehr zugunsten des Klägers nur dann auszugehen ist, wenn der Kläger bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und eingehend begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei einer - wie hier - feststehenden Aufklärungspflichtverletzung eingreift (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 30 ff. mwN).

4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG .

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247 , 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006 , 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133 , 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131 ; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).

b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

aa) Die Beklagte hat mit ihrem Schriftsatz vom 18. Februar 2010 vorgetragen, dass für den Kläger bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe der Kläger dem Mitarbeiter der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis ihres Mitarbeiters J. und die Parteivernehmung des Klägers berufen.

bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des Klägers, sich an V 3 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat die Vernehmung des angebotenen Zeugen unter anderem mit der Begründung verneint, die Beklagte habe insbesondere keine Äußerungen des Klägers gegenüber dem benannten Zeugen vorgetragen, die im Falle ihrer Bestätigung den Rückschluss auf die behauptete hypothetische Reaktion des Klägers erlauben würde. Das lässt sich nach den Umständen des Falles nur damit erklären, dass es das solche Äußerungen enthaltende Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.

5. Die unterlassene Vernehmung des Klägers als Partei sowie des Anlageberaters als Zeugen für diese Behauptungen verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

6. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitätsvermutung in Bezug auf verheimlichte Rückvergütungen als widerlegt ansehen, wird es sich auch mit den vom Kläger behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unter anderem unrichtige Angaben der Anlageberater der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; auch Henning, WM 2012, 153 ff.).

Vorinstanz: LG Kleve, vom 15.12.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 241/08
Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 06.09.2010 - Vorinstanzaktenzeichen I-9 U 31/10